© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/08 03. Oktober 2008

Verhärtete Fronten
Rußland, die USA und der Westen: Offener Kampf um Macht und Einfluß
Karl Feldmeyer

Die schwerste Finanzkrise seit 1929 überschattet derzeit alles politische Geschehen; auch den Georgien-Konflikt. Vordergründig betrachtet geht es in Georgien um eine innere Angelegenheit dieses Landes, um die Sezession seiner Regionen Abchasien und Südossetien. Beide Gebiete wollen als unabhängige Staaten anerkannt werden. Ihre Bewohner, die ethnisch keine Georgier sind, kämpfen um den Erhalt ihrer Identität. Die nach dem Zerfall der Sowjetunion bei ihnen verbliebenen russischen Soldaten sehen sie als Schutz vor Georgien. Neunzig Prozent ihrer Bewohner haben die russische Staatsbürgerschaft erworben.

Daß diese Vorsicht begründet war, hat Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili bewiesen, als er am 8. August beide Gebiete mit Panzern und Artillerie angreifen ließ. Es waren russische Truppen, die Saakaschwilis Armee zerschlugen. Seither stehen russische Soldaten auch im georgischen Kerngebiet. Ihr Abzug und die Wiederherstellung des Status quo ante ist  Streitpunkt zwischen Moskau und dem Westen; auch deshalb weil ihre Anwesenheit eine Einbeziehung Georgiens in die westliche Interessenhemisphäre unmöglich macht.

Inzwischen hat Moskau durch die völkerrechtliche Anerkennung der beiden Gebiete als selbständige Staaten und den Abschluß von Beistandspakten mit ihnen eine neue Lage geschaffen. Sie sichert ihm Einfluß auf die Region. In wichtigen Teilen entspricht sie dem Vorgehen des Westens gegenüber Serbien im Kosovo-Konflikt. Das gilt zum einen für die militärische Intervention ohne Billigung der Vereinten Nationen. Es trifft ebenso für die Rettung  von Zivilisten vor militärischer Gewalt zu. Vor allem aber entspricht Moskaus Entscheidung, diese Territorien als selbständige Staaten anzuerkennen, derjenigen des Westens in bezug auf das Kosovo. Das könnte für den Fortgang der Affäre noch bedeutsam werden.

Der entscheidende Grund für den Konflikt zwischen Rußland und dem Westen  liegt aber jenseits völkerrechtlicher Fragen. Wichtiger als sie ist das besondere Interesse, das man in Washington an etlichen der souverän gewordenen einstigen Sowjetrepubliken entwickelt hat. Das gilt auch für die ölreiche Region ums Kaspische Meer und den Transkaukasus. Für Amerika geht es um Macht und Einfluß auf diese Region. Deshalb ist es bereit, Georgiens Wünschen zu entsprechen und das Land  möglichst rasch in die Nato aufzunehmen. Daß seine demokratische und rechtsstaatliche Verfassung von den Standards der Allianz weit entfernt ist, ignoriert man in Washington dabei geflissentlich.

Nicht weniger erstaunlich als diese fast demonstrative Geringschätzung der Grundwerte des Westens, Rechtsstaat und Demokratie, ist, daß Washington mit seiner Politik die Nato zu spalten droht und dabei die Interessen so wichtiger europäischer Verbündeter wie Deutschland und Frankreich verletzt. Spätestens seit dem letzten Nato-Gipfel in Bukarest, als die USA die Einleitung des Aufnahmeprozesses sowohl Georgiens als auch der Ukraine durchsetzen wollten - "membership action plan" genannt -, sind die Fronten zwischen denen, die es eilig haben und jenen die zögern, geklärt.

Die Bundesregierung zielt in Übereinstimmung mit der Mehrheit der "alten" EU- und Nato-Staaten sowie der EU-Zentrale auf den Ausbau der Zusammenarbeit mit Moskau. Für eine Politik, die Konflikte mit Moskau  bewußt in Kauf nimmt, findet Washington dagegen in London und in einem Teil der Nato- und EU-Mitglieder, die bis 1991 Teil des sowjetischen Imperiums waren, allen voran Polen und die baltischen Staaten, am ehesten Unterstützung. Mental kann man dies verstehen; politisch schadet es jedoch nicht nur der Fortsetzung der auf Zusammenarbeit und Annäherung zielenden Politik, die nach dem Ende des Kalten Krieges den politischen Neubeginn ermöglichte. Es schadet ebenso den westlichen Bündnissystemen Nato und EU, weil sie Gegensätze verschärft und die gemeinsame Handlungsfähigkeit unterminiert.

Für Rußland ergibt sich aus dem Georgienkonflikt keine grundsätzlich neue Lage. Er belastet zwar die Beziehungen zum Westen, doch macht die gegenseitige Abhängigkeit einen Bruch unwahrscheinlich. Europa braucht das russische Öl, Amerika die Hilfe Rußlands im UN-Sicherheitsrat, und Moskau braucht den westlichen Markt. Daß die USA versuchen, Rußlands Einflußsphäre einzuengen, hat Moskau nicht erst in Georgien erfahren. Schon kurz nach Beginn des Afghanistankrieges versuchte Washington, die ihm in Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan gewährten Militärstützpunkte auch dazu zu nutzen, politischen und wirtschaftlichen Einfluß in Zentralasien auf Kosten Moskaus zu gewinnen.

Die Antwort darauf war die Forderung der Schanghai-Organisation vom Juli 2005 (Rußland, China, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien, Tadschikistan), Amerika solle sich aus Zentralasien zurückzuziehen. Aus russischer Sicht ist das Bemühen Amerikas um Georgien, die Ukraine und seit kurzem auch um das bisher geächtete Weißrußland eine Fortsetzung dieser Einschnürungspolitik. Saakaschwilis Griff zu den Waffen hat Moskau die Chance gegeben, ihr abermals den Weg zu verlegen. Für Amerikas Verbündete aber stellen sich Fragen. Sie können frühestens nach der Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten beantwortet werden.

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