© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/09 09. Januar 2009

"Versöhnung um jeden Preis"
Vergangenheitsbewältigung: Eine Tagung des Bundes der Vertriebenen in Berlin testet die Tragfähigkeit der Beziehungen zu den Vertreiberstaaten
Ekkehard Schultz

Seit den politischen Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa vor zwanzig Jahren ist es zu zahlreichen Begegnungen zwischen deutschen Vertriebenen und Menschen gekommen, die heute in den ehemaligen Vertreibungsgebieten leben. Durch den gegenseitigen Austausch gelang es an vielen Orten, Ängste abzubauen und ein Klima des Vertrauens zu schaffen.

Doch wie tragfähig sind die Beziehungen zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn im Hinblick auf das Kapitel der Vertreibung heute? Dieser Frage widmete sich jetzt eine Diskussionsveranstaltung des Frauenverbandes des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Berlin. Gesprächspartner zum Thema "Der schwierige Weg zur Versöhnung. Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn" waren die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, der an der Universität Allenstein in Ostpreußen lehrende Politologe Adam Holub, Hartmut Saenger vom Europäischen Bildungswerk in Rosbach sowie die im böhmischen Reichenberg geborene ehemalige Grünen-Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses Ingrid Lottenburger.

Im Hinblick auf die polnische Sicht zum Thema Vertreibung erinnerte Holub daran, daß sich die Diskussionsebene in den vergangenen zehn Jahren deutlich geändert habe. In den neunziger Jahren sei in Polen eine Fülle von Publikationen erschienen, in denen sich Historiker mit diesem Komplex auseinandersetzten. Allerdings sei damals eine öffentliche Diskussion zur Vertreibung ausgeblieben.

Nach der Jahrtausendwende wurde das Thema zum Gegenstand zahlreicher politischer Debatten. Im Gegensatz zur Wissenschaft wurde dabei gezielt auf Emotionen gesetzt, so Holub. Ein Höhepunkt sei in den Jahren 2003 und 2004 erreicht worden, als die Diskussion "sehr heiß geführt" worden sei. Als Anlaß hätten die Ankündigungen aus Deutschland, ein Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, sowie Restitutionsansprüche der Preußischen Treuhand gedient.

Holub hob hervor, daß nach 1989 schwere Fehler gemacht worden seien. Denn die zahlreichen Erklärungen und Reden von einer deutsch-polnischen Versöhnung hätten allein auf dem Willen der höchsten politischen Repräsentanten basiert. In dieser "Versöhnung um jeden Preis" war die Einbindung wesentlicher Teile des Volkes in die Diskussion nicht vorgesehen. Dieses Versäumnis nutzten Politiker aus: Sie konnten mit dem Thema Vertreibung Stimmungen bedienen und Emotionen schüren.

Auch die Präsidentin des BdV, Erika Steinbach, wies darauf hin, daß in den vergangenen Jahren in Polen die Ängste beim Thema Vertreibung zugenommen hätten. Die große Offenheit, die noch in den neunziger Jahren verbreitet war, sei weitestgehend verschwunden. So würden polnische Professoren, die sich auf Veranstaltungen des BdV äußern, in ihrem eigenen Land oft politisch gebrandmarkt.

Allerdings wies Steinbach darauf hin, daß die Bedenken gegen das Zentrum gegen Vertreibungen nicht in Polen, sondern in Deutschland "geboren wurden". Denn obwohl die Vertreibung rund 15 Millionen Deutschen betroffen habe, mangele es in der Bundesrepublik immer noch weitestgehend an gesellschaftlicher Empathie mit den Opfern.

Nur ein Thema am Rande

Meist werde die Vertreibung nur am Rande behandelt, zudem werde der ostdeutschen Kultur, die ein fester Bestandteil der heutigen Kultur Deutschlands sei, kein ausreichender Platz eingeräumt. Doch "wenn wir selbst nicht im Frieden mit diesem Thema leben, dann werden wir auch eine echte Versöhnung mit unseren Nachbarn nur sehr schwer erreichen", sagte Steinbach. Besser stelle sich die Situation in Tschechien und Ungarn dar. Hier sei der Dialog weiter vorangeschritten. In zahlreichen Diskussionen mit tschechischen Studenten habe sich gezeigt, daß gerade in der nachwachsenden Generation der Anteil Tschechiens an der Vertreibung sehr kritisch beleuchtet würde, betonte Steinbach. Im ungarischen Parlament gab es bereits 1992 eine Entschuldigung für das nach 1945 verübte Unrecht.

Holub zog die Bilanz, daß es bei Themen wie der Vertreibung schon aufgrund der konkreten persönlichen Betroffenheit immer wieder zu Emotionen kommen werde. In Polen sei in weiten Teilen des Volkes die Befürchtung vorhanden, daß - wenn über das Leid der anderen gesprochen werde - das eigene Leid in den Hintergrund geraten könne. Grundsätzlich sei jedoch auch in Polen eine Empathie mit den deutschen Vertreibungsopfern vorhanden.

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