© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/08 25. Juli / 01. August 2008

Konservative Runderneuerung
USA: Demokraten wie Republikaner leiden unter der Ansicht, daß die Regierenden den Blick für die Durchschnittsbürger verloren haben
Elliot Neaman

Der amerikanische Konservatismus steckt in einer Krise. Vor acht Jahren hatten Karl Rove und Ken Mehlman Hoffnungen auf langfristige republikanische Mehrheiten genährt. Die Demokraten, das versprachen George W. Bushs Vordenker, könnten Wahlen nur noch an den Küsten und in den Großstädten gewinnen. Doch inzwischen hat sich die Lage gedreht, und Demokraten fordern Republikaner heute in Wahlkreisen und Staaten heraus, die bisher noch als rechte Hochburgen galten. Die Republikanische Partei ist mit ihrem Latein am Ende. Mit der Angst im Nacken, im kommenden November hart abgestraft zu werden, machen sich ihre Führer und Vordenker Gedanken, wie sie ein neues Image für die Grand Old Party (GOP) entwerfen können.

John McCain, ungeliebt bei den Evangelikalen auf dem rechten und mißtrauisch beäugt von den Wirtschaftsliberalen auf dem anderen Flügel, liegt in den Umfragen hinter Barack Obama. Sollte McCain im November gewinnen, dann nur wegen einer "Oktober-Überraschung" wie einem Angriff auf Irans Atomanlagen. Wechselwähler würden dann schweren Herzens feststellen, daß sie es nicht über sich bringen, für einen unerfahrenen, jungen Afroamerikaner zu stimmen - selbst wenn der talentierter, eloquenter und klüger ist.

Doch wenn McCain verliert, dann wird die GOP zu einer echten Selbstfindung gezwungen sein. Die innerparteiliche Diskussion begann bereits nach der Wahlniederlage von 2006. Bush ist der unpopulärste Präsident in der US-Geschichte. 80 Prozent glauben, daß ihr Land "in die falsche Richtung" geht. Um die "Marke" Republikaner zu reparieren, muß einiges getan werden. Ein Teil der Konservativen argumentiert, daß die Republikaner unbeliebter werden, weil sie sich von ihren Grundüberzeugungen (Verringerung der Staatsaktivität, Steuersenkung) entfernt haben. Außerdem hätten sie Themen wie Waffenbesitz oder Abtreibung heruntergespielt.

Doch der Reformflügel widerspricht dem, und Ross Douthat und Reihan Salam haben in ihrem Buch "Grand New Party: How Republicans Can Win the Working Class and Save the American Dream" (Bantam Dell Books 2008) dessen Argumente zusammengefaßt. Die beiden Jungkonservativen warnen, daß Antipathie gegen einen starken Staat den US-Konservatismus in ein langandauerndes Exil in den Wüsten der amerikanischen Politik verbannen werde. Die Reagan-These, die Regierung sei nicht die Lösung, sondern das Problem, sei "out". Die Schaffung einer besseren Regierung dagegen sei "in".

Der einzige Weg zum Wahlsieg seien Programme, die den Amerikanern wirklich helfen. Diese seien instinktiv konservativ, wendeten sich aber den Demokraten zu, weil sie ihnen eher zutrauten, ihre Probleme zu lösen. Beide Parteien litten unter der Ansicht, daß die Regierenden den Blick für die Durchschnittsbürger verloren haben. Bushs Umfragewerte mögen niedrig sein, aber die Zahl derer, die befürworten, was der festgefahrene Kongreß in den letzten acht Jahren getan hat, ist sogar noch niedriger. Barack Obamas Botschaft von change sei ein Signal an die Wähler, daß sich unter den Demokraten die Dinge in Washington ändern werden.

Beide Seiten in diesem GOP-Streit beanspruchen für sich das Erbe von Barry Goldwater, Richard Nixon und Ronald Reagan, ziehen jedoch einen Teil der Botschaften von diesen Gründervätern des modernen US-Konservatismus ab. Für Douthat und Salam bestand die "schweigende Mehrheit", die Nixon 1968 an die Macht brachte und die republikanische Herrschaft 1980 durch die Wahl für Reagan verfestigte, aus derselben Art von Wählern, die einst Franklin Delano Roosevelts Koalition ausgemacht hatten: patriotische, unabhängige, wertkonservative Arbeiter und Farmer. Der Unterschied zur Gegenwart besteht darin, daß diese Klientel von der Globalisierung und der Umstrukturierung der US-Wirtschaft übel zugerichtet worden sei.

Wenn Douthat und Salam recht haben, dann entsteht die Hauptsorge der Mittelklasse aus dem Niedergang der klassischen Familie. Statistiken zeigen, daß Scheidungsraten und die Zahl unehelicher Kinder bei der Arbeiterschicht viel größer ist als bei den gebildeten, städtischen Eliten. Weniger finanzielle Mittel zu haben, bedeute Auflösung der Familie. Alleinerziehende Eltern tendieren dazu, arm zu sein und auch zu bleiben. Es ist eine endlose Spirale.

