© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/08-01/09 19./26. Dezember 2008

"Der Schmuggler Gottes"
Sein Leben gleicht einem Abenteuerroman. Der Mann, der sich Bruder Andrew nennt, kämpft weltweit für verfolgte Christen
Moritz Schwarz

Bruder Andrew, sechs Christen, die Sie persönlich getauft haben, wurden jüngst ermordet.

Andrew: Ja, es ist erschütternd. Und ich fürchte, es werden nicht die letzten gewesen sein. Wir denken, Christenverfolgung sei eine Sache des alten Rom, des Kommunismus oder Nationalsozialismus gewesen, aber tatsächlich findet Christenverfolgung heute statt! Tausendfach! Massenhaft!

In Ihrem neuen Buch "Verräter ihres Glaubens" (JF 26/08) zeigen Sie, daß es vor allem der Islam ist, von dem die tödliche Bedrohung ausgeht: ein erschütterndes Dokument der Leiden von Christen unter muslimischer Herrschaft.

Andrew: All diese Leute, von denen ich dort berichte, kenne ich persönlich, sie sind meine Freunde. Wir im Westen müssen erkennen, daß wir uns in einem Kampf befinden, oder besser: in einem geistlichen Krieg. Der Islam greift an. Millionen Muslime haben sich in Europa und Nordamerika niedergelassen, und wir sollten einsehen, daß zumindest einige von ihnen den Westen hassen. Die Muslime arbeiten darauf hin, die Welt für ihren Glauben zu erobern, während wir uns meist nicht einmal trauen, mit unserem Nachbarn über Gott zu sprechen. Es ist Zeit, daß die Christen in die Offensive gehen!

Was meinen Sie damit?

Andrew: Der Islam ist stark, weil wir schwach sind. Im Grunde unseres Herzens haben wir Angst vor dem Islam. Deshalb glauben wir, nicht über ihn nachdenken zu müssen, sondern meinen, es genüge, ihn abzulehnen. Aber haben Sie schon einmal überlegt, was ein Moslem denkt, wenn er nach Europa kommt?

Nämlich?

Andrew: Er sieht unser Fernsehen: Gewalt, Verbrechen, nackte Frauen, Drogen, Abtreibung und das Fehlen jedes Respekts vor der Religion. Und die Christen? Sie schweigen. Wo waren etwa in meiner Heimat, den Niederlanden, die Christen, die Theo van Gogh widersprachen - bevor ein Moslem ihn bekanntlich dann ermordete? Van Gogh hatte ja nicht nur die Moslems beleidigt, sondern ebenfalls Jesus "den verfaulten Fisch von Nazareth" genannt. Weil die Christen das alles so hinnehmen, respektieren die Moslems uns nicht. Daß die Moslems nicht an die Wahrheit Jesu Christi glauben, ist eine Sache - aber die meisten Europäer tun es auch nicht! Das meine ich mit "in die Offensive gehen"! Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich spreche natürlich nicht davon, jemanden anzugreifen oder zu töten. Im Gegenteil, ich spreche davon, daß wir in islamischen Ländern Kriege führen und dabei unsere Toten zählen, aber nicht die ihren. Wir sollten aber aufhören zu bomben und statt dessen zu unserer stärksten Waffen greifen: unserem Glauben. Wir sollten brüderlich unter den Moslems leben und ihnen die Kraft unseres Glaubens zeigen.

Sie sind in den USA wesentlich bekannter als in Europa und waren schon mehrfach Gast des US-Kongresses. Haben Sie die Amerikaner je darauf angesprochen?

Andrew: Ja sicher, und viele der Senatoren und Kongreßabgeordneten sind dann auch ganz meiner Meinung. Aber schließlich hat sich doch nichts an der Politik geändert.

Sie haben dieses radikale Christentum stets gelebt. Mitunter erinnert Ihre Geschichte an die des Ignatius von Loyola.

Andrew: Sie meinen, er war Soldat und Priester, ich war Soldat und wurde Priester?

Und er verschrieb sich einem ausgesprochen kämpferischen Christentum, wurde Missionar und Gründer des Jesuitenordens. Genau wie Sie - nur ist Ihr "Jesuitenorden" die christliche Hilfsorganisation Open Doors.

Andrew: Ich glaube, diese formalen Parallelen sind dann allerdings auch schon alles an Gemeinsamkeiten. Aber Sie haben natürlich recht, die Konversion vom Soldaten zum Priester ist eine sehr philosophische Konstellation.

Sie sind 1946 Soldat geworden und in den Krieg gezogen. Warum?

