© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/08 31. Oktober 2008

Mehr Wirtschaft, weniger Kirche
Eine Glaswand zwischen Wissenschaft und Gottesdienst: In Leipzig trumpft der geistige Provinzialismus auf
Michael Paulwitz

Am 21. Oktober wurde in Leipzig am Augustusplatz das Richtfest für ein neues Universitätsgebäude, das sogenannte Paulinum, begangen. Der Neologismus "Paulinum" leitet sich von der Pauliner- bzw. Universitätskirche her, die 700 Jahre bis zur ihrer Sprengung 1968 an der Stelle stand. Der Termin hatte Brisanz, sogar die ARD-Tagesschau berichtete ausführlich darüber. Der Streit um eine Trennwand aus Plexiglas, die nach dem Willen der Universitätsleitung einen kleinen Sakral- vom Profanbereich der Aula trennen soll, ist in den letzten Wochen eskaliert und überlagerte auch das Richtfest. Zugelassen waren lediglich 200 geladene Gäste. Selbst gestandene Professoren wurden am Stahlgitter-Eingang zum Innenhof des Campus zurückgewiesen, wenn sie keine Einladung vorweisen konnten. Ein studentisches "Aktionsbündnis Freiheit von Lehre und Forschung" hatte sich postiert und ein zynisches Transparent entrollt. Die Studenten verteilten Flugblätter mit einem Sprengungsfoto von 1968 und der Aufschrift "Mehr Uni, weniger Kirche" und "Vergeßt nicht die Jahrtausende der Herrschaft der Pfaffen und ihrer Schergen".

Die Gegner der Glaswand sehen in ihr die Entweihung des Ortes und die Amputation universitärer Traditionen. Der sächsische Finanzminister Georg Unland (parteilos) nahm die Bedenken auf und mahnte, die Universität sei "kein Elfenbeinturm" und könne "nicht isoliert von der Gesellschaft" entscheiden. Rektor Franz Häuser wies umgehend jede "intransparente, informelle Einflußnahme von außen" zurück. Längst ist es ein gesellschaftspolitischer Konflikt, der hier ausgetragen wird. Auf der einen Seite steht das Post-68er Juste milieu, das sich mit den geistigen Nachlaßverwaltern der DDR vermischt hat, die Institutionen besetzt hält und die Tabula-rasa-Situation als Voraussetzung ihrer kulturellen Hegemonie verteidigt. Auf der anderen Seite stehen letzte Ritter eines kultur- und stadtbürgerlichen Erbes und die christliche Diaspora, deren halbherzige politische Verbündete keine klaren Worte finden.

Die Paulineraula soll als exklusiver Tagungsort dienen

Eine unreflektierte Fortschrittsideologie schafft auch in Leipzig Platz für die Ökonomisierung des öffentlichen Lebens. Das Argument der Trennung von Religion und Wissenschaft, das die Universitätsleitung anführt, dient, wie man inzwischen weiß, als Büchsenöffner, der die künftige Paulineraula als exklusiven Tagungsort für finanzkräftige Unternehmen und für die Leipziger Messe aufschließen soll. Feuchtfröhliche Bankette oder Modenschauen für Unterwäsche wären mit dem Anblick sakraler Gegenstände in der Tat schwer zu vereinbaren.

Am 30. September haben Politiker, Kirchenvertreter und der Vorsitzende des Paulinervereins in einem Offenen Brief an Rektor Franz Häuser nochmals Protest gegen die Bauplanung erhoben und darauf hingewiesen, daß "die Doppelnutzung des Gesamtraumes als Gottesdienststätte und als Aula (...) historisch begründet (...) und über Jahrhunderte nicht strittig" war. Für eine Trennung in einen sakralen und einen weltlichen Teil gebe es keine zwingenden funktionalen Gründe. "Sie widerspricht der Tradition der Universität Leipzig, sie zerstört die Ästhetik des Raumes und verschlechtert die Akustik erheblich."

Laut Umfragen stimmen mehr als zwei Drittel der Leipziger diesem Standpunkt zu. Ein neues, regionales Aktionsbündnis "Neue Universitätskirche St. Pauli" hat sich konstituiert. Am 9. Oktober schrieb Christian Wolff, Pfarrer der Thomaskirche, in einem pointierten Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit, die Universität schüre die Angst "vor einem kritisch-heiligen Geist, ohne den wir Menschen verrohen". Im Gewande weltanschaulicher Neutralität werde ein "ethischer Analphabetismus" verbreitet und eine Auseinandersetzung um jene Werte blockiert, "von denen unsere Gesellschaft getragen ist und die ein menschenwürdiges Zusammenleben erst ermöglichen".