Demokraten bereitet es keine Freude, sich mit den kulturellen und sozialen Ursachen von Armut auseinanderzusetzen. Sie beschränken sich auf die Feststellung, daß die Reichen einfach zu viel haben und weniger bekommen sollten, damit daraus große Regierungsprogramme bezahlt werden können. Wähler aus der Arbeiterklasse empfinden dies nicht nur als gönnerhaft, sie sind auch argwöhnisch, wenn die Regierung Geld in Infrastruktur, Schulen oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen pumpt, die ihnen nicht direkt zugute kommen.

Die liberalen Eliten sind verwirrt, wenn sich herausstellt, daß arme Wähler konservative Werte vertreten, die sie eigentlich gar nicht vertreten sollten. Diese Einstellung wurde am besten von Thomas Frank dargestellt, der in seinem Buch "What's the matter with Kansas?" die sterbenden Bauernhöfe der Great Plains untersucht und darzustellen versucht hat, warum diese Wähler Bush favorisierten, obwohl ihre wirtschaftlichen Interessen sie zu Demokraten machen sollten.

Franks Antwort war, daß "Ideologie" (Religion und konservative Überzeugungen) den Wählern so sehr die Hirne "vernebelt" habe, daß sie nicht mehr in der Lage waren zu sehen, daß sie eine Partei wählen, die ihnen mehr schadet als nützt. Karl Marx nannte dies "falsches Bewußtsein". Douthat und Salam stellen Marx auf den Kopf und behaupten, daß Abtreibung, Familie, Sozialstaat und Kriminalität Themen erster Ordnung sind, und daß die Partei gewinne, die dies am besten erkennt.

Ihre Reformvorschläge für die Republikaner-"Marke" sind überzeugend, aber nicht neu. Bereits in den sechziger Jahren wiesen Demokraten wie Senator Patrick Moynihan oder Publizisten wie Irving Kristol und Nathan Glazer auf negative Effekte des Sozialstaats und den Niedergang der Familie in den Ghettos als Hauptursache für die Armut dort hin. Diese Männer waren die ersten "Neokonservativen" - ein Begriff, der einen langen und charakteristischen Stammbaum hat und jetzt besudelt ist durch die Assoziation mit den Neocon-Falken, die den Krieg gegen den Irak befürwortet haben. Als Bush 2001 ins Amt kam, da basierte seine Forderung nach einem "mitfühlenden Konservatismus" zum Teil auf der sozialen Philosophie jener Neokonservativen, aber das wurde bald vom 11. September überlagert.

Der amerikanische Konservatismus basiert auf einer Philosophie der Freiheit und einer Rolle des Staates, die wahrhaft einzigartig ist. Von den ersten Tagen der Republik an sahen sie sich als freie, unabhängige und selbständige Bürger. Europäer machen sich über den american dream lustig - aber Immobilienbesitz etwa hat einen symbolischen Wert, der Glückseligkeit ausmacht. Diese wird eher durch harte Arbeit erreicht als durch Erbschaft oder starre Klassenstrukturen erworben. Sogar lange nachdem der unabhängige Yeoman-Farmer (gemeinfreier Grundstückbesitzer der Pionierzeit) verschwunden ist, basierte die US-Demokratie noch immer auf dem Gedanken der klassenlosen Gesellschaft.

Die Tatsache, daß es immer Klassen in Amerika gegeben hat, widerspricht dem nicht. Denn diese Idealvorstellung trieb die Ausweitung von Freiheit und Rechten, die von der Verfassung nur versprochen, nicht aber umgesetzt wurden, vorwärts - zunächst zugunsten der Afroamerikaner, dann zugunsten von Frauen und anderen Minderheitengruppen in der heutigen Ära.

Im Gegensatz dazu erhielt die Arbeiterklasse in Europa Rechte von den oberen Klassen nur aus Angst vor der Revolution. In England drückten Konservative die Ausweitung des Stimmrechts durch, und in Deutschland schuf Bismarck den Sozialstaat, um den wachsenden Einfluß der Sozialdemokraten zu verringern und "gehorsame" Arbeiter zu schaffen. So gesehen haben die Konservativen immer verstanden, daß Kultur der Schlüssel zur Politik ist.

Jetzt ist es eine schwere Aufgabe für die US-Republikaner herauszubekommen, wie sich das erreichen läßt, was die Demokraten in einigen wenigen Jahren zustande gebracht haben - die Loyalität der eigenen Basis erhalten und dann in die Wählerschichten einbrechen, die vor kurzem noch den Republikanern gehört haben.

Rudy Giuliani scheiterte, als er versuchte, den werteorientierten Konservatismus über Bord zu werfen und sich auf Sicherheits- und Wirtschaftsthemen konzentrierte. "Demokraten"-Republikaner wie Arnold Schwarzenegger, die linke Themen wie Umweltschutz, Homosexuellenrechte und Einwanderung aufgreifen, verkaufen sich auf der nationalen Ebene schlecht.

Aber die Versuche, einen neuen Weg zu finden, sind erkennbar. Die "große neue republikanische Partei" wird scheitern, wenn sie ihr traditionelles Programm und ihre Grundüberzeugungen beiseite legt. Aber sie wird ebenso scheitern, wenn sie sich nicht irgendwie verändert.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco

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