© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/08 17. Oktober 2008

Frisch gepresst

Wilhelm II. Gegenüber dem rund 4.000 Seiten umfassenden Mammutwerk John Röhls zum Leben und Wirken Wilhelms II. (siehe die Rezensionen auf dieser Seite) nimmt sich die knapp 400 Seiten dicke Arbeit des in Cambridge lehrenden Historikers Christopher Clark auf den ersten Blick wie eine schmale Broschüre aus. Doch der Vergleich mit dem Werk Röhls ist natürlich ungerecht. Clark nimmt für sein bereits im Jahr 2000 im englischen Original erschienenes und nun überarbeitetes Buch aber auch gar nicht in Anspruch, eine vollständige Biographie zu liefern. Der Preußen-Kenner konzentriert sich vielmehr auf die beliebte Frage, wie mächtig der Kaiser tatsächlich war. Dabei arbeitet er deutlich die Grenzen der politischen Einflußmöglichkeiten heraus und geht auf Distanz zur These vom "persönlichen Regiment" des Kaisers. Dieser sei vielmehr völlig unfähig gewesen, ein eigenes prägnantes politisches Programm zu entwickeln oder durchzuhalten. Dabei wird Clark dem selbstgesteckten Ziel, Verunglimpfung und Verständnis bei der Bewertung des Kaisers wieder in die richtige Balance zu bringen, ohne ihn rehabilitieren zu wollen, gerecht. Für den Australier, der die teils drastischen Beschimpfungen Wilhelms II. durch einige Historiker mit britischer Zurückhaltung als "ein wenig überzogen" bewertet, war die Machtausübung des Kaisers nicht das "absonderliche Hirngespinst eines gestörten Verstandes", sondern von klar benennbaren familiären und politischen Einflüssen bestimmt. (Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, gebunden, 414 Seiten, 24,95 Euro).

Heia Safari! Nach dem dilettantischen Versuch einer Biographie des Generals Paul von Lettow-Vorbeck, wie sie Uwe Schulte-Varendorff 2006 vorlegte (JF 2/07), demonstriert der in London lehrende Zeithistoriker Eckard Michels, wie es Profis machen. Michels, ausgewiesen als Fachmann für die Geschichte der deutschen Kulturpolitik, ist in den letzten Jahren zur Militärhistorie übergegangen und landete mit einer Studie über "Deutsche in der Fremdenlegion" einen überraschenden Verkaufserfolg. Für seine Lettow-Biographie ("Der Held von Deutsch-Ostafrika". Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Kolonialoffizier, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2008, gebunden, 435 Seiten, Abbildungen, 39,90 Euro) erhielt er den Preis für Militärgeschichte, der nach dem Danziger Clausewitz-Forscher Werner Hahlweg benannt ist. Der aus einer in Hinterpommern begüterten "Militärdynastie" stammende Generalssohn, in der Kadettenanstalt erzogen, erste Kampferfahrungen bei bewaffneten Interventionen in China und Deutsch-Südwestafrika sammelnd, als listenreicher und zäher Verteidiger Deutsch-Ostafrikas im Ersten Weltkrieg zu Weltruhm gelangend, kommt in Michels' Urteil nicht gut weg. Das gilt besonders für Lettow als Exponenten der wilhelminischen Kolonialmacht, dessen "lange Märsche" im heutigen Tansania unter den Schwarzafrikanern einfach zu hohe Opfer gefordert hätten. Zudem habe der vierjährige Kleinkrieg keineswegs, wie der Schutztruppen-Kommandeur seinen Widerstand stets rechtfertigte, irgendwelche Kräfte gebunden, die der Entente an der Westfront fehlten. Michels' rutscht bei derartigen Einschätzungen, die er in seine quellengesättigte, mitunter etwas langatmige, aber nie langweilige Darstellung einstreut, aber nirgends auf den hohlen Moralismus Schulte-Varendorffs ab.

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