© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/08 21. November 2008

Plötzlich sitzt die FDP mit am Tisch
Große Koalition: SPD und Union sind seit der Regierungsbildung in Bayern immer stärker in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt
Paul Rosen

Das Regierungshandeln der Großen Koalition neigt sich dem Ende entgegen. Seitdem klar ist, daß voraussichtlich am 18. Januar der hessische Landtag neu gewählt wird, befinden sich CDU und SPD praktisch im Wahlkampf. Die Sacharbeit wird zunehmend gelähmt, und die CSU muß sich noch daran gewöhnen, daß sie mit der FDP jetzt einen Koalitionspartner in München hat, der die bisher für die Große Koalition sicheren bayerischen Stimmen im Bundesrat zu einer Lotterie macht. Mal gehen die Liberalen mit der CSU, mal nicht.

Bisher verfügt die Berliner Koalition über eine knappe Mehrheit von 35 der insgesamt 69 Stimmen in der Länderkammer. Darin sind noch die hessischen Stimmen der CDU-Alleinregierung von Roland Koch enthalten. Sollte in Hessen nach dem 18. Januar eine neue Regierung gebildet werden und diese - wofür bisher alles spricht - eine CDU/FDP-Regierung werden, hat die Große Koalition ihre Mehrheit im Bundesrat verloren. Denn wenn ein Koalitionspartner in einem Bundesland sein Veto gegen ein Gesetz einlegt, muß sich die Landesregierung im Bundesrat der Stimme enthalten.

Für die CSU bedeutet das: Sie kommt in eine blamable Lage. Da hat ihr neuer Vorsitzender Horst Seehofer aus seiner Sicht richtig gut über die Erbschaftsteuerreform verhandelt und SPD und CDU wichtige Dinge wie die steuerfreie Vererbung von selbstgenutztem Wohneigentum abgetrotzt. Und jetzt kann er dem Gesetz im Bundesrat nicht einmal zustimmen, weil die FDP die Erbschaftsteuerreform für ein bürokratisches Monster hält und auf Enthaltung der bayerischen Stimmen im Bundesrat besteht. Seehofer selbst versucht, die Debatte möglichst klein zu halten, indem er eine Diskussion und den Beschluß über das bayerische Stimmverhalten im Bundesrat erst nach der dritten Lesung der Erbschaftsteuerreform im Bundestag führen will. Indes ist davon auszugehen, daß die Erbschaftsteuerreform im Bundesrat noch vor Jahresende durchgehen wird.

Nach den hessischen Neuwahlen geht im Bundesrat aber gegen die FDP nichts mehr, es sei denn, Union und SPD würden versuchen, sich mittels der Stimmen der von den Grünen mitregierten Länder Hamburg und Bremen eine Mehrheit zu verschaffen. Doch es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Grünen ausgerechnet bei so zentralen Punkten wie dem BKA-Gesetz mit Online-Überwachung privater Computer oder dem Einsatz der Bundeswehr im Innern den Steigbügelhalter der Großen Koalition spielen werden. Wahrscheinlicher wird sein, daß Union und SPD den Kompromiß mit Guido Westerwelles Liberalen werden suchen müssen. Allerdings dürfte mit der FDP weder über das BKA-Gesetz noch über den Einsatz der Bundswehr im Innern viel zu verhandeln sein. Für die Liberalen geht es hier um Grundsatzpositionen. Beim BKA-Gesetz zerlegt sich die Große Koalition im übrigen gerade selbst, da die eigenen Reihen auseinanderbrechen. Die  Koalition aus CDU und SPD in Sachsen will dem Gesetz im Bundesrat nicht mehr zustimmen, weil die Sozialdemokraten der Online-Durchsuchung von Computern nicht zustimmen wollen.

Für die Große Koalition heißt das nichts anderes, als daß die Möglichkeiten zum aktiven Regieren erschöpft sind. Die letzten Monate des ersten Kabinetts Merkel werden durch den Stillstand der Gesetzgebung gekennzeichnet sein. Das kann für Merkel sogar vorteilhaft sein. Zuletzt hatte sich die SPD - aber auch die CSU in der Erbschaftsteuerfrage - immer stärker von der Regierung abgesetzt. Die SPD nahm in der Frage der Kfz-Steuerbefreiung für die Käufer von Neuwagen sogar in Kauf, daß ihr Finanzminister Peer Steinbrück als Erfinder der Regelung schwer beschädigt wurde. In einer heftig verlaufenen Fraktionssitzung zerschossen die Sozialdemokraten den von Steinbrück entworfenen Plan. Flugs mußte das Konjunkturpaket der Regierung geändert werden. Ob dies die letzte Änderung sein wird, muß abgewartet werden.

In der Weltwirtschaftskrise ist es geradezu fatal, daß die Bundesregierung im Parlament nicht mehr auf eine zuverlässige Mehrheit zurückgreifen kann. Die Sozialdemokraten haben nur noch die nächsten Wahlen im Sinn. Wenn es nicht gelingt, das SPD-Profil zu schärfen und die Partei bei den Bundestagswahlen im Herbst bei 25 Prozent landet, geht ein Drittel ihrer Abgeordneten-Mandate verloren. Nicht nur in der Weltwirtschaft, sondern auch in der SPD stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Profitiert hat von der Krise bisher nur Kanzlerin Angela Merkel, während der SPD-Kanzlerkandidat und Außenminister Frank Walter Steinmeier unauffällig blieb. "Wo ist Steinmeier?" fragte bereits eine Zeitung. Merkel wird alles versuchen, sich bei den jetzt kommenden Hilfspaketen für die allgemeine Wirtschaft und besonders für die Autoindustrie gut in Szene zu setzen und den Außenminister dumm aussehen zu lassen. Schon wird im Bundespresseamt überlegt, ob man es hinbekommen kann, daß die Zeitungen so schöne Überschriften wie "Merkel rettet Opel" machen werden.

Die immer schwieriger werdende Mehrheitsfindung wird die Entscheidungsprozesse natürlich nicht beschleunigen. Bürgschaften kann die Regierung noch aus eigener Kraft gewähren, aber wenn Gesetze geändert werden müssen, um Arbeitsplätze zu sichern, müssen sich die Wahlkämpfer um eine einheitliche Position bemühen.

Foto: FDP-Chef Westerwelle, Merkel und Steinmeier: Streit um Erbschaftsteuer und BKA-Gesetz

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