© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

"Besonders niederträchtige Art der Verteidigung"
U-Bahn-Schläger: Gericht folgt Anträgen der Staatsanwaltschaft / Anwälte scheitern mit dem Versuch, dem Opfer ihrer Mandanten Rassismus nachzuweisen
Hinrich Rohbohm

Sie waren hart geblieben. Weder von der schweren Kindheitsgeschichte des 21jährigen Serkan A. noch von den Schuld-war-nur-der-Alkohol-Bekundungen des 18 Jahre alten Griechen Spyridon  L. ließen sich die Richter der Jugendkammer des  Landgerichts München I beeindrucken.

Ihr Urteil: Zwölf Jahre Haft für Serkan A., der am 20. Dezember den pensionierten Realschulrektor Hubertus Bruno N. (76) in der U-Bahn-Station Arabellapark brutal zusammengeschlagen hatte. Auch Spyridon L., der dem Rentner in Elfmeter-Manier einen besonders üblen Fußtritt ins Gesicht verpaßte, muß für längere Zeit hinter Gitter. Er erhielt eine Jugendstrafe von achteinhalb Jahren. Das Gericht verurteilte die Täter jeweils in Mittäterschaft wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung sowie Diebstahls in einem besonders schweren Fall.

Damit folgten die Richter weitestgehend dem Antrag von Staatsanwalt Laurent Lafleur. Der Anklagevertreter wollte Serkan A. zwölf und Spyridon L. neun Jahre hinter Schloß und Riegel bringen. Die Verteidigung hatte eine Freiheitsstrafe von maximal vier Jahren gefordert.

An der Schuld der Angeklagten gab es schon vor Prozeßbeginn keine Zweifel. Der Grund war eine Überwachungskamera, die den Tathergang aufgezeichnet hatte und die Bruno N. während seiner Aussage als seinen "unbestechlichen Zeugen" bezeichnete. So hatten die Verteidiger während des Prozesses auch gar nicht erst den Versuch unternommen, die Taten in Frage zu stellen. Vielmehr wollten sie das Gericht davon überzeugen, daß es sich bei den Attacken nicht um versuchten Mord gehandelt und die Beschuldigten zur Tatzeit betrunken gewesen seien. Unmittelbar vor der Urteilsverkündung wollten die Anwälte der Beschuldigten erneut in die Beweisaufnahme eintreten.

Der Grund: Bruno N. könnte die Täter durch rassistische Äußerungen provoziert haben. "Ihr seid das Volk, das Probleme macht", soll das Opfer nach Aussage von Serkan A. zu den Beschuldigten damals gesagt haben. Zudem könne ein ehemaliger Schüler des Ex-Pädagogen eventuell bestätigen, das  N. auch früher in der Schule eine rassistische Äußerung getätigt habe. Das Opfer hatte den Anschuldigungen von Serkan A. bereits bei seiner Zeugenaussage entschieden widersprochen. Und selbst Spyridon L. hatte vor Gericht erklärt, daß er nichts gehört habe. Staatsanwalt  Laurent Lafleur warf den Verteidigern von Serkan A. darauf eine "besonders niederträchtige Art der Verteidigung" vor.

Die Tat hatte deutschlandweit für Empörung gesorgt und spielte vor allem während des hessischen Landtagswahlkampfs eine nicht unerhebliche Rolle. Die CDU hatte damals Wahlplakate mit Bildern  des Opfers aufstellen lassen. "Das mußte nicht sein", hatte N. die Aktion in seiner Zeugenaussage kritisiert. Der Fall hatte auch eine Debatte um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts ausgelöst. Die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer "Weißer Ring" hatte dessen Anwendung bei heranwachsenden Tätern in Frage gestellt. "Noch immer erhalten zu wenige jugendliche Täter auch eine Strafe", beklagt dessen Bundesvorsitzender Reinhard Böttcher. Die Politik müsse zudem das Thema Kriminalität mehr aus Opfersicht behandeln, fordert der "Weiße Ring" weiter. Ein Appell, der wohl auch an die Adresse des ZDF gerichtet sein dürfte. Im "heute-journal" vom vergangenen Sonntag hatte der Sender einen recht einseitigen Vorabbericht zur Urteilsverkündung gesendet.  Während Schwester, Mutter und Anwalt von Serkan A. ausgiebig Sendezeit gewährt wurde, kamen in dem Beitrag weder Opfer noch Ankläger zu Wort.

Und auch die taz zeigte jüngst, wie man Opfer ins Zwielicht bringt. "Wir müssen ein paar Neger in die Ecke stellen", soll Bruno N. einst als Lehrer an der Hermann-Frieb-Schule angeblich gesagt haben, zitiert das Blatt einen ehemaligen Schüler des Geschädigten. Wie ein Feldmarschall habe N. auf ihn gewirkt. Herrisch sei er gewesen, ein Mann, der die Konfrontation suchte, wird der Schüler weiter wiedergegeben. Und ein Problem mit Ausländern habe er auch gehabt. Aussagen vom Opfer oder dem Staatsanwalt findet man auch hier vergeblich.

Was Ina Anders und Carola Becker dagegen über Bruno N. erzählen, klingt anders. Die beiden Frauen, 60 und 61 Jahre alt,  hatten N. noch als jungen Lehrer erlebt, als sie die Höhere-Töchter-Schule besuchten. "Er war gerecht", erinnert sich Carola Becker. Von der Tat war sie schockiert. "Er hat doch nur auf etwas hingewiesen, was rechtens war", ist sie fassungslos. "Du sagst ja bald nichts mehr, weil du Angst hast, daß du eine reingebollert bekommst", ergänzt Ina Anders. Beide meinen: Die Täter gehören abgeschoben.

Genau das schlägt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor. Angezählt durch schlechte Umfragewerte versucht er offenbar mit markigen Worten zu punkten. Ob dies jedoch rechtlich durchsetzbar ist, darf bezweifelt werden. Als Grieche ist Spyridon L. EU-Bürger, Serkan A. ist in Deutschland geboren. Ihre Anwälte haben bereits angekündigt, gegen die geplante Ausweisung vorzugehen.

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