© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/08 31. Oktober 2008

ZDF-Geschichtsdokumentation: Die Deutschen - Wer wir waren, wer wir sind
Für ein neues Wir-Bewußtsein
Karlheinz Weissmann

Die zehnteilige ZDF-Serie "Die Deutschen" ist der dritte Versuch, der Nation über das Fernsehen ein umfassendes Bild der eigenen Geschichte zu vermitteln. Den ersten unternahm Wolfgang Venohr mit den "Dokumenten deutschen Daseins" in den siebziger Jahren, einer Phase der "Nationsvergessenheit" (Bernard Willms), in der allerdings die historischen Kenntnisse noch fester saßen und bei den Zuschauern der legendären Diskussionen zwischen Sebastian Haffner und Hellmut Diwald vorausgesetzt werden konnte, daß sie ziemlich genau wußten, worum es ging. Dann folgte in den achtziger Jahren "Wir Deutschen", deren Stil ganz von der Betulichkeit der Ära Kohl geprägt war und deren Macher nach dem "Historikerstreit" peinlich darauf achteten, keinen Anstoß bei der tonangebenden Linken zu erregen.

Von solcher Ängstlichkeit scheint man sich mittlerweile befreit zu haben, was unmittelbar an drei Kennzeichen der neuen Serie "Die Deutschen" erkennbar wird: der Selbstverständlichkeit, mit der man von einer tausendjährigen nationalen Geschichte ausgeht, der konsequenten Personalisierung (von Otto dem Großen über Heinrich IV., Friedrich Barbarossa, Luther und Wallenstein, Friedrich den Großen und Maria Theresia bis zu Robert Blum, Bismarck und Wilhelm II.) und der Bereitschaft, durch Spielszenen die Vergangenheit für ein breiteres Publikum lebendig werden zu lassen. Dabei gibt es Fehler im Detail, aber es bleibt doch festzuhalten, daß hier wichtige Epochen der deutschen Geschichte in sehr eindrucksvolle Bilder umgesetzt wurden.

Wenn man sich für einen Augenblick in einen Heranwachsenden versetzt, der von der mittelalterlichen deutschen Geschichte kaum Kenntnisse hat, und sich fragt, wie wohl die Eingangsszene der ersten Folge von "Die Deutschen" auf ihn wirken wird, sobald der Fahnenträger vor der Schlacht auf dem Lechfeld das Michaelsbanner emporreißt, dann lautet die Antwort, daß er das Ganze wahrscheinlich mit ebensogroßer Verblüffung wie Begeisterung zur Kenntnis nehmen dürfte.

Der Aufwand und die Dramatik solcher Sequenzen, die Unbekümmertheit angesichts eines jahrzehntelang kultivierten Vorbehalts gegenüber der "Geschichtserzählung", die Anleihen bei Inszenierungen der neueren Historienfilme wie etwa "Braveheart" sind hier kein Nach-, sondern ein Vorteil, denn man folgt heutigen Sehgewohnheiten, ohne doch dem Unterhaltungsbedürfnis über Gebühr Platz einzuräumen. Deshalb wirken die kurzen Stellungnahmen der Historiker auch eher wie ein Alibi; das Konzept von "Die Deutschen" bezieht seine Logik eben nicht aus einer wissenschaftlichen, sondern aus einer pädagogischen, im Grunde einer nationalpädagogischen Motivation. Man muß mit den Schwerpunktsetzungen und den Bewertungen (etwa im Hinblick auf die "verspätete" Nation oder den "Größenwahn" Wilhelms II.), die dabei vorgenommen werden, nicht einverstanden sein, sollte aber zugeben, daß es etwas Vergleichbares noch nicht gegeben hat und das Ergebnis insgesamt überzeugt.

Im Vorspann erklärt eine Stimme aus dem Off, daß es der Serie darum gehe, die entscheidenden Aspekte der nationalen Identität über die Geschichte zu klären: "Was ist Deutschland?" - "Wer sind die Deutschen?" - "Wohin führt ihr Weg?" Und auf einer Pressekonferenz, bei der die Serie am 21. Oktober in Berlin vorgestellt wurde, spitzte der für die Produktion verantwortliche Guido Knopp diese Intention noch einmal zu, indem er gleich am Anfang die rhetorische Frage, ob man etwa die Absicht verfolge, durch die Serie den Deutschen ein "neues Wir-Bewußtsein" zu vermitteln, mit einem klaren "Ja" beantwortete.

Die Folgen werden jeweils am Sonntag und am Dienstag um 19.30 Uhr ausgestrahlt; parallel läuft ein Fünfteiler über die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts im Rahmen von ZDF history, sonntags um 23.50 Uhr. Es gibt zur Serie "Die Deutschen" einen Begleitband, erschienen bei C. Bertelsmann, sowie - nicht immer überzeugendes - Begleitmaterial, das in Zusammenarbeit mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) erarbeitet wurde und das unter www.diedeutschen.zdf.de  als PDF-Datei abrufbar ist.

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