© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/09 16. Januar 2009

Mißtrauen im Westen
Gas und Macht: Die strikte Wahrung der russischen Interessen
Karl Feldmeyer

Wozu und warum führt Rußland seit nunmehr einem Monat einen "Gaskrieg" neuer Art? Am 11. Dezember drohte Gasprom - und das heißt, die russische Führung  - der Ukraine mit einem Lieferstopp, wenn diese nicht umgehend die durch ihre Zahlungsrückstände aufgelaufenen Zinsen sowie die offenen Rechnungen selbst begleichen würde.

Am 1. Januar stoppte Moskau dann tatsächlich den Gasfluß; nicht nur für die Ukraine, sondern für alle Länder, die über die Ukraine mit russischem Gas versorgt werden. Das hat nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Bulgarien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Moldawien zu einem Totalausfall der Gaslieferungen geführt. In der Slowakei, Griechenland, der Tschechischen Republik, in Österreich, Deutschland, Slowenien, Ungarn, Rumänien, Polen, Italien und in Frankreich fielen zwischen 97 und 15 Prozent der Gaslieferungen aus.

Zwischen Rußland und der Ukraine besteht seit dem 1. Januar ein vertragsloser Zustand, weil die Ukraine den von Moskau geforderten Preis nicht bezahlen will. Sie bleibt von der Wiederaufnahme der Gaslieferungen bis auf weiteres ausgeschlossen. Mit dem Argument, es wolle verhindern, daß die Ukraine Gas, das für andere Länder bestimmt sei, aus der Pipeline stehlen könne, hatte Moskau zwar eine plausible Begründung für sein Verhalten, nicht aber eine Rechtsgrundlage.

Daß Medwedjew und Putin mit ihrem vertragsbrüchigen Verhalten gegenüber seinen westlichen Kunden Rußland geschadet haben, wissen sie. Putin hat dies   öffentlich eingeräumt und den dadurch  entstandenen finanziellen Schaden ebenso  beklagt wie den Vertrauensverlust. Daß so kühle Rechner wie Putin und Medwedjew diese  Entscheidungen trafen, obwohl sie sich der daraus folgenden finanziellen Einbussen ebenso bewußt waren wie der Beschädigung des Ansehens als verläßliche Vertragspartner, läßt nur den Schluß zu, daß sie dafür triftige Gründe hatten.

Ein Grund ist gewiß Rußlands starke Abhängigkeit von seinen Einnahmen aus dem Gas-und Erdölexport. Moskau muß  versuchen, möglichst hohe Preise zu erzielen, denn Energie ist seine wichtigste Devisenquelle, solange seine Industrie auf den Weltmärkten zumeist nicht konkurrenzfähig ist. Gerade angesichts der in den letzten Monaten stark gesunkenen Energiepreise hat Moskau nichts zu verschenken. Der eigentliche Grund aber ist kein wirtschaftlicher, sondern ein politischer. Es ist die Ukraine selbst. Seit sie sich nach der Auflösung der Sowjetunion  unabhängig erklärte, war das Verhältnis zwischen Moskau und Kiew problematisch. Inzwischen ist es desolat. Verachtung prägt das Zerwürfnis. Dafür mag es auch Gründe geben, die im Persönlichen liegen. Der harte Kern des Problems aber ist die Tatsache, daß Rußland mit der Ukraine das Kernland verloren hat, aus dem heraus es sich entwickelt hat.

Zur Ukraine gehört seit Chruschtschows Herrschaft auch die von Zarin Katharina II. für Rußland eroberte Krim mit Sewastopol, bis heute Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte. Die Krim ebenso wie die östliche Hälfte der Ukraine mit dem Donezbecken ist ethnisch von russischer Bevölkerung geprägt, die sich  in der Regel als Rußland zugehörig empfindet.

Dagegen repräsentiert die derzeitige ukrainische Führung im wesentlichen den westlichen Teil der Ukraine. Deren Bevölkerung wünscht sich mehrheitlich den Anschluß an den Westen und hegt - begründete - Ressentiments gegenüber jenem Moskau, in dem in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts Josef Stalin regierte und Millionen Ukrainer vorsätzlich verhungern ließ.

 Moskau war zweifellos gut beraten, nach der Auflösung der Sowjetunion den Eindruck zu vermeiden, den neuen Status quo korrigieren zu wollen. Das tut es auch derzeit nicht. Zu diesem Status quo gehört auch, daß die sicherheitspolitische Architektur im östlichen Europa nicht gegen russische Interessen verändert wird. Zu ihnen zählt Moskau den Verbleib der Ukraine außerhalb der westlichen Bündnisstrukturen. Es will sich die Ukraine zumindest als Einflußzone sichern, so wie die Vereinigten Staaten dies seit Verkündung der Monroe-Doktrin mit dem südlichen Amerika halten.

 Für den Erhalt dieser Einflußsphäre nutzt Moskau derzeit sein Gas. Es ermöglicht ihm, der Ukraine ihre Abhängigkeit  und zugleich die Unfähigkeit des Westens spüren zu lassen, Kiew wirksam zu helfen. Dabei wird der Westen selbst auf sein Interesse an einem guten Verhältnis zu Moskau hingewiesen. Vor allem aber wird ihm vor Augen geführt, was für ein Risikopaket er mit der Ukraine erwerben würde, wenn er sie in seine Bündnisstrukturen einbeziehen würde, wie dies vor allem von Washington angestrebt wird.  Nach der Beilegung dieser Krise dürfte sich die Aufnahme der Ukraine in die Nato als Thema ebenso erledigt haben wie die Georgiens nach der russischen Intervention im August vorigen Jahres.

 Was auf den ersten Blick als ein Streit um Gas und Geld erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Teil einer wohldurchdachten russischen Politik, der es zwar auch um Geld, vor allem aber um die Wahrung der russischen Einfluß- und Interessensphäre geht. So verwandelt Rußland Gas in Macht.       

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