© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/08 18. Juli 2008

DVD: Douglas Sirk
Meilenstein
Martin Lichtmesz

Dem an der Ostfront eingesetzten jungen Landser Ernst Gräber (John Gavin) werden 1944 drei Wochen Urlaub gewährt. Er kehrt in seine in Trümmern liegende Heimatstadt zurück. Das Elternhaus ist ausgebombt, die Familie verschollen. Er verliebt sich in Elisabeth (Lilo Pulver), deren Vater aufgrund einer Denunziation in ein Konzentrationslager eingewiesen wurde. Doch den Liebenden läuft die Zeit davon: der Tag, an dem Ernst wieder einrücken muß, naht unerbittlich. Bedroht von den Bombenangriffen der Alliierten und dem Terror der Gestapo gleichermaßen, klammern sich Ernst und Elisabeth verzweifelt an jede Minute, die sie zusammen verbringen können.

Eine tragische Liebesgeschichte, deren gutaussehender, romantischer Held das Feldgrau der Wehrmacht trägt, und die nebenbei das Leiden der deutschen Zivilbevölkerung emphatisch darstellt, kann man sich vielleicht im Zuge der Geschichtsfilmwelle ("Die Flucht", "Die Gustloff") inzwischen wieder vorstellen. Dennoch: Würde Douglas Sirks "Zeit zu leben und Zeit zu sterben" (A Time to Love and a Time to Die, 1958) heute gedreht werden, so würde sich vermutlich eine Flut von Empörung und Hohn über den Film ergießen, werden hier doch, in der Diktion des korrekten Geschichtsbildes, "die Täter zu Opfern gemacht".

Der 1897 in Hamburg als Detlef Sierck geborene Sirk, der 1937 aus Deutschland emigriert war, inszenierte 1958 einen klassischen, hyperartifiziellen Schmachtfetzen mit einem für Hollywood ungewöhnlichen Sujet. Zum ersten Mal für das US-Publikum schilderte ein Film den Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive des ehemaligen Feindes und demonstrierte, daß auch auf der anderen Seite normale Menschen liebten und starben. Die Schrecken des Bombenkriegs bleiben dabei ebensowenig ausgespart wie die Verbrechen des NS-Regimes.

Die Deutschen erscheinen dabei jedoch als alles andere als ein "Tätervolk", selbst Ernsts Verwicklungen in das System werden ohne Moralisieren gezeichnet: So muß er zu Beginn des Films dem Befehl Folge leisten, russische Geiseln zu erschießen, und später versucht er, sich Deckung zu verschaffen, indem er sich mit einem ehemaligen Schulfreund gutstellt, der inzwischen zum NS-Bonzen aufgestiegen ist. Der Konflikt zwischen Pflicht, äußerem Zwang und dem eigenen Gewissen führt in der gewaltigen Schlußsequenz schließlich zu einer schockierenden Wendung. Im Zentrum des Films stehen jedoch Glück und Schmerz des Liebespaares, das sich dem Maelstrom seiner Zeit nicht entziehen kann.

Der junge Jean-Luc Godard war von "Zeit zu lieben und Zeit zu sterben" so begeistert, daß er 1959 einen hymnischen Artikel schrieb, der zum Meilenstein des späteren Sirk-Kultes wurde. Der als "Schnulzenregisseur" verschrieene Regisseur avancierte zum Idol einer neuen Generation von Filmemachern. Faßbinders "Ehe der Maria Braun" etwa verdankt dem Film eine ganze Menge.

Die literarische Vorlage stammt übrigens von Erich Maria Remarque - schon die Verfilmung von "Im Westen nichts Neues" von 1930 hatte eine ähnlich korrigierende Wirkung in bezug auf das "Image" der Deutschen im US-Kino. Remarque selbst spielt eine kleine, symbolbeladene Rolle als von den Nationalsozialisten geächteter Professor. Weitere Glanzlichter sind Liselotte Pulver in einer ihrer besten Rollen und Klaus Kinski in einem kurzen, aber eindringlichen Auftritt als diabolischer Gestapo-Offizier.

"Zeit zu leben und Zeit zu sterben" ist ein Meisterwerk des melodramatischen Gefühlskinos, dessen Wiederentdeckung sich lohnt.

DVD: Zeit zu leben und Zeit zu sterben, Carol Media Home Entertainment, 2008 Laufzeit: ca. 121 Minuten

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