© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/09 02. Januar 2009

Feuer um der Läuterung willen
Der deutschen Weltalternative eine Gestalt geben: Zu den Wurzeln des Begriffs „Konservative Revolution“
Karlheinz Weissmann

Daß sich der Begriff „Konservative Revolution“ nicht als Bezeichnung für jene intellektuellen und aktivistischen Gruppen der Weimarer Zeit eignet, die jenseits der NSDAP gegen die „Systeme“ von Weimar und Versailles kämpften, gehört sicher zu den gravierenden Einwänden gegen die zuerst von Armin Mohler geleistete Arbeit. Mit besonderem Nachdruck ist entsprechende Kritik von Stefan Breuer geäußert worden, der darauf verweist, daß der Terminus erst relativ spät auftauchte und nicht durchgängig oder allgemein akzeptiert war.

Dabei bestreitet Breuer nicht, daß die Kombination von „konservativ“ und „revolutionär“ seit dem 19. Jahrhundert gelegentlich Verwendung fand und seit dem Beginn der zwanziger Jahre von Protagonisten der geistigen Rechten wie Thomas Mann, Hugo von Hofmanns­thal und Moeller van den Bruck benutzt wurde. Nur hält Breuer das nicht für aussagekräftig genug.

Deshalb sei hier auf zwei besonders frühe Belege hingewiesen, die interessanterweise nicht auf die Meisterdenker, sondern auf die Basis der Bewegung zurückgehen. Dort hat man offenbar direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie den Begriff „Konservative Revolution“ verwendet und als sinnvolle Bezeichnung der eigenen Zielsetzung betrachtet. Es handelt sich um einen auf Dezember 1918 datierten Text von Dietrich Ferchau, der im Februar 1919 im Deutschen Volkstum erschien, und einen im Herbst des Jahres in den Jungdeutschen Stimmen veröffentlichten Aufsatz von Alma de l’Aigle unter dem Titel „Konservativ-revolutionär“.

Ferchaus Text stand noch ganz unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der alten Ordnung. Seine Argumentation war die, die man bei einem Jungkonservativen in dieser Zeit erwarten durfte: Es kann nicht um Restauration gehen, Demokratie und Sozialismus müßten als notwendige Folgen von Krieg und Revolution anerkannt werden. Allerdings, so Ferchau, ist die Revolution „noch nicht zu Ende“, man habe sie erst bis zu jenem Punkt zu führen, an dem sie die Basis für eine neue Autorität schaffe. Um das zu erreichen, sei aktive Mitarbeit nötig. Deshalb komme weder Neutralität noch Abwarten in Frage, vielmehr sollten die verantwortungsbewußten Kräfte in alle Parteien eintreten: „geht ihr nach links, so freut Euch, daß die Revolution Euch wie ein Frühling das Blut aufregt – aber stärkt in den sozialistischen Herzen und Gehirnen die konservativen Handhaben. Wollt Ihr nach rechts gehen, so revolutioniert die alten konservativen Parteireste, daß sie eine Volkspartei in Wahrheit werden.“ Schon die Zusammenstellung der Attribute „konservativ“ und „revolutionär“ in diesem Zusammenhang zeigt die Stoßrichtung Ferchaus: „Unsere Größten sind konservative Revolutionäre gewesen: Luther, Fichte, Bismarck.“

Ferchaus Stellungnahme entspricht weitgehend den Ideen, die in dieser Phase der Entwicklung Wilhelm Stapel, der Herausgeber des Deutschen Volkstums, oder der Kreis um „Das Gewissen“, vor allem Moeller van den Bruck, Eduard Stadtler, Heinrich von Gleichen und Max Hildebert Boehm, vertraten. Allerdings war die Situation zu diesem Zeitpunkt unübersichtlich: Noch waren die Folgen der Waffenstillstandsbedingungen unklar, das Reich bedroht durch die Revolutionspläne der deutschen wie der russischen Kommunisten, und im „Traumland der Waffenstillstandsperiode“ (Ernst Troeltsch) gediehen alle möglichen utopischen Konzepte. Dieser Entstehungshintergrund unterscheidet sich deutlich von dem des zweiten Textes, den Alma de l’Aigle für die Jungdeutschen Stimmen verfaßte.

Die Stimmen waren das Organ des Jungdeutschen Bundes (nicht zu verwechseln mit dem Jungdeutschen Orden). Die Anfänge des Bundes reichten bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück, als Feldwandervögel versuchten, einen engeren Zusammenhalt der Älteren mit einer Gesamtreform der Jugendbewegung zu verbinden. Die schien nötig, weil der Versuch einer Erneuerung durch die 1913 gegründete Freideutsche Jugend offensichtlich gescheitert war. Unter dem Einfluß Gustav Wynekens hatten die Freideutschen einen deutlichen Linkskurs eingeschlagen und gingen nach dem Krieg zu einem erheblichen Teil in der Kommunistischen Jugendinternationale auf. Demgegenüber waren die Jungdeutschen prononciert „völkisch“. Das entsprach dem Muster, das eine gleichnamige Organisation aus der Vorkriegszeit geliefert hatte.

„Er ist der Bewahrer der ewigen Idee“

Allerdings wurde diese Ausrichtung geschwächt durch den Tod des charismatischen Otger Gräff, der noch kurz vor Kriegsende 1918 gefallen war und zu den Vertretern einer nationalistischen und antisemitischen Ausrichtung gehört hatte. Dagegen wurde jetzt eine Strömung stärker, die vor allem durch Frank Glatzel, Karl Bernhard Ritter, Wilhelm Stählin, Martin Voelkel und Stapel repräsentiert wurde und sich als „positiv-völkisch“ verstand. Das hieß, die „Judenfrage“ sollte ganz in den Hintergrund treten, das eigentliche Gewicht kam dem konstruktiven Aufbau der deutschen Gemeinschaft zu. Daß in dem Zusammenhang Zweifel an der Verwendung des Begriffs „völkisch“ wuchsen, lag nahe, und ließ das Bedürfnis entstehen, über Alternativen nachzudenken.

