© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/08-01/09 19./26. Dezember 2008

Das Ende des amerikanischen Zeitalters
USA: Die eigenen Geheimdienste sehen die einzige verbliebene Weltmacht im Niedergang / Russische Prognosen noch düsterer
Günther Deschner

Drei Jahre nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs war die Welt für amerikanische Präsidenten noch in Ordnung. George Bush sen. hatte damals keine Zweifel daran, "mit Gottes Hilfe" den Kalten Krieg gewonnen zu haben und nun die globalen Früchte eines jahrzehntelangen Kraftakts ernten zu können. "Eine Welt, die einst geteilt war in zwei bewaffnete Lager, erkennt nun eine einzige und überragende Macht an, die Vereinigten Staaten von Amerika. Das wissen die Völker der Welt zu schätzen, und sie vertrauen uns mit aller Kraft."

Seit dieser "Rede an die Nation" sind 16 Jahre vergangen, die das US-amerikanische Selbstbewußtsein in seinen Grundfesten erschüttert und die Welt radikal verändert haben. Der Heilsplan des Reagan-Nachfolgers ist gescheitert - nicht nur an den Maßlosigkeiten seines Sohnes George W. Bush, an den Anschlägen vom 11. September 2001 oder den Kriegen in Afghanistan und im Irak. Auch der Zusammenbruch des US-Finanzsystems, das unaufhaltsam steigende Staatsdefizit, die schweren wirtschaftlichen Probleme und der desolate Zustand der US-Gesellschaft lassen immer mehr Beobachter daran zweifeln, daß Amerika in der Lage ist, in den kommenden Jahren seine Rolle als alleinige internationale Ordnungsmacht beizubehalten.

"Das Ende des amerikanischen Zeitalters", "Die post-amerikanische Welt", "Das US-Modell hat ausgedient", "Was ist mit dem amerikanischen Imperium passiert?" Nicht erst seit dem Ausbruch der Finanzkrise häufen sich die Buchtitel und Schlagzeilen in den Medien, welche die "Hypermacht USA" im Abstieg sehen und völlig neue Kräftekonstellationen auf dem geopolitischen Schachbrett prophezeien. Am weitesten ging eine vor zehn Jahren begonnene und Ende November vorgestellte Untersuchung der Fakultät Internationale Beziehungen der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums. Deren Dekan, der Politologe Igor Panarin, kommt im Fazit der Studie sogar zu der Prognose, die inneren Verwerfungen der USA könnten in den nächsten Jahrzehnten überdies zu Bürgerkriegen und dem anschließenden Zerfall des Landes in mehrere Teile führen.

Daß hinter all diesen Thesen und Schlagzeilen über den Abstieg der Supermacht nicht nur anti-amerikanisches Wunschdenken oder Schwarzmalerei stecken, wird jetzt aus den USA selbst bestätigt: Auch der Nationale Geheimdienstrat (National Intelligence Council/NIC), das Zentrum für mittel- und langfristige Prognosen, in dem die Erkenntnisse der nicht weniger als 18 US-Nachrichtendienste zusammenlaufen, sieht die globale Dominanz der USA im Schwinden. Der NIC prophezeit der einzigen verbliebenen Weltmacht über die nächsten zwanzig Jahre einen spürbaren wirtschaftlichen und politischen Machtverlust. Auch neue Kriege schließen die Prognosen nicht aus.

"Das internationale System, wie es sich nach dem Zweiten Weltkrieg konstituiert hat, wird 2025 beinahe nicht wiederzuerkennen sein", heißt es in der NIC-Studie "Global Trends 2025". Als Ursachen dafür nennt sie vor allem das Heraufziehen anderer großer Mächte, der Aufstieg der Schwellenländer, die Globalisierung der Wirtschaft und ein historischer Transfer von Wohlstand und wirtschaftlicher Macht vom Westen in den Osten. Gleichzeitig warnt das Papier vor wieder aufflammenden internationalen Konflikten um Rohstoffe und Ressourcen. In den kommenden zwei Jahrzehnten werde es mehr Unruhen auf der Welt geben, Nahrungsmittel und Wasser werden knapper, Waffen immer zahlreicher.

