© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/09 02. Januar 2009

Ein zu Unrecht Vergessener
Literatur: Zur Erinnerung an Jakob Wassermann
Wiebke Dethlefs

Wer als Literaturfreund heute ins steirische Alt-Aussee kommt, um das bekannte Literaturmuseum zu besuchen, wird meist auch dem nahen Friedhof einen Besuch abstatten. Hier wurde am 3. Januar 1934 Jakob Wassermann beigesetzt, der am Morgen des Neujahrstags plötzlich einem Herzschlag erlegen war. Der Grabstein des im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hochgeschätzten und vielgelesenen Autors hat sich allerdings bereits sehr gesenkt, und die Inschrift ist verblaßt. Darin spiegelt sich auch die heutige Wertschätzung des Autors. Denn Wassermann und sein Werk sind weitgehend vergessen.

Der Grund dafür liegt keineswegs in der Verfemung des Juden Wassermann durch die Nationalsozialisten, wie es gern begründet wird: eine Verfemung, von der er sich in der Nachkriegszeit nicht mehr erholen habe können – er liegt einfach im heute „unzeitgemäß“ gewordenen Stil des Autors, in seinem Wortreichtum, in seiner Fabulierkunst, in seiner barocken Opulenz (wie es Jean Améry in einem feinsinnigen Essay über ihn ausdrückte). Vielleicht auch, weil er literarisch so etwas wie Puccini in der Musik war. Er war unterhaltend, ohne Unterhaltungsschriftsteller zu sein. Seine Romane sind meist voll mitreißender Spannung, die man kaum vor Ende des Buches aus der Hand legen will. Das allein genügt für ein Verdikt seitens des heutigen Literaturbetriebs.

In seinem Weltbild sah er nur Individuen

Zugegeben, es fehlt Wassermanns Werk etwas für seine Zeit Wichtiges. Es fehlt die Gesellschaftskritik. Zwar war er wegen seiner jüdischen Herkunft in gewisser Weise ein Außenseiter – im Berliner Börsenkurier konnte man im Januar 1934 lesen: „Mit der deutschen Literatur hatte er so gut wie nichts zu schaffen“ – und damit automatisch „sozialkritsich prädestiniert“, aber er war keine politische Natur, er sah in seinem Weltbild nur Individuen und erkannte keine gesellschaftlichen Strukturen.

Wassermann ist ein Schriftsteller, den Thomas Mann als größeren Erzähler als er selber einstufte, der der letzte einer großen Reihe deutscher Romanciers war, ein „Romancier reinsten Geblüts“ (Heinrich Mann). Er ist „ein Vollbluterzähler, weitaus besser als sein armseliger Nachruhm. Wassermann bannt uns. Er ist niemals langweilig. Und das ist gar nicht so wenig in einer Zeit, in der das Lesen von Romanen manchmal zur mühseligen, erschöpfenden Dechiffrierungsarbeit wird“ (Jean Améry). Deswegen sollte Wassermanns auch heute noch einigermaßen lebendiger „Fall Maurizius“ wieder begeisterte Leser finden.

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