© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/08 14. November 2008

"Dem Fortschritt in die Speichen greifen"
Politische Ideen: Der Publizist Alexander Gauland beklagt den Niedergang des Konservativismus in Deutschland und hofft auf eingewanderte Türken
Torsten Uhrhammer

Wenn "Konservative an der Spitze des Fortschritts marschieren", wie es einst Franz Josef Strauß postulierte, dann ist das nicht der Konservativismus, den Alexander Gauland meint. Der promovierte Jurist, der bis 2005 Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung war, sieht im Konservatismus vielmehr das Gegengewicht zum Fortschritt schlechthin.

"Das Rad der Geschichte muß sich in einem dem Menschen zuträglichen Tempo drehen", daher sei es die Aufgabe der Konservativen "dem Fortschritt in die Speichen zu greifen". Gauland war von der Berliner Preußischen Gesellschaft und dem Studienzentrum Weikersheim eingeladen worden, um in der Hauptstadt über einen "Neuen Konservativismus als Retter der Volksparteien" zu sprechen. Doch schon der Begriff "Neuer Konservativismus" bereitete ihm Bauchschmerzen. "Man soll es lieber mit dem 'alten Konservativismus' probieren", sagte Gauland. Dieser "alte Konservativismus" sei aber schon seit der Reichsgründung 1870 im Niedergang begriffen und 1918 untergegangen. Gauland sieht in "Links und Rechts" zwei Prinzipien, die in der Gesellschaft vorhanden sein müssen und so einen Ausgleich zwischen progressiven und tradierten Werten herstellen. Dieses Gleichgewicht sei zunehmend gestört, da das konservative Element mehr und mehr ausfiele - heißt, die CDU erfüllt ihre Aufgabe nicht. Für Gauland rührt die Berührungsangst der CDU mit dem konservativen Gedanken aus der Vorkriegsgeschichte, genauer: der "Konservativen Revolution".

Erst die Verhältnisse zu revolutionieren, um sie dann bewahren zu können, sei ein Verrat am eigentlichen Konservativismus gewesen, der sich in der Abwehr gegen die Französische Revolution mit ihrer Vergötzung der Nation und der Erfindung des "neuen Menschen" bildete. Gauland will das Konservative nicht auf das Nationalkonservative verengt sehen. Er bezieht lebenspraktische Beispiele aus zwischenmenschlichen Beziehungen ein. Die Idee der Bahn, 2,50 Euro für den Kauf eines Fahrscheines am Schalter zu verlangen um damit die Automatisierung, also die Beschleunigung der Gesellschaft zu forcieren, ist für ihn "anti-konservativ". Ohnehin sei die Wirtschaft heutzutage links, da egalitär.

Weitgehend ahistorische deutsche Eliten

Die deutschen Eliten hätten kein Bewußtsein mehr für existentielle Bedrohungen und seien weitestgehend ahistorisch. Insbesondere nach dem Historikerstreit in den achtziger Jahren sei es durch das Postulat von der "Singularität des Judenmordes" zu einer weiteren "Verschiebung weg von der deutschen Geschichte" gekommen, indem etwa die Vergleichbarkeit mit den Verbrechen des Kommunismus inkriminiert wurde. Es wurde eine "historische Korrektheit" eingeführt, die der politischen Korrektheit vorausging.

Gauland brachte eine ganze Reihe von Beispielen für die politische Korrektheit unserer Zeit, die eine "Ausweitung der Verdachtszone" darstelle. Personen wie die Fernsehmoderatorin Eva Herman, der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann und der Beinahe-Kultusminister Thüringens Peter Krause wurden aus der Kommunikationsgesellschaft ausgeschlossen, weil sie sich nicht an die linke politische Korrektheit gehalten hätten. Das Gleichgewicht einer Gesellschaft gerate aber aus den Fugen, wenn ein Teil der Gesellschaft vom Diskurs ausgeschlossen bleibt.

Konservative müßten sich vor allem gegen die Zerstörung der "einfachen Lebenszusammenhänge" wehren. Dazu gehörten, Ehe und Familie gegen Gender Mainstreaming zu schützen, die frühkindliche Erziehung nicht dem Staat zu überlassen, Embryonenschutz, aber auch die Abwehr einer vollständigen Ökonomisierung aller Lebenszusammenhänge, wie sie sich für Gauland in der Ausweitung der Ladenöffnungszeiten und der Angriffe auf die Sonn- und Feiertagsruhe manifestiert.

Natürlich müßten sich Konservative auch für die "deutsche Leitkultur" einsetzen, doch gebe es durchaus Chancen, den Konservativismus der türkischen Gemeinschaft in Deutschland zu nutzen.

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