Niemals zuvor hat der nur alle vier Jahre erarbeitete Bericht, der auf der weltweiten Befragung von Experten und Einschätzungen von Geheimdienst-Analysten beruht, eine so pessimistische Perspektive für die Stellung der USA gegeben. Thomas Fingar, bei dem die Erkenntnisse der Analysten und Experten zusammenlaufen, sieht die USA 2025 zwar "noch immer als die wichtigste Großmacht", sie sei "aber weniger beherrschend". Fingar war als Vizedirektor der Behörde für solche Analysen zuständig. Inzwischen ist er Chef des NIC. Fingar, der sowohl Deutsch als auch Chinesisch spricht, war als Dozent an diversen Hochschulen, danach mehrere Jahre als Militäranalytiker im US-Hauptquartier in Heidelberg tätig und stand der Geheimdienst- und Forschungsabteilung des US-Außenamtes vor.

Für die Entwicklung, wie sie die US-Geheimdienste vorhersagen, nennt die Studie eine ganze Reihe von Gründen: Die Globalisierung werde weitergehen, so der NIC, und sie werde einerseits Wohlstandsvermehrung, andererseits auch größere Ungleichheit bringen. "Die Kluft zwischen Reich und Arm - international, regional und innerstaatlich - wird wachsen."

Die US-Dominanz werde im internationalen System sowohl auf militärischer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene einer starken Erosion ausgesetzt sein "und sie wird beschleunigt erodieren - ausgenommen im Militärbereich". Aber auch wenn die militärische Dimension der USA am längsten herausrage, bleibe sie doch die unbedeutendste. "Niemand wird uns mit einer massiven konventionellen Streitmacht attackieren. Denn die nukleare Abschreckung wird funktionieren." Den internationalen Organisationen sagen Fingars Analysten einen dramatischen Bedeutungsverlust voraus. Sie werden immer weniger in der Lage sein, mit den neuen Herausforderungen einer globalisierten Welt fertigzuwerden. Insbesondere die Uno, die Welthandelsorganisation, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, vor allem aber auch die Nato seien davon betroffen. "Wir brauchen deswegen andere oder umgebaute oder wiederbelebte Institutionen, die sich mit den Folgen der Globalisierung befassen."

Fingar befürchtet allerdings, daß die Unzufriedenheit mit der US-Politik in der Welt so groß geworden ist, daß jede amerikanische Idee zur internationalen Tagesordnung, so gut sie auch immer sein möge, von vornherein diskreditiert sei. Allerdings seien auch Vorschläge Rußlands, Chinas, Indiens oder der EU unglaubwürdig und belastet. "Keiner wird für geraume Zeit in der Lage sein, die Führung in der Welt zu übernehmen und die notwendigen Veränderungen im internationalen System vorantreiben zu helfen."

Auch der Klimawandel werde laut NIC-Studie zu politischen Konsequenzen führen, wenn auch nicht unmittelbar dazu, daß Regierungen stürzen oder Kriege ausbrechen. "Aber er kann der Strohhalm sein, der dem Kamel das Rückgrat bricht - das heißt schwachen Regierungen und kollabierenden Staaten den letzten Stoß versetzen."

Die Migration werde zunehmen und das politische Gefüge der Welt verändern: Immer mehr Menschen würden ihre verarmenden Länder verlassen und in wohlhabenderen, vom Klimawandel begünstigten Staaten bessere Lebensbedingungen suchen.

Auch der demographische Faktor findet in der Studie seinen Niederschlag: Westeuropa, Rußland und Japan würden sich in zwanzig Jahren einem Verhältnis annähern, in dem ein aktiv im Arbeitsprozeß Stehender zwei Rentnern gegenübersteht: "Das ist eine schwere Last für wirtschaftliches Wachstum." Gerade in diesem Punkt sieht Fingar die USA in einer besseren Position: "Unter den hochentwickelten Ländern stehen wir da ziemlich alleine da, weil wir weiterhin demographisches Wachstum haben werden."

Selbst Fragen der Energiesicherheit billigt die Studie eine stärkere politische Triebkraft zu als politischen Ideologien: Der Hunger nach Energierohstoffen werde wachsen, nicht nur im Westen, sondern gerade in den aufstrebenden Mächten China und Indien.

Weitere Themen dieser materialreichen Fleißarbeit sind die Folgen der Finanzkatastrophe von 2008, der Klimawandel, zukünftige Technologien, die strategische Rolle der Arktis, die Trinkwasserknappheit, zukünftige militärische Konflikte, das Ende der al-Qaida oder die Gefahr globaler Pandemien.

Die NIC-Studie "Global Trends 2025" steht im Internet: www.dni.gov/nic/PDF_2025/2025_Global_Trends_Final_Report.pdf

Foto: Bush-kritische Wandmalerei in Nordirland: "Keiner wird für geraume Zeit in der Lage sein, die Führung in der Welt zu übernehmen"

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