© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Das lästige Erbe
20. Juli 1944: Warum die Erinnerung an die Chance zur deutschen Selbstbefreiung so leise ist
Christian Vollradt

Was könnte den geschichtspolitischen Umgang mit dem Datum "20. Juli 1944" in Deutschland besser veranschaulichen als das erbärmliche Gezerre um die Frage, ob die Bundeswehr am Jahrestag des Attentats auf Hitler ein öffentliches Gelöbnis vor dem Reichstag abhalten darf oder nicht? Das Grünflächenamt des Berliner Stadtbezirks Mitte sorgte sich um Wohl und Wehe der ihm anvertrauten Rabatten und sah die "Würde dieses Ortes" in Gefahr, wenn für den geplanten Staatsakt das Areal abgesperrt werden sollte; als hätte es in der jüngsten Vergangenheit nicht an Störungen solcher Feierlichkeiten durch die gewaltbereite linksextreme Szene gemangelt. Zwar murrte das offizielle Berlin, ein Aufschrei blieb jedoch aus. Außerdem entzündete sich die verhaltene Kritik am Vorgehen der Berliner Behörde eher am mangelnden Respekt gegenüber der Bundeswehr, während der Gedenktag 20. Juli, der solchen Aufwand vor dem deutschen Parlamentssitz ohnehin rechtfertigen würde, offensichtlich weit weniger ins Gewicht fiel.

Sicherlich steckt kein dezidiert politischer Wille hinter dem Berliner Schildbürgertum. Schließlich ist heutzutage niemand in öffentlicher Position gegen eine Ehrung des Grafen Stauffenberg und seiner Mitstreiter. Aber das offizielle Gedenken streift zunehmend bloß die Oberfläche - als Tat gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft - und klammert bewußt mit Vorsicht und Zurückhaltung die geistige Genese des gescheiterten Fanals aus. Weil es nicht "in das progressive Geschichtsbild paßt, daß der einzig bedeutsame Widerstand gegen Hitler von Kräften der alten Elite getragen wurde und auf tradierten Ideen beruhte" (Karlheinz Weißmann) - mithin also von "rechts" kam.

Selbst in der Bundeswehr, in der der 20. Juli offiziell zum Traditionsbestand gehört, scheut man den klaren Bezug zu den Inhalten der Verschwörer, die in ihrem Eid untereinander bekannt hatten, der "neuen Ordnung zu dienen" und den "künftigen Führern die Kämpfer" zu bilden, "derer sie bedürfen". Ein solches Selbstverständnis bringt vermutlich nicht den "Bürger in Uniform" zum Ausdruck. Die Gedenkpraxis wurde darüber längst zu einer bloßen Folie, die das heutige Selbstverständnis übezieht: es ist ein profanisiertes Ritual, dem die Kraft zur Sinnstiftung abhanden gekommen ist.

Der 20. Juli gehört ohne Zweifel zu den positiven "Dokumenten deutschen Daseins", doch auch hierbei "feiern" die Deutschen nahezu ausschließlich die Niederlage, reihen die Verschwörer ein in die Opfer, derer man gedenkt, ohne den Heroismus der Tat - der durch ihr Scheitern nicht angetastet wird - gleichermaßen zu würdigen. Selbst in der zur Identitätsstiftung heutzutage wesentlichen Populär-Kultur scheint es nicht zu gelingen: Stauffenberg als nationaler Held muß mit dem im nächsten Jahr anlaufenden Kinofilm via Hollywood erst reimportiert werden, während uns zum sechzigsten Jahrestag im deutschen Fernsehen bloß ein gebrochener Zweifler gereicht wurde. Und schlimmer noch. Von den Lobeshymnen an der Spitze von Staat und Gesellschaft abgesehen, setzt sich ein Bild des Widerstandes mit Hautgout durch. Was der antifaschistischen Kanonisierung widerstrebt, gilt nunmehr als "umstritten", fällt damit über kurz oder lang der Tilgung aus dem ehrenden Gedenken anheim; und kein Wort ist unpassender als "umstritten": Denn für einen richtigen Streit fehlt die Gegenpartei, solange sich kein lautstarker Widerspruch regt gegen die, die einseitig bestreiten.

Das dokumentieren allein für das Themenfeld "Widerstand" zwei Beispiele aus diesem Jahr: Der renommierte "Gerhard-Ritter-Preis" - verliehen für herausragende Leistungen junger Geschichtswissenschaftler - wird umbenannt. Denn der 1967 verstorbene Namenspatron, ein meinungsführender Historiker in der jungen Bundesrepublik, der zudem als Mitglied der Bekennenden Kirche sowie Freund des Widerständlers Carl Goerdeler 1944 verhaftet und ins KZ verbracht worden war, hatte sich ein wenig zu herablassend über die Weimarer Republik geäußert und einer aristokratischen Staatsform das Wort geredet. Damit sei die Verbindung zu seiner Person "nicht mehr zeitgemäß".

Fallbeispiel zwei: Die Berliner Erich-Hoepner-Oberschule änderte ihren Namen im Mai, unter anderem weil der hingerichtete Generaloberst am Beginn des Rußlandfeldzuges einen Aufruf in zeitbedingt "antibolschewistischer" und slawophober Wortwahl unterzeichnet hatte. Außerdem, wendet der postheroische Nachwuchs ein, habe Hoepner am Tag des Aufstands selbst, "keine so gute Figur gemacht". Weil er das Angebot, sich selbst zu erschießen abgelehnt hatte und sein Leben erst an den Fleischerhaken von Plötzensee aushauchen mußte? Von einer mit Verve geführten Verteidigung zur Ehrenrettung der solchermaßen ungerecht beurteilten Widerständler konnte jedoch keine Rede sein.

Wo der Widerstand nicht entweder erklärtermaßen links war, oder aber mindestens das Grundgesetz vorwegnahm, ist er nicht mehr tadellos. Letzteres führte in früheren Jahren dazu, entsprechend Unpassendes herauszustreichen. So ist etwa die Verstümmelung des Verschwörerzitats erklärbar, das den 20.-Juli- Gedenkstein in einer deutschen Universitätsstadt ziert: "Wir wollen eine neue Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt", heißt es dort; verschwiegen wird jedoch der zweite Teil des Satzes: "... verachten aber die Gleichheitslüge und verneigen uns vor den naturgegebenen Rängen". Auch dies ist ein Beleg, daß die Deutschen offensichtlich historische Personen und ihr Tun nicht aus deren Zeit heraus würdigen können.

Vielleicht bleibt nur einer aufgeklärten Elite das Gespür für die Tragik vorbehalten, die es im Gedenken an Tat und Wollen der Verschwörer auszuhalten gilt: Der 20. Juli 1944 hätte das sein können, als was der 8. Mai 1945 gilt - und was er für den Großteil der Deutschen doch nicht war: ein Tag der Befreiung.

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