In diesem Kontext ist der Aufsatz Alma de l’Aigles einzuordnen, der sich ähnlich wie der Ferchaus zuerst mit der Frage beschäftigte, wie man den Umsturz selbst einzuschätzen habe. Die Verfasserin meint ausdrücklich, es werde niemand „behaupten können, daß revolutionäre Gesinnung überhaupt undeutsch sei. Nur ist dies nicht deutsch: Revolution um der Revolution willen, sondern vielmehr dies: Abbruch um des Aufbaus willen, Sturm um des Raumschaffens willen, Flut um der Reinigung willen, Feuer um der Läuterung willen.“ Deshalb müsse man eine „konservativ-revolutionäre Gesinnung“ fördern, deren Träger nicht nur revolutionär sei, auch wenn er die überlebten Formen zerbreche, sondern gleichzeitig „der Konservativste: er will zurück zum Ursprünglichen, zum Quellennahen, er ist der Bewahrer der ewigen Idee“.

Angesichts dieser Formulierung lag der Rückgriff auf den deutschen Idealismus nahe – Fichte wird ausdrücklich zitiert – und eine Wiederbesinnung auf die „Idee des Deutschtums“, die in der Zeit der Macht des Kaiserreich eher verschüttet als entfaltet wurde; deshalb sollte auch kein „zweites 1871“, sondern ein „zweites 1806“ angestrebt werden, eine Wiedergeburt aus der Tiefe, die sogar auf die Überlieferung Steins, Fichtes, Lists oder Lagardes verzichten könnte.

Damit waren in dem Text fast alle Schlüsselvorstellungen der Konservativen Revolution in ihrer Frühphase angesprochen: die Kritik des Kaiserreichs als äußerlich und „amerikanisiert“, der Rückgriff auf die Deutsche Bewegung, die Anerkennung der Revolution als solcher und das Beharren auf dem Sinn des Kriegs, der Deutschland wie die Niederlage im Kampf gegen Napoleon die Möglichkeit zur Selbstbesinnung und zum Beschreiten eines eigenen Weges eröffnen werde.

Nun wäre ein so früher Beleg für den Terminus „konservativ-revolutionär“ in Verbindung mit diesem Gehalt an sich schon bemerkenswert genug. Allerdings kommt noch hinzu, daß der Text von einer Frau verfaßt wurde. Der Name Alma de l’Aigles kommt sonst nicht im Kontext der Konservativen Revolution vor, ist aber durchaus bekannt. Sie wurde 1889 in Lockstedt bei Pinneberg geboren. Ihr Vater, ursprünglich Jurist, hatte seinen Beruf aufgegeben, um sich dem Landbau zu widmen. Die idyllischen Verhältnisse ihrer Jugend hat sie später in ihrem Buch „Der Garten“ geschildert.

Ganz verschiedene Impulse wirkten in ihrem Denken

Der Wunsch, Malerin zu werden, blieb dem „Sinnenmenschen“ unerfüllt, die Eltern rieten zu einer praktischen Ausbildung. Nach dem Lehrerstudium arbeitete Alma de l’Aigle zunächst als Erzieherin in Hamburg und unterrichtete danach an der Staatlichen Hilfsschule für Schwachbefähigte. Sie gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der deutschen Sonderpädagogik und hat in ihren Abhandlungen zu diesem Thema immer wieder die besondere Förderung von Lernbehinderten gefordert. Das hat ihre berufliche Stellung nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erschwert, trotzdem konnte sie ihre Tätigkeit fortsetzen.

Während des Zweiten Weltkriegs hielt sie Kontakt zu Widerstandskreisen, ohne aber direkt aktiv zu werden. Schon im zerstörten Hamburg versuchte sie dann die Arbeit der von ihr betreuten Einrichtungen wieder in Gang zu bringen und gehörte 1953 zu den Mitbegründern des Deutschen Kinderschutzbundes. Sie starb 1959 in Hamburg.

Politisch im eigentlichen Sinn ist Alma de l’Aigle nicht mehr hervorgetreten, auch nicht in ihren Veröffentlichungen. Ihr literarisches Vermächtnis bildet vielmehr das bis heute nachgedruckte Buch „Begegnungen mit Rosen“, in dem sie von ihrem lebenslangen Umgang mit diesen Blumen erzählte. Einen Rest ihres Gartens bewahrt die Stadt Hamburg als Naturdenkmal.

Weder Alma de l’Aigle noch Ferchau haben für die weitere Entwicklung der Konservativen Revolution eine Rolle gespielt. Aber gerade deshalb sind ihre Stellungnahmen viel typischer als jene der führenden Autoren der Konservativen Revolution. Hier kann man deutlicher erkennen, daß ganz verschiedenartige Impulse in ihren Denkfamilien nachwirkten. Dazu gehörten eben auch solche, die aus der Lebensreform im weiteren Sinn und den Vorstellungen einer geistigen Strömung stammten, die seit dem Vormärz über den Ersten Weltkrieg hinweg bis in die vierziger Jahre hinein lebendig blieb und zum Besten gehörte, was angestrebt wurde, um der „deutschen Weltalternative“ (Alfred Weber) eine Gestalt zu geben.

Bild: Albin Egger-Lienz, Finale (Öl auf Leinwand, 1918): „Unsere Größten sind konservative Revolutionäre gewesen: Luther, Fichte, Bismarck“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen