© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/08 08. August 2008

Eine Kultfigur
Medienecho: Stimmen zum Tod von Alexander Solschenizyn

"Solschenizyns Agenda war eine Art Orthodoxie der politischen Moral. Er verteidigte eine ursprüngliche sittliche Lebensweise, die nicht von Versuchungen des modernen Lebens und des Genusses verunreinigt war. Solschenizyn war aber auch eine Kultfigur als Chronist jener Unterdrückungsmaschinerie, die Generationen seiner Landsleute erzog und die russische Gesellschaft bis heute trägt. Als bodenständiger Historiker, den die russische Provinz erzogen hatte, hielt er freilich vom westlichen Liberalismus nichts. Sein Ideal war eine traditionenbehaftetet Basisdemokratie, für die er in der Schweizer Eidgenossenschaft ein modernes Vorbild fand."

Kerstin Holm, Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

"Er hat recht bekommen. Am Tag seines Todes ist in Deutschland, aus welchen Gründen auch immer, der 'Archipel Gulag' nicht lieferbar. Das ist kein kulturpessimistisches Symbol, sondern ein Zeichen dafür, was es heißt, wenn nach dem Sieg über die Geschichte die Geschichte weitergeht."

Frank Schirrmacher, Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

"Er war ein Kind jenes geistigen Rigorismus, der Pluralismus als temporäre Störung betrachtete und andere Meinungen nur als pädagogische Herausforderung. Wo immer er sein mönchisches, mörderisch produktives Leben verbrachte - im Zürcher Exil, im amerikanischen Vermont oder später im kapitalistischen Moskau -, seine Vision eines anderen, besseren Rußland stammte direkt aus dem Zeitalter der Ideologien. Solschenizyn betrieb den Sturz der Sowjetunion mit einer Verbissenheit, die jener der Herrschenden kaum nachstand, und die bittere Ironie liegt darin, daß er dieses Leben und dieses Werk ohne sie nie geschafft hätte. Solschenizyn gehörte zweifellos in eine Ära, in der sich ein Gesellschaftsentwurf, eine Welt, sogar die Wahrheit noch in einem einzigen Buch fassen ließ. Und nirgends wurde das Wort so verehrt und so gefürchtet wie im Osten Europas."

Süddeutsche Zeitung

 

"Der 'Archipel Gulag' war in seiner literarischen Wucht und seiner unhintergehbaren Authentizität für einen Großteil der eher auf Entspannung und Kooperation gestimmten westlichen Öffentlichkeit ein schwerer Schock. Noch mehr galt das für einen Großteil der Neuen Linken, die sich nach 1968 zu einem partiell meinungsführenden Segment der westlichen Öffentlichkeiten entwickelt hatten."

Gerd Koenen, Die Welt

 

"Gleichermaßen fanden die Bände von 'Archipel Gulag' ihren versteckten Weg in die DDR. Sie wurden hastig gelesen, weitergereicht und heimlich diskutiert. Es wäre eine Übertreibung zu sagen, die darin mitgeteilten Informationen hätten uns überwältigt. (...) Am Wahrheitsgehalt des Mitgeteilten bestand keinerlei Zweifel, nur wirkte der eifernde Tonfall des Vortrags für uns eher irritierend."

Rolf Schneider, Die Welt

 

"Der Gulag, das sowjetische System der Zwangsarbeitslager, war für die westliche Linke ein gemiedener, beschwiegener Bezirk - bis zur Veröffentlichung der Werke Alexander Solschenizyns in den späten 60er und frühen 70er Jahren (...) Gewiß, Solschenizyn zeigte sich schon bald als konservativer, christlich-russischer 'Patriot', der die westliche Zivilisation als Boten der Verderbnis und des Werteverfalls ablehnte. Aber die Wahrheit über den Gulag ließ sich mit dem Verweis auf die reaktionäre Grundhaltung des Autors nicht leugnen. Obwohl dies vielfach versucht wurde."

Christian Semler, die tageszeitung

 

"Solschenizyns Zukunftsentwürfe für seine Heimat bewegten sich unterdessen im reaktionären Gedankengut des 19. Jahrhunderts. Der Verrechtlichung und der Legitimation durch Verfahren im Westen stellt er ein organizistisches Weltbild gegenüber, das Anleihen der den Ideologen der konservativen Revolution der Weimarer Republik gemacht haben könnte."

Klaus-Helge Donath, die tageszeitung

 

"In der westöstlich geteilten Welt der Nachkriegszeit war es höchst ungewöhnlich, daß jemand beide Seiten, den Kapitalismus ebenso wie den Kommunismus, zu kritisieren wußte, ohne sie zu dämonisieren und gegeneinander aufzurechnen. Die Salonideologie eines Dritten Wegs zwischen Kapitalismus und Kommunismus war für ihn auch kein Thema, und er war kein Taktiker und kein geschmeidiger Formulant. Ihm ging es um die Wahrheit, die historische und die geschichtsmächtige. Daß er nicht nur den Kommunismus, sondern auch die westliche Moderne ablehnte, ließ ihn bald als Erben alter russischer Geistestendenzen erscheinen - und das reichte damals in den frühen Siebzigern beinahe, um als diskreditiert zu gelten. In der Öffentlichkeit wimmelte es von Denunzianten. Sie lebten vom richtigen Leben im falschen - um ein Wort Adornos zu variieren. Sie lebten ganz gut davon."