Andrew: Aus Patriotismus. Meine Heimat war gerade von der deutsche Besatzung befreit worden - darf ich das hier in Deutschland so offen ansprechen? Ich war Teil der Widerstandsbewegung - nun ja, wir haben illegale Schriften verteilt und Widerständler versorgt, ich habe selbst aber nicht an bewaffneten Aktionen teilgenommen, dazu war ich noch zu jung. Aber damals galt, je mehr du gegen die deutsche Besatzung tust, ein um so "braverer Junge" bist du. Und ich war ein sehr "braver Junge". Dann waren die Deutschen weg, und sie sagten uns: "Die Japaner halten noch unsere Kolonien besetzt!" Klar, daß wir, die wir für den bewaffneten Kampf gegen die Deutschen zu spät gekommen waren, nun diese befreien wollten. So habe ich mich mit 17 zur niederländisch-ostindischen Kolonialarmee gemeldet.

Doch im Dschungel von Indonesien zeigte sich Ihnen ein anderes Bild.

Andrew: Dort wurde mir allmählich klar, daß dies nicht der Freiheitskrieg war, von dem ich geträumt hatte, sondern ein Kolonialkrieg. Ich erkannte, daß wir unschuldige Menschen töteten, an einem Ort, an dem wir nicht sein sollten. Ich sah meine Kameraden sterben. Wofür? Und in meinem Herz wuchs der Widerstand, ich begann den Krieg zu hassen. Ich versuchte, mich von der Front fernzuhalten. Aber dann führte ich am nächsten Tag doch wieder einem Zug ins Gefecht. Schließlich wurde ich auf einer Patrouille schwer verwundet, doch ich hatte Glück und überlebte und kam in ein katholisches Krankenhaus.

Eine ganz andere Welt.

Andrew: Ja, voller Sanftmut und Liebe, mit wundervollen Ordensschwestern als Pflegerinnen. Sie gaben uns die Bibel zu lesen. Ich erkannte, daß der Krieg unser Leben ruinierte: Tausende meiner Landsleute waren in diesem Dschungel gefallen und auch etwa 200.000 Indonesier. Furchtbar! Später war ich während der Kämpfe in Vietnam, Afghanistan und Irak. Es ist immer die gleiche Tragödie. Der moderne Krieg hat nichts Ritterliches mehr. Die Besatzungsmacht bekommt die Lage nicht unter Kontrolle und flüchtet sich in ihre überwältigende Feuerkraft, und die Einheimischen sterben wie die Fliegen. Das ist kein Krieg, das ist Genozid.

Moderne Strategen empfehlen heute "to win hearts and minds" - "Herzen und Köpfe zu gewinnen" -, setzen sich aber nicht durch.

Andrew: Leider, und für mich kam diese Erkenntnis sowieso zu spät. Nach drei Jahren konnte ich endlich meinen Abschied nehmen. Ich war gerade mal 21 Jahre alt, und alle meine Träume und Hoffnungen waren zerschmettert. Ich war immer noch kein Christ, aber ich war auf der Suche. Ich irrte ziellos herum, wie ein Vagabund. Schließlich, eines Abends, gelang es mir, zu Gott zu beten - ich meine wirklich zu beten! Es war nicht das erste Gebet, das ich gesprochen habe, denn ich komme aus einer bürgerlich-christlichen Familie, aber es war das erste Mal, daß ich mit dem Herzen betete. Und es veränderte alles, mein ganzes Leben. Die Leute sagten mir später auf den Kopf zu, daß sie diese Veränderung in meinen Augen sehen konnten. Ich beschloß in einer Fabrik zu arbeiten und lebte in den dunkelsten Vierteln von Amsterdam, dort wo Gott am wenigsten präsent zu sein schien, denn ich wollte unter den geringsten meiner Brüder sein. Ich wollte sie kennenlernen und verstehen, wissen, wie sie denken und fühlen. Damals kam mir die Idee, ihnen Bibeln zu geben. Sie sollten Gott kennenlernen können.

Heute ist aus Ihrer Idee die internationale Hilfsorganisation Open Doors geworden, die seit 1995 auch ein deutsches Büro unterhält.

Andrew: Unsere Brüder in Deutschland leisten wertvolle Arbeit. Open Doors steht heute Christen in über fünfzig Ländern der Erde bei. Viele davon sind vom Tode bedroht, zum Beispiel im Irak.

Ignatius von Loyola nannte man den "Soldaten Gottes", Sie "den Schmuggler Gottes".

Andrew: Ja, aber ich mag diese Etiketten nicht. Daß war eine Idee meines US-Verlegers für meine Autobiographie.

Aber es trifft den Punkt.

