© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/08 10. Oktober 2008

Das Casino ist geschlossen
Als letzter geht der Staat bankrott: Mit dem Zusammenbruch des US-Finanzkapitalismus endet eine Epoche
Bruno Bandulet

Um die Dimension der Katastrophe zu begreifen, die seit mehr als einem Jahr in immer gewaltigeren Wellen über die Welt hereinbricht, müssen wir sie zunächst auf den Begriff bringen. Es handelt sich um mehr als eine Immobilienkrise, um mehr als eine gewöhnliche Finanzkrise, und sie geht - anders als 1929 - diesmal nicht vom Aktienmarkt aus. Was wir erleben, ist ein Infarkt des Finanzsystems und der Beginn des Einsturzes einer wahnwitzigen Kreditpyramide, die im Verlauf von Jahrzehnten aufgetürmt wurde. Noch stehen die großen Banken, aber sie haben aufgehört, sich gegenseitig Geld zu leihen. Der Interbankenmarkt ist zum Erliegen gekommen.

Bisher konnte der Größte Anzunehmende Unfall, eine Kernschmelze des Finanzsystems, vermieden werden. Aber er ist nicht völlig unvorstellbar. Dank einer jahrelangen Politik des leichten Geldes, die vor allem von der amerikanischen Notenbank betrieben wurde, wurde ein Monster geschaffen. Der nominale Wert der von den Banken gehaltenen Derivate belief sich laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zuletzt auf rund 600.000 Milliarden Dollar. Eine surreale Zahl. Ein anderer Maßstab ist das Verhältnis von Eigenkapital zur Bilanz, das bei manchen Großbanken auf 1 zu 50 gehebelt wurde. In den Niederlanden sind die Banken mit dem Vierfachen des dortigen Bruttoinlandsproduktes verschuldet, in Großbritannien mit dem Dreifachen, in Frankreich mit dem 2,5fachen. In Deutschland hingegen entspricht diese Schuldenlast in etwa dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Da versteht man, warum der französische Präsident Nicolas Sarkozy einen europäischen Rettungsfonds forderte, in den Deutschland wieder einmal am meisten einzahlen müßte - und warum Berlin ablehnte.

Die jüngste Forderung der Bundeskanzlerin, wonach die Banken strenger reguliert werden müßten, ist müßig. Die Erkenntnis kommt ein paar Jahre zu spät. Das Casino ist bereits geschlossen! Die teils illiquiden, teils insolventen Banken sind gar nicht mehr in der Lage, neue Dummheiten zu begehen. Sie werden auf Jahre hinaus nur noch sehr kleine Brötchen backen können. Strengere Eigenkapitalvorschriften (das ist hauptsächlich mit Regulierung gemeint) wären jetzt sogar kontraproduktiv. Es gibt eine Maßnahme, die noch nicht ernsthaft diskutiert wurde, mit der sich die Krise aber am einfachsten entschärfen ließe: nämlich die Lockerung der Vorschrift, wonach die Banken ihre Positionen zum Marktwert bewerten müssen - zu einem Marktwert, der sich oft gar nicht ermitteln läßt, weil der Markt nicht mehr funktioniert.

Sicher ist jedenfalls, daß das System ohne staatliche Garantien und Kapitalinfusionen nicht überleben kann. Der Bundesregierung blieb gar keine andere Wahl, als die Hypo Real Estate aufzufangen und damit den Zusammenbruch des deutschen Pfandbriefmarktes, der selbst die Weltwirtschaftskrise überlebt hat, zu verhindern. Die Machthaber werden eher den Ruin der Staatsfinanzen und der Währungen in Kauf nehmen als eine Depression im Stil der 1930er Jahre. Versagt haben eben nicht nur die gierigen Banker, sondern auch die politischen Eliten. In Amerika war es offizielle Politik, den Niedergang der realen Wirtschaft und den sinkenden Lebensstandard der Massen dadurch zu kompensieren, daß der Finanzsektor aufgebläht und der Verbraucher ermuntert wurde, auf Pump zu leben. Die Amerikaner hatten das Perpetuum mobile erfunden, und die Politiker und Banker in Deutschland waren ungeheuer beeindruckt. Sie glaubten tatsächlich, der angelsächsische Finanzkapitalismus sei dem deutschen Produktionsregime überlegen. Zu den Zusammenbrüchen und Schieflagen im deutschen Finanzsektor wäre es nicht gekommen, hätte man zur Wall Street selbstbewußt Distanz gehalten.

Ein anderes Fazit lautet, daß die Hoffnung, der Euro werde Europa krisenfest machen, getrogen hat. Der Währungsraum wurde zwar größer, aber nicht weniger von den USA abhängig. Die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) ausgeübte Aufsicht über die deutschen Banken war nicht effizient, es fehlte die Autorität der von den Politikern entmachteten Bundesbank. Und die Immobilienblase, die derzeit in Spanien und Irland platzt und den gesamten Euro-Raum belastet, war ein direktes Resultat der dortigen Euro-Einführung. Zur Prognose, daß auch der Euro in den kommenden Jahren einer Zerreißprobe entgegengeht, gehört nicht übermäßig viel Scharfsinn. Ebensowenig zu der Prognose, daß das Finanzdebakel noch stärker auf die reale Wirtschaft durchschlagen wird, daß die Sanierung des Bankensektors Jahre dauern wird und daß das weltpolitische Gewicht der USA zugunsten Asiens und vor allem Chinas abnehmen wird.

Als Weltreservewährung hat der Dollar deswegen noch nicht ausgedient. Seine letzte Stütze bleibt die militärische Macht der USA. Allerdings: Je mehr minderwertige Papiere die US-Notenbank in das eigene Portfolio nimmt, um dafür frisches Geld in Umlauf zu bringen, desto mehr untergräbt sie die Qualität des Dollar. In den USA und auch in Europa besteht die Krisenbewältigung darin, schlechte Schulden nicht zu liquidieren, sondern sie zu garantieren oder aus den Büchern der Banken zu nehmen und auf die Notenbanken und den Staat abzuwälzen. Schulden, die nicht verschwinden, sondern nur verschoben werden, aber auch nicht zurückgezahlt werden können, weil der Berg längst zu groß ist, müssen mit der Zeit entwertet werden. Das ist in einem Papiergeldsystem machbar, es ist die bequemste Lösung, und es läuft letzten Endes auf mehr Inflation hinaus.

Auch Deutschland hat noch viel Spielraum, die Schulden zu erhöhen, bevor die Staatspleite droht. Die Anleger, die seit Wochen für magere Zinsen in Staatsanleihen flüchten, reagieren unter den gegenwärtigen Umständen vernünftig. Aber sie werden sich noch wundern. Es stimmt schon, daß der Staat die tiefsten Taschen hat. Bankrott geht er immer als letzter.

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