© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/08 12. September 2008

Europäische Integration
Den Superstaat stoppen!
Dieter Stein

Mit einem Alarmruf hat sich diesen Montag Altbundespräsident und Bundesverfassungsgerichtspräsident a. D. Roman Herzog an die Öffentlichkeit gewandt: "Stoppt den Europäischen Gerichtshof" lautet die wenig zurückhaltende Überschrift über einer ganzseitigen Abhandlung in der FAZ. Es ist nicht das erste Mal, daß sich Herzog, ab 1983 Richter am Bundesverfassungsgericht und von 1987 bis 1994 dessen Präsident, in dieser Sache mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit wendet. Am 14. Januar 2007 erschien ein zweiseitiger Aufsatz aus seiner Feder in der Welt am Sonntag mit der nicht weniger alarmierenden Überschrift "Die europäische Union gefährdet die parlamentarische Demokratie in Deutschland". Koautor in beiden Fällen ist Lüder Gerken, Vorstand des Centrums für Europäische Politik in Freiburg und der Friedrich August von Hayek Stiftung.

Die Attacke richtet sich gegen den EuGH, dem Herzog und Lüdeke vorwerfen, in unzulässiger Weise in einer wachsenden Zahl von Urteilen "in die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten einzugreifen". Durch seine Urteile weite der EuGH absichtlich die Kompetenzen der EU gegenüber den Mitgliedsstaaten weiter aus und sorge dafür, daß der Einfluß des Gerichts "ständig zunimmt". Als "letztinstanzlicher Wächter der Subsidiarität und als Schützer der Belange der Mitgliedsstaaten" sei der EuGH "ungeeignet".

Demnächst steht beim Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über das strittige "Mangold-Urteil" des EuGH an, das die Frage der nationalen Durchsetzbarkeit der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie betrifft. Hier appellieren Herzog und Lüdeke eindringlich an die Bundesverfassungsrichter, den quasi automatischen Durchgriff von EuGH-Entscheidungen auf die nationale Rechtsprechung wieder einzugrenzen. Es geht kurz gesagt um den Wiedergewinn nationaler Souveränität und demokratischer Legitimität gegen eine krebsartig wuchernde Machtanballung auf EU-Ebene.

Dabei gibt es einen inneren Zusammenhang zu den ebenfalls beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Klagen der Linkspartei und des CSU-Politikers Peter Gauweiler gegen den Vertrag von Lissabon. In einem dazu vorgelegten Gutachten kritisiert der Staatsrechtler Dietrich Murswiek, daß der EuGH die letzte Entscheidung ("Kompetenz-Kompetenz") beansprucht, welche Kompetenzen der Europäischen Union zustehen. Damit wäre die Weiche zur Allmacht des Brüsseler Apparats irreversibel gestellt und die Nationalstaaten ohne demokratische Entscheidung entkernt.

Im 1993 von EU-Rebell Manfred Brunner erstrittenen Maastricht-Urteil drohte Karlsruhe selbstbewußt an, bei Kompetenzüberschreitungen EuGH-Urteile wieder aufzuheben. Das scharfe Schwert liegt in Karlsruhe. Längst ist der Punkt erreicht, daß es erstmals zum Einsatz kommen müßte ...

Sorgen bereiten muß uns, mit welchem Desinteresse die öffentliche Meinung auf diese die vitalen Interessen des Staates berührenden Fragen reagiert.

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