© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/08 03. Oktober 2008

Votum ohne Reue
Irland: Auch vier Monate nach dem Scheitern des EU-Vertrags weiß niemand, wie es weitergeht
Daniel Körtel

Auch vier Monate nach dem gescheiterten Referendum über den EU-Vertrag ist weder die irische Regierung noch Brüssel einer Lösung nähergekommen. Einerseits hat sich die EU nach der Osterweiterung in mühevollen Verhandlungen auf diesen Vertrag von Lissabon als neue Handlungsgrundlage geeinigt, andererseits kann dieser nur durch die Zustimmung aller EU-Staaten in Kraft treten. Über das Stadium der Fehleranalyse ist die Regierung in Dublin bislang nicht hinausgekommen.

Eine im September vorgestellte Meinungsumfrage ergab, daß 42 Prozent der Vertragsgegner wegen Wissensmängeln und Verständnisschwierigkeiten mit "No" gestimmt haben. Aus den gleichen Gründen blieben 46 Prozent der Nichtwähler der Abstimmung fern. Das ist wenig überraschend, wurde doch der Vertragstext bewußt in einer so vieldeutigen und hochkomplexen Sprache geschrieben, damit er seinen Verfassern auch die Interpretationsherrschaft darüber garantiert. Eine allgemeinverständliche Version des Textes könnte den Interessen seiner Urheber sogar zuwiderlaufen. Weiterhin ergab die Umfrage, die von der irischen Regierung in Auftrag gegeben wurde, daß der Vertrag eine besonders hohe Ablehnung bei den Beziehern niedriger Einkommen (65 Prozent), bei Frauen (56 Prozent) und in der Alterskategorie der 25- bis 34jährigen (59 Prozent) erfuhr.

Da eine Neuverhandlung des EU-Vertrags bislang strikt abgelehnt wird, könnte nur ein zweites Referendum zu einem geeigneten Zeitpunkt die Lösung bringen. Die Chancen dafür dürften aber angesichts der schlechten Popularitätswerte von Premier Brian Cowen und seiner Jamaika-Koalition aktuell schlecht stehen. Vorerst holte sich Cowen in aller Heimlichkeit Rat in Kopenhagen, wie man Ausschlußklauseln aushandeln könne, ähnlich wie die Dänen zum Vertrag von Maastricht. Ein sehr verwegener Vorschlag wiederum regt an, daß das Parlament den Vertrag am Wähler vorbei ratifizieren sollte, ausgenommen die strittigen Punkte und Bestandteile, die in die Verfassung eingreifen. Diese könnten später in einem Referendum dem Wahlvolk vorgelegt werden. Auf die Spitze treibt es die "nukleare Option", die auf die grundsätzliche Zustimmung der Iren zur EU setzt und in einem Referendum das positive Votum zum EU-Vertrag mit dem weiteren Verbleib des Landes in der EU verbinden will.

Trotz des von der französischen EU-Ratspräsidentschaft ausgeübten Drucks auf Dublin, bis zu den Europawahlen 2009 zu einer Lösung zu kommen, wird ein wie auch immer formuliertes Referendum nicht vor Herbst 2009 erwartet. Vor allem Paris und Berlin hoffen aber bis dahin auf eine Ratifizierung, noch vor den Wahlen zum britischen Unterhaus Mitte 2010. Denn ein Sieg der Konservativen könnte dem Lissabonner Vertrag endgültig den Todesschuß versetzen, da der Tory-Chef David Cameron versprochen hat, ein britisches Referendum abzuhalten, sollten die Iren den Vertrag bis dahin nicht abgesegnet haben. Währenddessen redet sich die politische Elite Irlands ein, daß das irische Volk die Konsequenzen seiner Entscheidung irgendwann in ihrem Sinne reflektiert.

Doch derzeit sieht es nicht so aus, als ob die Iren ihre Entscheidung bereuten. Inzwischen geht selbst die dem EU-Projekt bislang wohlgesonnene katholische Kirche auf Distanz. Ende August beklagte ihr Primas Kardinal Seàn Brady in einer vielbeachteten Rede die zunehmende Verdrängung christlicher Werte durch säkulare Tendenzen in der EU. Weiterhin wies er auf die offen feindselige Haltung hin, die innerhalb der EU-Institutionen jenen entgegenschlage, die ihren christlichen Glauben offen bekunden. Hier rächt sich zweifellos die rüde Behandlung, die der italienische Katholik Rocco Buttiglione (JF 49/05) erfuhr, als er 2004 für die EU-Kommission kandidierte und nach einer heftigen Kampagne aus dem EU-Parlament seine Ambitionen aufgeben mußte.

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