Die Bestätigung seiner Diagnose erfolgte prompt durch den Studentenrat. Mit der Kritik der Frankfurter Schule an der instrumentell reduzierten Vernunft weiß man dort nichts anzufangen. Statt Wolffs Vorwurf im Sinne des klassischen Diktums des Verfassungsrechtlers Wolfgang Böckenförde zu interpretieren, wonach der liberale Verfassungsstaat aus Voraussetzungen schöpfe, die er selber nicht schaffen könne, nahm sie den Satz: "Wer eine Trennung zwischen Glauben und Vernunft propagiert, sollte bedenken, daß die Zerstörung von Synagogen, Kirchen und Moscheen immer der Ausdruck der Verkommenheit einer Gesellschaft ist", zum Anlaß, dem Thomas-Pfarrer eine "unglaubliche Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen" vorzuwerfen. Entsprechend arrogant und dumm verlief am 20. Oktober der Auftritt der Studentensprecher auf einer Diskussionsveranstaltung im überfüllten Gemeindesaal der Thomaskirche.

Am 14. Oktober verabschiedete der Senat der Universität eine Resolution, in der er sich gegen die "ideologische Vereinnahmung" und gegen Angriffe auf die "1989 wiedergewonnene Autonomie" der Universität verwahrte. Eine sakral geprägte Aula "würde die Bindung der Wissenschaft an eine Konfession" symbolisieren. Aus dem Text stach eine zunächst sinnfrei scheinende Formulierung hervor, in welcher der Senat die Übereinstimmung mit sich selber erklärt ("Wir teilen die Meinung des akademischen Senats und des Rektorats ...").

Die Resolution wurde dann als elektronisches Rundschreiben an die Universitätsangehörigen verschickt. Im Begleittext teilte ein Mitarbeiter der Universitätsleitung namens Staas die Erwartung mit, daß "auch Sie sich der Resolution anschließen wollen". Dabei ist zweifelhaft, ob sie überhaupt zustande gekommen ist, weil der Entwurf erst gegen Ende der Sitzung völlig überraschend und unvermittelt vorgestellt wurde und mehrere Dekane, sich überrumpelt fühlten, die Unterzeichnung verweigerten. Professoren, die eine gegenteilige Position vertreten, wurde es untersagt, diese auf der Internetseite der Universität darzustellen.

26 Nobelpreisträger gegen einen Landtagsfraktionschef

Zwei Tage vor dem Richtfest holte die Universitätsleitung zu einem Gewaltschlag gegen ihre Kritiker aus. Die Wochenendausgabe der Leipziger Volkszeitung (LVZ) erschien mit einer Sonderbeilage, in der die Universität vorgab, über den Fortgang der Bauvorhaben informieren und auf ihr 600jähriges Jubiläum im nächsten Jahr einstimmen zu wollen. In Wahrheit ging es um die brutale Diskreditierung ihrer Kritiker.

Es fiel allerdings auf, daß die Universität keine auswärtige Prominenz für ihren Standpunkt gewinnen konnte. Während der Paulinerverein das Gewicht von 26 Nobelpreisträgern auf seiner Seite weiß, mußte hier ein Interview mit dem Alt-Rektor und SPD-Politiker Cornelius Weiss als Höhepunkt genügen. Weiss bezeichnet die Kritiker als "merkwürdige Bruderschaft" und nannte die Ankündigung des Thomas-Pfarrers, am 31. Oktober einen Thesenanschlag am Bauzaun vorzunehmen, einen Mißbrauch von "historischen Bildern, an die er (Wolff - Th. H.) niemals heranreicht".

An die Jahrtausendgestalt Luthers und seine reformatorische Tat reicht niemand heran. Weiss indes ist es nicht einmal gelungen, das bescheidene Amt des Fraktionschefs im sächsischen Landtag auszufüllen. Keine einzige Rede, kein einziger Denkanstoß von Professor Cornelius Weiss sind vermerkt, die überregional beachtet wurden. Wie schon der Senat und der Studentenrat wirft er den Verfechtern des Kirchenraums eine "Ideologisierung" vor, was impliziert, daß er die eigene Meinung für ideologiefrei hält. Für diese Art von Ideologiefreiheit werden auch Begriffe wie "Toleranz", "Weltoffenheit", "Modernität", "Vielfalt" synonymisch verwandt - Leerformeln, mit denen ein geistiger und kultureller Provinzialismus machtvoll auftrumpft.

Mit Spannung wird nun ein Vermittlungsgespräch am 6. November erwartet, das von Generalbundesanwältin Monika Harms als neutrale Vermittlerin moderiert werden soll. Daran teilnehmen sollen neben anderen Uni-Rektor Franz Häuser, Landesbischof Jochen Bohl und Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Vertreter des Paulinervereins sind zu dem Gespräch nicht geladen.

Foto: Studenten in Leipzig mit Transparent: Für diese Art Ideologiefreiheit stehen Leerformeln wie "Toleranz"

Info: Paulinerverein - Bürgerinitiative zum Wiederaufbau von Universitätskirche und Augusteum in Leipzig e.V., Am Brühl 76, 04109 Leipzig, Tel. 03 41 / 9 83 99 76, Internet: www.paulinerverein.de 

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