© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/09 02. Januar 2009

Kolumne
Die Zeichen der Zeit verstehen
Klaus Motschmann

Zu den weniger beachteten, gleichwohl aber beachtenswerten Ereignissen in der Weihnachtsgeschichte gehört der Besuch der Drei Weisen aus dem Morgenland im Stall von Bethlehem. Sie knieten dort vor dem Jesuskind in der Krippe nieder.

Damit demonstrierten sie, daß die Weihnachtsbotschaft nicht nur von armen, ungebildeten Hirten erfaßt worden ist, sondern auch von angesehenen Vertretern der gesellschaftlichen Oberschicht in den drei damals bekannten Erdteilen Europa, Asien und Afrika. Es waren Astronomen, Mathematiker, Philosophen und Magier, die in gewissen Überlieferungen auch „Könige“ genannt werden. Ihnen war bewußt geworden, daß sich mit der Geburt Jesu eine Zeitenwende vollzogen hat, die man nach den Prophezeiungen des Alten Testaments zwar erhofft, aber doch in ganz anderer Weise – mit „äußerlichen Gebärden“ – erwartet hatte. Sie lösten sich deshalb aus dem politischen Bannkreis des Königs Herodes und kehrten nicht zu ihm zurück. Herodes fühlte sich durch diese Entscheidung der Drei Weisen in seinen Befürchtungen bestätigt, daß in Bethlehem tatsächlich der neue „König der Juden“ geboren sein könnte. Im Interesse des eigenen Machterhalts ließ er alle Knaben im Alter bis zu zwei Jahren ermorden. Er lieferte damit ein Beispiel für die vermeintliche Lösung politischer Probleme, das bis heute immer wieder Nachahmer findet.

Die wirkliche Lösung aller gesellschaftlichen und menschlichen Probleme vollzieht sich entgegen einem unausrottbaren Irrtum allerdings nicht im Laufe eines von Menschen berechenbaren Prozesses oder gar eigenmächtiger Entscheidungen aller möglichen Potentaten. Sie ereignet sich vielmehr durch überraschende Akte des Eingreifens von „außen“ in einer von den Menschen – und selbst von den heutigen „Weisen“ – nicht erwarteten Weise.

Die Geschichte liefert für diese Spannung zwischen immanentem und transzendenten Welt- und Geschichtsverständnis immer wieder deutliche Beweise, die jedoch immer weniger beachtet werden. Darin liegt das eigentliche Problem unserer heutigen Krisensituation. Sorgfältige Diagnosen zum Verständnis der Entstehung, Entwicklung und Überwindung der Finanzkrise sind gewiß unerläßlich, noch wichtiger ist die Bereitschaft, die Zeichen der Zeit zu verstehen und – wie die Drei Weisen – Entscheidungen zu treffen, die in deutlich erkennbarem Widerspruch zu bisherigen Theorien und Praktiken der Wirtschaftspolitik stehen.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

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