© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

Lauter Holzwege
Der Doppelpaß-Streit und die Fehlsteuerungen der Einwanderungspolitik
Michael Paulwitz

Die SPD, Grüne und Einwandererverbände blasen wieder zum Sturm auf das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht: Die doppelte Staatsbürgerschaft soll für jugendliche, vornehmlich türkische Einwanderer freigegeben werden. Die Debatte ist ein Lehrstück, wie sich Einwanderungs-Lobbyisten in Parteien und Verbänden die Bälle zuspielen, um Staat und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen umzuformen.

Überraschen konnte das Wiederaufflammen des Doppelpaß-Streits niemanden: Die Optionsregelung, wonach sich bei Geburt "automatisch" eingebürgerte junge Ausländer in einem Korridor von fünf Jahren nach Erreichen der Volljährigkeit zwischen dem deutschen und dem angestammten Paß entscheiden sollen, war von Anfang an eine unpraktikable Fehlkonstruktion, die zwangsläufig die Frage einer Revision aufwerfen mußte.

Rot-Grün vertraute beim Aushandeln dieses Kompromisses auf die Durchsetzungskraft der einmal geschaffenen Fakten und war damit in der stärkeren Position gegenüber einer Union, die darauf bedacht war, Beruhigungspillen für ihre Wähler auszuhandeln, denen sie sich in oft geübter Pose als Verhinderer noch schlimmeren Übels präsentieren wollte. Fast sah es aus wie ein abgekartetes Spiel, bei dem beide Seiten dasselbe im Sinn haben und Streit und Kompromisse nur inszenieren, um unterschiedliche Kommunikationsbedürfnisse der jeweiligen Klientel zu bedienen.

Die Anspruchseinbürgerung nach einer gewissen Aufenthaltsdauer, ein Unikat im westlichen Staatsbürgerschaftsrecht, hat in den Neunzigern bekanntlich der Mann erfunden, der heute "keinen politischen Handlungsbedarf" für eine Revision der wackeligen Optionsregelung sieht und erst mal weiter "in aller Ruhe" abwarten will: Innenminister Wolfgang Schäuble. Mehr Einbürgerungen wünscht sich auch Parteifreundin Maria Böhmer, für "Integration" zuständige Staatsministerin.

Ihren Werbefeldzug für den deutschen Paß nahmen türkische Verbände, voran die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) und ihr Vorsitzender Kenan Kolat, zum Anlaß, mit der Forderung nach generellem Doppelpaß und freier Wahl der Staatsbürgerschaft für Jugendliche in die Offensive zu gehen, was von den rot-grünen Lobbyisten Sebastian Edathy und Claudia Roth umgehend aufgegriffen wurde; SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz bescheinigte den türkischen Verbänden, ihre Forderungen lägen "voll auf der Linie der SPD-Fraktion".

Was die strukturelle linke Mehrheit - auch die Kommunisten stimmen in die Melodie ein - damit bezweckt, ist klar: Sie sehen in den automatisch eingebürgerten geburtsstarken Einwandererkohorten ihr Wählerreservoir von morgen. Was die Einwandererverbände wollen, ist ebenfalls offensichtlich: Sie wollen unter Lippenbekenntnissen zur "Integration" nach Erdogan-Lesart segregierte Parallelgesellschaften festigen und ausbauen, die ihnen künftig noch steigenden Einfluß sichern sollen. Von daher die maßlose Polemik gegen Korrekturversuche einer fehlgeleiteten Einwanderungspolitik wie die Einführung von Einbürgerungstests und von Zuzugsbeschränkungen für sprachunkundige minderjährige Zwangsbräute aus der anatolischen Provinz.

Der Union, gefangen zwischen den Erwartungen ihrer Wähler und der Diskurshegemonie der Multikulturalisten und zusätzlich vom Zentralrat der Juden mit Kritik am Fragenkatalog zum Einbürgerungstest unter Sperrfeuer genommen, bleibt da nur defensives Lavieren. Man möchte ja gerne glauben, daß CDU und CSU, wie der innenpolitische Sprecher ihrer Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach versichert, zurück zum alten Staatsangehörigkeitsrecht vor Rot-Grün möchten, weil es "keine doppelten Loyalitäten" geben könne - während die TGD offen die "Anerkennung der Bikulturalität" fordert.

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hartmut Koschyk, hat ja durchaus recht, wenn er den Doppelpaß als "schlimmen Holzweg für die Integration" bezeichnet, weil er den Einwanderern die positive Entscheidung für Deutschland aus eigenem Antrieb abnehme und Parallelgesellschaften fördere. In der von Roth und Edathy süffisant ausgemalten Konsequenz hieße das freilich in den kommenden Jahren, Hunderttausende junge Doppelstaatler gegen den massiven und gutorganisierten Widerstand der Multikultur-Lobby auszubürgern. Ob eine unionsgeführte Regierung, gleich in welcher Konstellation, dafür wohl die Nerven hätte?

Die eigentliche Herausforderung für die Zukunft des deutschen Gemeinwesens tritt vor diesem Streit in den Hintergrund: Wie knackt man Parallelgesellschaften, die sich bewußt und gezielt dem Leben in einer modernen Industriegesellschaft verweigern, und wie entschärft man den sozialen Sprengstoff einer rasant wachsenden Zahl eingewanderter Dauer-Transferempfänger? Summarische Einbürgerungen sind statistische Kosmetik, während sozialpädagogische Begleitprogramme, vom Integra-tionskurs bis zur Bildungspatenschaft, sich an den Symptomen abarbeiten, ohne die Ursachen anzupacken. Die liegen in einer fehlgesteuerten Einwanderungspolitik, die potentielle Leistungsträger abschreckt und Unterschichten magisch anzieht. Solange darüber kein Konsens besteht, werden alle Integrationsbemühungen trotz Milliardenaufwands im Wortgeklingel steckenbleiben.

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