© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/08 05. September 2008

Rückkehr der Geschichte
Kaukasus: Spielstein in der Konfrontation zwischen den Großmächten
Alain de Benoist

Derzeit ist viel von einem Rückfall in die "Sprache des Kalten Krieges" die Rede, um die Spannungen zu beschreiben, die im Zuge der georgischen Krise wieder zwischen den USA und Rußland zutage getreten sind. Der Ausdruck ist nicht ganz falsch, sofern er sich auf die Verlautbarungen aus Washington bezieht. Aber er ist der Situation vollkommen unangemessen. Zu Zeiten des Kalten Krieges wies der Konflikt zwischen Weißem Haus und Kreml eindeutig ideologische Konturen auf: Dem sowjetischen Machtblock stand das gegenüber, was man damals die "freie Welt" nannte. Heute, nach dem Untergang des sowjetischen Systems, handelt es sich um einen anders gearteten Konflikt.

Der britische Außenminister David Miliband traf den Kern der Sache schon eher, als er sagte, Rußlands Politik sei "typisch für das 19. Jahrhundert". Das war als Vorwurf gemeint. Doch ist mit dem Ende des Kommunismus in Europa eine Situation entstanden, die sich durchaus mit jener des 19. Jahrhunderts vergleichen läßt. Schon damals war der Kaukasus ein Spielstein in der Konfrontation zwischen den Großmächten.

Daß heute nicht mehr die Ideologie die Bruchlinien zieht, hat einen einfachen Grund: Die Geopolitik beansprucht wieder den Rang, der ihr gebührt. Landmacht gegen Seemacht, Konkurrenz um die Quellen der Energieversorgung: Das sind die Bedingungen der Konfrontation, die sich momentan abzeichnet und deren Wirkungen weit über Georgien hinausreichen werden. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine Rückkehr zum "Großen Spiel" des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um die Rückkehr der Geschichte.

Nach dem Zerfall der UdSSR haben die Amerikaner sich nach Kräften bemüht, eine Renaissance Rußlands als große Regionalmacht zu verhindern. Zu diesem Zweck haben sie den Transport von Erdöl und Erdgas aus dem Kaspischen Meer über Tiflis begünstigt, die Schaffung der GUAM-Kooperationsachse zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus (Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, Moldawien) gefördert und sich für den Nato-Beitritt Georgiens und der Ukraine eingesetzt.

Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili hat sein Studium in den USA mit einem Stipendium des US-Außenministeriums finanziert, bevor er ab 1995 für die New Yorker Anwaltskanzlei Patterson Belknapp Webb & Tyler arbeitete. Sein Ministerpräsident Wladimer "Lado" Gurgenidse war von 1998 bis 2003 in London für den englisch-holländischen Bankriesen ABN-Amro tätig. Der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrats, Alexander "Kakha" Lomaia, war 2003/04 geschäftsführender Direktor von George Soros' Open Society Georgia Foundation. Temur Jakobaschwili, der Minister für Reintegration, gehört ebenso der Pro-Israel-Lobby an wie Verteidigungsminister Davit Kaseraschwili, der sogar israelischer Staatsbürger ist. Seit 2001 erhält die georgische Armee ihre Ausrüstung vor allem von Israel, ihre Streitkräfte werden von israelischen Beratern ausgebildet.

All dies erklärt den orwellianischen Sprachgebrauch, der derzeit von amerikanischer Seite zu hören ist. Georgien wird als "demokratischer" Staat dargestellt, sein Präsident als heldenhafter Kämpfer für die Menschenrechte. Tatsächlich herrscht Korruption, Regimekritiker werden ermordet, gefoltert oder ins Exil gezwungen.

Die russische Intervention wird schlimmstenfalls mit der Niederschlagung des Prager Frühlings vor vierzig Jahren gleichgesetzt, bestenfalls fehlt jeder Hinweis auf den Angriff Georgiens gegen Südossetien vom 8. August. Diese Aggression führte zu dem Massaker an über tausend Zivilisten und der Beinahe-Zerstörung der Stadt Tschinvali, die alleine den russischen Gegenschlag völkerrechtlich legitimierte.

Statt dessen werfen die USA Rußland eine "brutale Invasion" vor - dabei stellen ihre eigenen unilateralen Angriffe auf Afghanistan und den Irak Rußlands Reaktion eindeutig in den Schatten. Sie fordern eine Anerkennung der "territorialen Integrität" Georgiens, die sie selber Serbien verweigern, und verurteilen den "Separatismus" der Osseten und Abchasen, während sie jenen der Kosovaren unterstützen.

Die Heuchelei der Amerikaner wäre halb so schlimm, wenn die EU begriffe, was auf dem Spiel steht, und sich um eine eigenständige Position bemühte. Unter dem Vorsitz von Nicolas Sarkozy erklärte sie Georgien indes umgehend ihre Solidarität - dabei müßte ihr oberstes Ziel doch sein, eine dauerhafte Allianz mit Rußland zu schmieden, das ihr wichtigster Wirtschaftspartner ist und sicherheits- wie geopolitisch betrachtet wie sie zum "Kontinentalblock" gehört.

Das eigentliche Rätsel ist jedoch, warum Georgien überhaupt Südossetien angriff. Da Saakaschwili wohl kaum dumm genug ist, um zu glauben, daß Rußland nicht reagieren würde (geschweige denn, daß die georgischen Streitkräfte die Rote Armee schlagen könnten), bleiben nur zwei Hypothesen: Entweder wurde der georgische Präsident zu diesem Abenteuer von seinen amerikanischen und israelischen Beschützern verleitet, die damit den politischen Willen des Kreml auf die Probe stellen wollten - oder aber er handelte im Vertrauen auf amerikanische Unterstützung aus eigenem Antrieb, um seine persönliche Macht zu festigen. Beide Hypothesen sind gleichermaßen aufschlußreich.

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