Andrew: Ich verstehe, in den Medien braucht man solche griffigen Formulierungen. Aber mir gefällt sie nicht, ich habe mich nie als Schmuggler gesehen, ich bin Missionar.

Aber Sie haben geschmuggelt: Bibeln. Millionen davon.

Andrew: Das stimmt. Zu Beginn waren es ein paar Dutzend, die ich in einem Koffer per Zug ins kommunistische Deutschland, Polen oder Rußland schmuggelte. Ich hörte von professionellen Schmugglern, die Bibeln schwarz ins Land brachten und damit Tausende von Dollar machten. Natürlich würde ich es nicht für Geld tun, sondern um die Christen in Ostblock zu unterstützen.

Warum entschieden Sie sich für die kommunistische Welt?

Andrew: Der Kommunismus war damals in unseren Augen die größte Bedrohung. Jeder im Westen hatte vor ihm große Angst. Damals gab es noch keine Mauer, und täglich kamen vor allem in Deutschland Flüchtlinge in den Westen. Sie erzählten schreckliche Dinge von Diktatur, Geheimpolizei und Mangelwirtschaft. Jeder im Westen fragte sich furchterfüllt: "Ist das unsere Zukunft?" Deshalb wollte ich dorthin. Die Hälfte meiner Zeit verbrachte ich in den Auffanglagern unter den Flüchtlingen, die andere Hälfte in den Ländern der kommunistischen Welt. So lernte ich die Christen dort kennen. Es waren oft nur wenige an der Zahl - in Sibirien traf ich eine Gemeinde, deren jüngstes Mitglied 65 Jahre alt war! Aber ihr Glaube war stark, stärker als der unsrige im Westen. Einige baten verzweifelt um Hilfe, nicht um materielle Hilfe, sondern um Beistand im Glauben: Sie baten uns, für sie zu beten, und sie baten um Bibeln.

Wie gefährlich ist es, Bibeln zu schmuggeln?

Andrew: Man muß wissen, daß es an sich nicht verboten war, Bibeln zu importieren. Sie haben es in größeren Mengen nur nicht zugelassen - vielleicht ein oder zwei, zum persönlichen Gebrauch, aber nicht mehr. Das Schlimmste, was passieren konnte, wenn man entdeckt wurde, war also, daß sie alle Bibeln beschlagnahmten. Einmal sprach ich sogar eine Gruppe von Rotarmisten an, die herumstanden. Ich gab ihnen je ein Johannes-Evangelium. Als ihr Vorgesetzter das sah, kam er wütend heran. Die Soldaten machten sich davon, ließen mich mit ihrem zornigen Offizier alleine zurück. Stumm gab ich auch ihm ein Büchlein. Er las - und wir redeten. Schließlich schieden wir als Freunde. Wenn man die Angst überwindet, wenn man sich von den Vorurteilen nicht entmutigen läßt, dann erreicht man die Menschen. Aber dann bauten sie die Mauer, und es gab eine Welle von Selbstmorden in der DDR, sogar christliche Pastoren töteten sich selbst. So hoffnungslos fühlten sich damals viele. Oh, ich habe diese Mauer gehaßt, wirklich gehaßt! Als mir jemand 1989 ein Stück als Andenken schenken wollte, habe ich es zurückgewiesen. Nur weg damit!

Sind Sie je erwischt worden?

Andrew: Einmal, an der innerdeutschen Grenze. Wir hatten Glück, sie haben uns lediglich zurückgeschickt, uns aber unsere Bibeln gelassen. Eine andere unserer Gruppen wurde an der russischen Grenze erwischt. Sie verloren alles, was sie dabeihatten, nicht nur die Bibeln, sondern alles, inklusive ihres Autos. Oh, wir haben etliche Autos verloren.

Sie haben Open Doors 1955 gegründet.

Andrew: Mir war bald klar, daß man solche Operationen nicht alleine durchführen kann, man braucht eine Organisation: junge, idealistische Christen aus ganz Europa, die für ihren Glauben einstehen wollten. Geldgeber waren übrigens nicht die Kirchen, sondern private Spender, Christen, die ihren Glaubensbrüdern helfen wollten.

Angefangen haben Sie mit einem Handkoffer voller Bibeln. Am Ende waren es eine Million auf einen Streich! Ziel: die Volksrepublik China. Codename "Operation Perle".

