© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/08 24. Oktober 2008

Frisch gepresst

Attentäter. Nicht "der" letzte Zeuge des 20. Juli war der am 1. Mai dieses Jahres verstorbene Philipp von Boeselager (JF 20/008), aber immerhin "ein letzter Zeuge", dessen Erinnerungen Florence und Jérôme Fehrenbach aufgezeichnet haben (Wir wollten Hitler töten. Hanser Verlag, München 2008, gebunden, 191 Seiten, Abbildungen, 17,90 Euro). Nach einem knappen Rückblick in Kindheit und Jugend des 1917 geborenen Sprößlings einer kinderreichen rheinisch-katholischen Adelsfamilie steuert die Darstellung auf das Zentrum seines soldatischen Lebens zu, auf den Einsatz an der Ostfront, die mit dem Bruder Georg geteilte Erfahrung der "Endlösung" im rückwärtigen Heeresgebiet und die moralisch motivierte Entscheidung zum Widerstand, die im März 1943 ihre Bewährungsprobe bestehen sollte, als die Boeselager-Brüder bereit waren, ihren Obersten Kriegsherrn während eines Frontbesuches bei der Heeresgruppe Mitte durch ein Pistolenattentat aus dem Weg zu räumen. Da der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, der ebenfalls getötet werden sollte, an diesem Tag seinen Führer nicht begleitete, wurde die Aktion in letzter Minute abgesagt. Während des Stauffenberg-Staatsstreiches vom 20. Juli 1944 verlagerte er zur Kampfunterstützung mehrere Schwadronen Richtung Reichshauptstadt. Die spätere Deklarierung dieser Aktion zur "Übung" und die Verschwiegenheit der Mitverschwörer retteten ihn danach vor den Häschern des Regimes.  

 

Litauen 1940. Als Sohn eines 1931 in die USA ausgewanderten Schweizer Linguisten, der seit 1923 in Kaunas unterrichtete, und einer in Litauen geborenen Mutter, hat der Historiker Alfred Erich Senn sein "Mutterland" zum Thema lebenslanger wissenschaftlicher Beschäftigung gemacht. Konsequent leistete der Emeritus der University of Wisconsin nach dem Ende Sowjetlitauens 1991 als Dozent in Kaunas "Entwicklungshilfe", um im Gegenzug dort sowie in Wilna und Riga die Archive und Bibliotheken zu nutzen für die Sammlung des Materials, das seiner Darstellung der wenigen Monate zugrunde liegt, in denen sich 1940 die bolschewistische Herrschaft etablierte (Lithuania 1940. Revolution from above. Rodopi Publishers, Amsterdam-New York 2007, gebunden, 290 Seiten, 60 Euro). Senn ist dabei bemüht, nicht allein klassisch-diplomatiehistorisch die im Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 wurzelnde Vorgeschichte der Okkupation zu rekonstruieren, sondern ebenso die nicht zuletzt unter den litauischen Juden anzutreffende politische Gemengelage vor und nach der Machtübernahme des sowjetischen politischen Geheimdienstes NKWD, die nur in den ersten Wochen, im Juni/Juli 1940, noch nicht durch "Exekutionen und Deportationen" gekennzeichnet war.  

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