© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/08 03. Oktober 2008

Der deutsch-deutsche Pragmatiker
Vor zwanzig Jahren starb Franz Josef Strauß / Die Ironie der Geschichte wollte es, daß sein zweiter Todestag der Tag der Wiedervereinigung wurde
Detlef Kühn

Der Tag der deutschen Einheit erinnert auch an einen Politiker, dessen Tod sich am 3. Oktober zum 20. Mal jährt: Franz Josef Strauß, mehrmals Bundesminister, Ministerpräsident von Bayern und langjähriger Vorsitzender der CSU. Strauß war eine der wirkungsmächtigen Gestalten der alten Bundesrepublik. Wie kein anderer hat er polarisiert. Seinen unerschütterlichen Anhängern standen und stehen noch heute Feinde gegenüber, die ihn oft verachtet und gehaßt haben. Gleichgültig ließ er kaum jemanden.

Am Tag der Einheit liegt es nahe, sich besonders seines deutschlandpolitischen Wirkens zu erinnern. Dabei gehörte Deutschlandpolitik eigentlich nicht zu seinen besonderen Amtspflichten. Als begnadeter Populist und leidenschaftlicher Wahlkämpfer war er sich jedoch immer der emotionalen Bedeutung der Teilung des Landes, des Verlustes der  Ostprovinzen und der Frage nach einer aktiven Wiedervereinigungspolitik bewußt, auch wenn ihm diese Themen - wie anderen Politikern auch - nicht unbedingt Herzenssache waren.

Dies wurde deutlich in den Auseinandersetzungen um die neue Ostpolitik nach der Großen Koalition Anfang der siebziger Jahre. Strauß lehnte wie fast alle in der Union anfangs jede Anerkennung der DDR, eines "Unrechtsregimes von sowjetischen Gnaden", ab. Als dann doch der Grundlagenvertrag abgeschlossen wurde und die CDU/CSU sich im Bundestag mehrheitlich nur zu einer Enthaltung durchringen konnte, blieb Strauß, damals CSU-Vorsitzender, konsequent. Er setzte durch, daß Bayern den Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht anfocht. Die Klage wurde zwar abgewiesen, hatte aber dennoch deutschlandpolitische Konsequenzen, die weder die Kläger, noch die obsiegenden Beklagten so richtig erfreuten. Das Gericht nutzte nämlich die Gelegenheit, allen politischen Kräften von Verfassungs wegen die Pflicht zu einer aktiven Wiedervereinigungspolitik ins Urteil zu schreiben. Alle Bundesregierungen und die sie tragenden Parteien fühlten sich bis 1989 dennoch nicht genötigt, die Wiedervereinigung aktiv anzugehen. Strauß bildete da keine Ausnahme.

Dennoch hat das von ihm herbeigeführte Urteil eine segensreiche deutschlandpolitische Wirkung entfaltet; denn es hat in einer Zeit allgemeiner Ermattung immerhin rechtliche Verschlechterungen wie zum Beispiel die Annahme der "Geraer Forderungen" Honeckers oder gar die von vielen erwogene Streichung des Wiedervereinigungsgebots im Grundgesetz verhindert. Zu dieser Zeit war Franz Josef Strauß bayerischer Ministerpräsident und hatte sich längst mit der Existenz der DDR abgefunden. In den achtziger Jahren unternahm auch er Reisen in diesen Teil Deutschlands und pflegte besondere Beziehungen zu Personen, die im innerdeutschen Handel aktiv waren.

Schon längst waren persönliche Kontakte zu den einst geschmähten Machthabern in der DDR nicht mehr tabu. Ein nützlicher "back channel" lief über Alexander Schalck-Golodkowski, den obersten Devisenbeschaffer der stets nach harter Währung gierenden SED-Führung. So war es nicht allzu erstaunlich, daß sich ausgerechnet Franz Josef Strauß nach 1983 rühmte, den ersten der zwei bundesrepublikanischen DM-Milliarden-Kredite an die hochverschuldete DDR "eingefädelt" zu haben. Da aber gerade Strauß bei solchen Leistungen immer auf Gegenleistungen bestanden hatte, mußte Honecker  einen "politischen Preis" zahlen: Er ließ an der Zonengrenze die Selbstschußanlagen abbauen und ordnete für die bislang nur als unfreundliche Muffel aufgefallenen DDR-Grenzer eine Charme-Offensive gegenüber West-Reisenden an.

Viele der ob dieses Geschäfts konsternierten Anhänger von Strauß konnten weder Leistung noch Gegenleistung beruhigen. In der CSU kam es zu Abspaltungen. Die Republikaner sollten der Union in den kommenden Jahren schwer zu schaffen machen. Aber da hatte Franz Josef Strauß bereits das Zeitliche gesegnet. Es war ihm weder vergönnt, die Wiedervereinigung zu erleben, noch den mühsam genug errungenen Erfolg seines Verdikts, wonach es rechts von der Union keine andere erfolgreiche Partei geben dürfe. Was hätte er wohl zu dem Erfolg der Freien Wähler im Jahre 2008 gesagt?

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.

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