Andrew: Benannt nach dem Gleichnis, in dem Jesus das Reich Gottes mit einer Perle vergleicht. In China gab es Anfang der achtziger Jahre zwei Sorten von Kirchen: geheime Hauskirchen, aber auch eine offizielle Kirche, und man konnte sogar Bibeln im Buchladen kaufen. Aber: Wer das tat, mußte sich registrieren lassen, und weil jeder fürchtet, es könnte wieder zur gewaltsamen Verfolgung von Christen kommen, traute sich kaum jemand. So wurden die Bibeln immer knapper, und die wenigen Exemplare zerteilte man bereits und reichte sie zum Auswendiglernen herum. Wir fragten also unsere chinesischen Glaubensbrüder, wie hoch sie den Bedarf schätzen - und sie kamen auf sage und schreibe eine Million Bibeln!

Das wären ganze LKW-Ladungen gewesen.

Andrew: Eben, wie in aller Welt sollten wir so viele Bibeln ins Land bringen? Die Lösung: per Schiff. So ließ sich alles auf einmal erledigen: eine Operation, ein Risiko! Unsere Leute kauften also zwei Schiffe: ein Frachtschiff und einen Schleppkahn, die nach den Erzengeln Gabriel und Michael genannt wurden. Ein US-Verlag hatte die Bibeln gedruckt. Und in der Nacht des 18. Juni 1981 näherte sich unsere kleine christliche Flotte einem abgelegenen Strand bei Shantou am südchinesischen Meer, wo eine kleine geheime Armee von chinesisch-christlichen Helfern am Strand wartete. In dieser Nacht löschten wir 232 Tonnen Bibeln auf geradezu abenteuerliche Weise. Doch zuletzt wurden wir doch noch entdeckt. Ein Glück, daß fast alle Bibeln schon abtransportiert waren und es uns buchstäblich in letzter Minute gelang, uns selbst auch noch abzusetzen. Am nächsten Tag konnte man in der ganzen Gegend seltsame kleine Bücher auf den Dächern der Häuser zum Trocknen ausliegen sehen. Seitdem stoßen unsere Mitarbeiter in China immer wieder auf solche "Projekt Perle"-Bibeln!

Was, wenn die Chinesen Sie erwischt hätten?

Andrew: Wer weiß? Auf jeden Fall hatte jeder von uns zuvor ein Dokument für seine Angehörigen unterschrieben, in dem er erklärte, daß Open Doors nicht verantwortlich sei, sollte er verhaftet oder getötet werden.

Ihr Konzept unterscheidet Open Doors von anderen Hilfsorganisationen: Es geht es nicht darum, Christen aus der Gefahr zu retten, sondern sie zu ermutigen, in der Gefahr auszuharren.

Andrew: So ist es, denn wir wollen den Verfolgerländern ja nicht helfen, ihre Christen loszuwerden. Deshalb muß Open Doors in manchen Staaten verdeckt arbeiten, und unsere Mitarbeiter gehen mitunter ein hohes Risiko ein. Wir versuchen natürlich, Christen vor Verfolgung und Tod zu bewahren, aber nicht um den Preis des Rückzugs. Nein, wir stehen ihnen in der Verfolgung bei, wir beten mit ihnen, harren mit ihnen aus. Und wir wollen ihnen zeigen, daß nicht alle Christen im Westen sie vergessen haben. Das bedeutet diesen Menschen unglaublich viel, glauben Sie mir, das können Sie sich gar nicht vorstellen! Aber wir wollen auch den Christen im Westen am Beispiel ihrer verfolgten Brüder zeigen, was Christentum eigentlich bedeutet: eine Wahrheit, die viele von uns hier schon lange vergessen haben.

 

Anne van der Bijl wurde - vor allem in den USA - bekannt als "Bruder Andrew", der "Schmuggler Gottes". Geboren 1928 in den Niederlanden, kämpfte er drei Jahre als Kolonialsoldat in Indonesien, wurde verwundet und fand zum Christentum. Internationale Berühmtheit erlangte er, als er auf abenteuerliche Weise Millionen von Bibeln in den Ostblock schmuggelte. 1955 gründete er Open Doors International (Logo unten), eine der größten christlichen Hilfsorganisationen weltweit. Seine bewegende Lebensgeschichte veröffentlichte er 1977 in seiner Autobiographie "Der Schmuggler Gottes" (R.Brockhaus Verlag). 2008 erschien "Verräter ihres Glaubens: Das gefährliche Leben von Muslimen, die Christen wurden" (Brunnen).

 

Open Doors steht verfolgten Christen weltweit bei, besonderer Schwerpunkt ist der islamische Raum. Im September startete man die mindestens bis 2011 laufende internationale Kampagne "Gefährlicher Glaube - Gebet und Hilfe für Christen in der islamischen Welt". Kontakt und Informationen: Postfach 1142, 65761 Kelkheim, Telefon: 0 61 95 / 67 67 0, im Internet: www.opendoors-de.org

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen