© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/09 09. Januar 2009

Lieber angepaßt als in den Knast
Revolution war gestern: Ein Sozialwissenschaftler zeigt sich erstaunt über eine unpolitische Jugend
Andreas Wild

Ein Jugendforscher wundert sich. Zur jugendlichen Sozialisation, meint Klaus Hurrelmann von der Universität Bielefeld, gehöre doch das Aufbegehren, der lautstarke Protest, das Auf-die-Straße-Gehen. Doch was tue die deutsche Jugend von heute? Sie hocke zu Hause unter den Rockschößen der Eltern und halte den Mund. Sie sei angepaßt und "erstaunlich unpolitisch". Und dabei habe sie doch alle Ursache, Revolution zu machen. Sie habe die größten Schwierigkeiten, ins Berufsleben hineinzukommen. Sie müsse Angst um ihre Zukunft haben. Und trotzdem halte sie den Schnabel. Was sei da geschehen?

Nun, geschehen ist zunächst einmal, daß der just in diesen Tagen ins Rentenalter kommende Professor mit seinen Schlußfolgerungen erstaunlich schief liegt. Wer hat Hurrelmann denn eingeredet, daß junge Leute "auf die Straße gehen", wenn sie Angst um ihre Zukunft haben müssen? Auf die Straße geht man, wenn die Dinge für einen erkennbar günstig liegen, wenn es im Grunde nur noch eines kleinen Stupses bedarf, um die Medien in Schwung zu bringen und eine echte Revolution loszutreten.

Sogar schlecht oder überhaupt nicht ausgebildete, beruflich chancenlose Immigrantenkinder, etwa in der Pariser Vorstädten, befolgen ja dieses Schema. Sie haben buchstäblich nichts zu verlieren, aber manches zu gewinnen, das Mitleid der Öffentlichkeit zum Beispiel, zumindest breite mediale Aufmerksamkeit, hastig zusammengebastelte staatliche Nothilfsprogramme, den Zuspruch von "Paten" oder anderen Clan-Häuptlingen, die meist hinter solchen "Jugend"-Aktionen stehen.

Deutsche Jugendliche aus geordneten Haushalten hätten, wenn sie Radau machten, weder Paten noch Soziologieprofessoren, noch das schlechte Gewissen der Öffentlichkeit hinter sich. Sie würden im Nu in die populistische, gar rechtsradikale Ecke gestellt, ihre ohnehin schlechten Jobchancen würden auf Null reduziert, und sie verlören auch noch das einzige, was viele von ihnen noch haben: den innerfamiliären Rückhalt. "Lieber angepaßt / als in den Knast" - der zur Zeit in gehobenen Jugendkreisen zirkulierende Vers bringt die Sache auf den Punkt.

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