© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

Versunkene Welt
Salon war gestern: So mancher Nachruf auf den Kultursoziologen Nicolaus Sombart transportiert ein Mißverständnis
Thorsten Thaler

Der Salon war sein Leben, jedenfalls ein sehr beträchtlicher Teil davon, und natürlich hat kaum ein Nachrufer darauf verzichten können, auf diesen Umstand hinzuweisen. Schon die Mutter von Nicolaus Sombart hatte einen Salon geführt, dem das Kind als "aufmerksamer Zuhörer und stiller Beobachter" beiwohnte, weil ihn die Menschen, die sich dort versammelten, faszinierten. "Jeder hatte seine ganz unverwechselbare Physiognomie, stellte etwas Besonderes, Einzigartiges dar, repräsentierte einen bestimmten Ausschnitt der Welt. Dem näher auf die Spur zu kommen, war meine Passion", erinnerte sich der 1923 geborene Nicolaus Sombart Jahrzehnte später in seinem Bericht "Jugend in Berlin", der die Jahre zwischen 1933 und 1943 umfaßt.

In dem Buch kommt Sombart auch auf eine frühe Selbstdarstellung von ihm zu sprechen, die mit dem Satz begann: "Was ich bin und weiß, verdanke ich der Bibliothek meines Vaters und dem Salon meiner Mutter." Man greift psychologisch sicher nicht zu weit aus, wenn man in dieser Jugendprägung den tieferen Wurzelgrund dafür sieht, daß er selber nach seiner Rückkehr aus Straßburg, wo der promovierte Kultursoziologe dreißig Jahre lang als Leiter der Kulturabteilung des Europarates tätig war, in seiner Geburtsstadt Berlin einen Salon begründete, der bald als der berühmteste der Stadt galt. Dennoch liegt der Verdacht nahe, daß es sich dabei um ein Mißverständnis handelt. Ein Salon, wie ihn Sombart noch erlebt hatte, war als Institution längst passé, weil die bildungsbürgerliche Gesellschaftsschicht, die ihn überhaupt erst dazu machte, ebenfalls längst nicht mehr existierte. Wer sich bei ihm traf, ausgenommen einige wenige Solitäre, spielte allenfalls mit angelesenen Versatzstücken und sonnte sich ansonsten in der Wichtigkeit, dabeisein zu dürfen. Davon kündete jetzt auch noch so mancher Nachruf auf den vergangenen Freitag im Alter von 85 Jahren verstorbenen Nicolaus Sombart.

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