© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/08 22. August 2008

Artenschwund durch Stickstoff
Naturschutz: Die Intensiv-Landwirtschaft gilt als Hauptverursacher für Übersäuerung und Eutrophierung
Volker Kempf

In den letzten vier Jahrzehnten hat sich nicht nur der Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) durch den Menschen erhöht, sondern auch die Menge der global freigesetzten Stickstoffverbindungen verdreifacht. Dadurch ist die biologische Vielfalt langfristig gefährdet, warnt das Umweltbundesamt (UBA).

"Stickstoffliebende Pflanzen - wie die Brennessel und die Brombeere - verdrängen andere Arten. Grasfluren überwuchern ganze Lebensraumtypen, die an nährstoffarme Bedingungen angepaßt sind - wie Hochmoore oder Heiden -, die damit verlorenzugehen drohen", warnt UBA-Präsident Andreas Troge. Probleme entstünden auch in Kombination mit anhaltenden Trockenperioden, denn die sich ausbreitenden stickstoffliebenden Gräser bedrohten bei Trockenheit in Wäldern die Wasserverfügbarkeit für Bäume.

Die zu hohen Stickstoffeinträge stammen aus der Verbrennung fossiler Stoffe, aber auch aus der intensiven Tierhaltung sowie der Verwendung von Handelsdünger. Belastet hiervon seien 98 Prozent der empfindlichen Naturräume in Deutschland, so das UBA. Denn Stickstoff wirke versauernd und eutrophierend, also einseitig düngend auf Böden.

Die Angleichung der Lebensbedingungen in der Natur auf ein durch die Stickstoffeinträge bedingtes zunehmend versauertes und eutrophiertes Niveau reduziere die biologische Vielfalt. Denn Pflanzenarten, die an nährstoffarme sowie weniger saure Bedingungen angepaßt sind, hätten längerfristig geringe Überlebenschancen. Das UBA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß zahlreiche für Magerstandorte typische Pflanzenarten wie beispielsweise viele Flechten und Orchideen bereits auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen.

Die EU-Staaten verpflichteten sich mit der Richtlinie zu Nationalen Emissionsobergrenzen sowie in der Genfer Luftreinhaltekonvention dazu, die Eutrophierung und Versauerung bis 2010 im Vergleich zu 1990 deutlich zu reduzieren. Auch die UN-Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) erkennt das Problem an.

Um die erforderliche Minderung des Stickstoffeintrags zu erreichen, hält das UBA erhebliche Anstrengungen für notwendig. Etwa zwei Drittel der Stickstoffzufuhr stammt aus Mineraldünger, ein Fünftel aus Tierfutterimporten. Nur sechs Prozent werden über den Luftpfad eingetragen, beispielsweise aus Verkehrsabgasen. Der Rest ist der biologischen Stickstoff-Fixierung von Leguminosen wie Klee oder Erbsen anzurechnen, die in der Lage sind, Luftstickstoff in erheblichem Maße zu binden.

Vor allem die Landwirtschaft sei deshalb in die Pflicht zu nehmen: "Stickstoff als Ammoniak kommt zu 95 Prozent aus der Landwirtschaft. Wir haben also im Landbau noch einiges vor uns, dieser muß die Stickstoffemissionen deutlich reduzieren", forderte der Präsident der Dessauer Bundesbehörde.

"Landwirte können die Stickstoffeinträge in die Umwelt beispielsweise mit einer optimierten Fütterung und einem geringeren Stickstoffdüngereinsatz im Pflanzenbau mindern. Gülle sollte besser über Biogasanlagen vergoren und erst dann als Dünger auf die Felder gebracht werden. Das reduziert den Stickstoffeintrag und produziert gleichzeitig klimafreundliche Energie."

Die Landwirtschaft gerät deshalb ins Zentrum des Interesses für politische Steuerungsmöglichkeiten, weil die diffusen Nährstoffquellen jeweils dort ihr Maximum aufweisen, wo zu hohe Tierbestände auf austragungsgefährdeten Standorten gehalten werden. Dies ist beim Stickstoff im gesamten Nordwesten Deutschlands (Sandböden) und in einigen Gebieten des Alpenvorlandes (hohe Abflüsse) der Fall.

Eine gleichmäßigere Verteilung des Viehbesatzes wird vor diesem Hintergrund von Experten als hilfreich erachtet. Von einer Minderung der Viehbestände etwa durch eine Fleischsteuer wird beim UBA hingegen nicht gesprochen - dies ginge aber an die Haupt­ursache, die hohe Nachfrage nach Fleisch, heran.

Informationen zur Belastung der Ökosysteme durch Stickstoffeinträge finden sich auf den Internetseiten des UBA: www.umweltbundesamt-umwelt-deutschland.de/umweltdaten

Eine Studie der Europäischen Umweltagentur (EEA) zum Thema Biodiversitätsverluste findet sich unter: http://reports.eea.europa.eu

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