© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/08 26. September 2008

Das Desaster war abzusehen
Finanzkrise: Entscheid und Haftung müssen bei Staat wie Privaten endlich wieder zusammengeführt werden
Christian Dorn

Vor genau einem Jahr hatten sich im malerischen Zermatt Wissenschaftler, Unternehmer und Politiker zu einem Symposium zusammengefunden, um über das Schuldenmachen nachzudenken. Bei der Tagung unterhalb des Matterhorns ging es in erster Linie um die zukünftigen Lasten, die sich die Staaten mit ihren Versprechen für Renten, Gesundheitswesen und Sozialleistungen aufbürden.

Daß bereits damals viele US-Hausbesitzer ihre Hypothekarschulden nicht mehr bedienen konnten, wurde mit launigen Randbemerkungen abgetan. Daß der Finanzminister eines deutschen Bundeslandes vorzeitig abreisen mußte, um eine in Not geratene Landesbank zu retten (JF 52/07), "erregte kaum Aufsehen", erinnert sich Markus Schär. Von ihm stammt das Vorwort eines gerade erschienenen finanzpolitischen Vademecums, das der Schweizer Privatbankier Karl Reichmuth herausgegeben hat.

Es folgt einer Grunderkenntnis, die bei ebendiesem Symposium von Joa­chim Starbatty ausgesprochen wurde und die das Buch wie ein Mantra durchzieht. Es ist die Einsicht, daß das gesellschaftliche Verschuldungsproblem nur gelöst werden kann, "indem Entscheidung und Haftung zusammengeführt werden", so der emeritierte Tübinger VWL-Professor, der 1997 gemeinsam mit Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Karl Albrecht Schachtschneider gegen die Einführung des Euro klagte. Es ist eine Regel, die längst vergessen scheint.

Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert

Nach den Hypotheken können sich die Kreditkartenschulden der US-Bürger zum Problem entwickeln, denn ein Privatkonkurs ist in den USA einfacher und oft weniger folgenreich als in Deutschland. Mehr als drei Kreditkarten hat der Durchschnittsamerikaner, die teilweise bis zu 25.000 Dollar belastbar sind. Entscheidung und Haftung wieder zusammenzuführen ist zuallererst aber im Finanzbereich notwendig, der bislang die Gewinne privatisiert und die Verluste oft sozialisiert hat - sprich: dem Steuerzahler aufgebürdet hat.

Riskante Geschäftsmodelle von Banken und Hedgefonds ("Heuschrecken") oder undurchsichtige Anlagen und strukturierte Kredite sind nur so lange attraktiv, wie der oft geschmähte Staat (bzw. die Notenbank) als Retter in der Not im Hintergrund bereitsteht: Mit dem Argument too big to fail werden nicht nur in den USA Pleitekandidaten aufgefangen. Der Finanzdienstleister Bloomberg hat vor dem Aus der US-Investmentbank Lehman Brothers und der Quasi-Verstaatlichung der AIG (einst größter Versicherungskonzern der Welt) berechnet, daß die Finanzkrise weltweit über 500 Milliarden Dollar Abschreibungen "beschert" habe.

Der New Yorker Ökonom Nouriel Roubini prognostizierte im August Kreditausfälle von "mindestens einer Billion US-Dollar" (JF 35/08). Das dürfte inzwischen eine eher optimistische Schätzung sein. Die Finanzkrise kann daher nur überwunden werden, wenn alle - Individuen, Nationen und Finanzindustrie - für ihr Handeln auch die Konsequenzen tragen müssen. Die Autoren des Bandes sehen die seit dem "Schwarzen Freitag" 1929 größte Finanzkrise sogar "nur" als das bisher bedrohlichste Symptom eines grundsätzlichen Problems. Denn auch die Politik verspricht den Wählern das Blaue vom Himmel herunter - dabei sind etwa Deutschland, Japan oder die USA längst in Billionenhöhe verschuldet. Starbatty, Vorsitzender der 1953 gegründeten Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft ( www.asm-ev.de ), schildert in seinem Beitrag eindringlich, wie wir die Zukunft unserer Nachkommen "veruntreuen".

In einem historischen Exkurs zeigt er auf, daß die Schuldenpolitik kein Phänomen moderner Massendemokratien, sondern auch in Monarchien, Diktaturen oder Oligarchien anzutreffen ist. Entscheidendes Kriterium der Schuldenaufnahme ist der Zweck: Wird damit in die Kapitalgüterindustrie investiert oder wird konsumiert? Erfahrungsgemäß neigten Politiker letzterem zu und verschulden sich bereitwillig. Sie stünden damit im Widerspruch sowohl zu Adam Smith wie zu Karl Marx. Der mit der öffentlichen Verschuldung einhergehende Steuerdruck nimmt den Menschen die Freiheit, warnt Starbatty.

Wieder arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben

Für einen Ausweg hält er unter anderem das auch von Paul Kirchhof favorisierte Familienwahlrecht (JF 23/08). Auch über die wahren Kosten des Sozialstaates müsse aufgeklärt werden. Doch das war schon zu Zeiten der Römer schwierig, wie ein von Marcus Tullius Cicero überliefertes Zitat illustriert: "Der Staatshaushalt muß ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen abgebaut, die Arroganz der Behörden muß gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen verringert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben." Starbatty führt dazu passend den römischen Kaiser Mark Aurel an, der die Forderungen seiner Legionäre nach höherem Sold mit der Begründung ablehnte, er müßte sich dieses Geld über höhere Steuern bei ihren Vätern holen.

Wie Staatsschulden ganz real abgebaut und verhindert werden können, zeigt im anschließenden Beitrag Uwe Wagschal, der an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg vergleichende Regierungslehre lehrt. Beat Kappeler, bis 2000 Professor für Sozialpolitik in Lausanne zeigt auf, wie - statt Kaufkraft zu verschleißen - Vermögen zu bilden ist. Überzeugend legt er dar, warum die Kapitalgewinnsteuer wieder abzuschaffen sei. Überdies warnt er vor der Inflation, die bislang durch chinesische Importe und den Sprung der Informationstechnologie noch abgefedert werde.

Reichmuth, der als Privatbankier das Prinzip von Entscheid und Haftung vorlebt, kritisiert unter anderem das als "Basel II" bekannte und vermeintlich strenge System der Kreditvergabe. Er zitiert zur Verdeutlichung ebenfalls Cicero: "Nicht jene, die ein Gesetz mißachten, sind gefährlich, sondern jene, die die Gesetze ausnützen." Darüber hinaus gibt es natürlich noch jene, die Gesetze machen. Insbesondere für diese sollte das Buch Pflichtlektüre werden.

Karl Reichmuth, Joachim Starbatty u.a.: Weg aus der Finanzkrise - Entscheid und Haftung wieder zusammenführen. Verlag NZZ Libro, Zürich 2008, broschiert, 157 Seiten, 25 Euro

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