Richard Wagner, Die Tagespost

 

"Der politisch-publizistische Solschenizyn mag viele abstoßen. Aber er hat glücklicherweise weit mehr geleistet. Es wäre zu wenig, ihn die herausragendste Persönlichkeit seiner Epoche zu nennen. Er war selbst eine ganze Epoche."

Berliner Zeitung

 

"Das Beispiel Solschenizyns zeigt, wie groß die Macht des Schriftstellers sein kann, wenn er der bisher unterdrückten, der unbequemen Wahrheit zum Ausdruck verhilft."

Stuttgarter Zeitung

 

"Wenn es ein Schriftsteller im 20. Jahrhundert vermochte, Veränderungen in der Gesellschaft oder in der Ausrichtung von Politik zu bewirken, dann war es Alexander Solschenizyn."

Nordkurier

 

"Solschenizyns Zivilcourage verdient in der Tat höchste Anerkennung. Allerdings wird man seiner artistischen Vielfalt nicht gerecht, wenn man ihn auf seine Rolle als Ankläger eines Terrorregimes reduziert. Die monumentale Darstellung des sowjetischen Straf- und Verfolgungssystems im 'Archipel Gulag' will nicht nur das Ausmaß des begangenen Unrechts dokumentieren, sondern bedeutet auch eine Rückbesinnung auf die erste Aufgabe von Kunst: den Menschen über seine Situation in der Welt aufzuklären. Der künstlerische Aspekt von Solschenizyns Werk ist allerdings in den Wirren der Tagesaktualität untergegangen."

Neue Zürcher Zeitung

 

"Ob seine Sicht der Dinge mit der russischen oder gar der westlichen kompatibel ist, hat Solschenizyn nicht gekümmert. Und daß er allein deswegen, weil er die Verbrechen des Kommunismus minutiös formulierte und dafür mit seinem eigenen Schicksal bitter bezahlte, als Demokrat westlichen Verständnisses gelten sollte, wäre ihm selbst nicht in den Sinn gekommen."

Die Presse, Österreich

 

"Alexander Solschenizyns Anprangern sowjetischer Arbeitslager hat ein gewaltiges Echo ausgelöst. Im vergangenen Jahrhundert war er einfach Rußlands größter Schriftsteller. (...) Als literarisches Opfer eines repressiven Systems haben seine Werke eine Dimension der Wahrheit erreicht, die eine weltweite Leserschaft berührte und das sowjetische System bis in seine Grundfeste erschüttert hat."

Guardian, Großbritannien

 

"Er hatte alles überlebt: Die Revolution, den Krieg, den Gulag, den Krebs, den KGB, das Exil - all die schlimmsten Dinge, die einem Menschen - und besonders einem Russen - im vergangenen Jahrhundert widerfahren konnten. Ihm schien kein gewöhnliches Schicksal beschieden, und sicherlich hätte Alexander Issajewitsch Solschenizyn in den langen Jahren seines persönlichen Kampfes gegen den Kommunismus nie gedacht, daß er einmal so sterben würde, wie er gestern Abend gestorben ist: in Moskau, in seinem Haus, im Alter von 89 Jahren."

La Stampa, Italien

 

"Solschenizyn hat bewiesen, daß Mut und innerer Widerstand die Lügen und Morde des Staates überwinden können. Er hat die Masken abgerissen, als er den Russen und später den Westlern die Augen über den 'wirklichen Sozialismus' weit geöffnet hat.  Er war ein freier Mensch, aber in Wirklichkeit war er ein Gigant. Er glaubte fest daran, daß mutige Männer einen würdigen Platz in der Geschichte finden können. Weil das Engagement für die Wahrheit niemals endet, hat er den Kopf erhoben, als die Herrschenden von ihm verlangten, ihn zu beugen. Er war tragisch in seinem Kampf und ein Einzelgänger. Aber sein Kampf gegen die Unterwerfung hatte eine gewaltige Ausstrahlung. Er hinterläßt uns seine Kompromißlosigkeit, die uns für bevorstehende Kämpfe sehr nützlich sein kann."

La Croix, Frankreich

 

 "Manche Menschen können Berge versetzen, bisweilen mit einer einfachen Feder. (...) Er hat den Kommunismus nicht alleine zum Einsturz gebracht. Aber er hat (...) entschieden dazu beigetragen, die blutige Diktatur in der UdSSR und im Ausland bloßzustellen."

Le Telegramme, Frankreich

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