© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/09 16. Januar 2009

"Habe den Traum, daß Palästina ein einiges Land sein wird"
Interview: Osama Hamdan, Hamas-Repräsentant im Libanon, über die Situation im Gazastreifen und die Zukunft der palästinensischen Autonomiegebiete
Rainer Kranz

Herr Hamdan, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation im Gazastreifen?

Hamdan: Israel greift in Gaza Zivilisten an. Frauen und Kinder sterben in ihren Häusern oder in anderen Gebäuden, die keine militärische Einrichtungen sind und daher als "sicher" gelten, wie Schulen und Moscheen. Zudem nutzt die israelische Armee bei ihren Angriffen Phosphor-Brandbomben, die weltweit geächtet sind. Die Elektrizitätswerke arbeiten nicht mehr, die Krankenhäuser im Gazastreifen haben eigentlich nur eine Kapazität von 1.400 Betten, aber mehr als 3.500 Zivilisten wurden teils schwer verwundet und müssen medizinisch versorgt werden.

Die israelische Regierung betont aber, der Angriff gelte der Hamas, nicht der palästinensischen Zivilbevölkerung.

Hamdan: Israel behauptet, es hätte seinen Angriff auf Gaza deshalb begonnen, um die Raketenangriffe auf israelische Städte zu unterbinden. Aber bis zum heutigen Tage ist der palästinensische Widerstand in der Lage, seine Raketen abzufeuern - mittlerweile mehr als 45 Kilometer weit.

Die Kassam-Einheiten, die zur Hamas gehören, kämpfen in Gaza trotz der israelischen Überlegenheit unverändert weiter.

Hamdan: Zuerst will ich einmal klar sagen, daß es völlig natürlich ist, daß wir uns im Falle einer militärischen Aggression zur Wehr setzen. Unsere Einheiten hatten in den vergangenen Tagen viele Erfolge zu verzeichnen.

Zum Beispiel?

Hamdan: Die israelische Bodenoffensive ist an vielen Stellen von den Kräften des Widerstandes regelrecht zum Erliegen gebracht worden. Die Kassam-Einheiten berichten, daß sie seit dem Beginn der Bodenoffensive bislang etwa 30 israelische Soldaten töteten und 70 verwundeten.

Israel will die Hamas "empfindlich treffen und schwächen", so Außenministerin Zipi Livni - je schwächer die Hamas, desto stärker werde Israels Wunsch-Verhandlungspartner, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, so ihr Kalkül. Wie fest sitzt die Hamas in Gaza noch im Sattel?

Hamdan: Das palästinensische Volk unterstützt den Widerstand und seine Kämpfer. Vor allem seit dem Beginn der Belagerung vor 18 Monaten erfahren wir viel Zuspruch und Unterstützung. Wir gehen davon aus, daß wir bei den nächsten Wahlen noch mehr Stimmen bekommen werden als bei den letzten Wahlen im Jahre 2006, aus denen wir bereits als eindeutige Sieger hervorgingen.

Welche politischen Ziele verfolgt die Hamas in diesem Konflikt?

Hamdan: Die Ziele der Hamas sind identisch mit denen des palästinensischen Volkes: Wir wollen ein Ende der israelischen Aggression gegen unser Volk, wir wollen das Ende der israelischen Blockade des Gazastreifens, und wir wollen, daß Israel sich künftig nicht mehr in innerpalästinensische Angelegenheiten einmischt.

Westliche Politiker, unter anderem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, erklärten mehrfach, daß alle zivilen Opfer des derzeitigen Krieges in Gaza ausnahmslos auf das Konto der Hamas gingen.

Hamdan: Hier zeigt sich klar, daß immer, wenn es um Israel geht, diese Politiker mit zweierlei Maß messen.

Haben Sie Belege für diese Behauptung?

Hamdan: Wenn Israelis durch einen Raketenangriff zu Schaden kommen, sind sich alle darüber einig, daß dies die Schuld der Hamas sei. Die Bilder eines solchen Angriffs gehen um die Welt, und die Widerstandskämpfer werden als "kriminell" und "terroristisch" bezeichnet. Wenn aber Israelis Palästinenser töten, ist das kein Verbrechen, kein Terrorismus? Dann ist es ebenfalls die "Schuld" der Hamas? Hier zeigt sich doch der unterschiedliche Bewertungsmaßstab ganz deutlich! Zudem wird immer wieder versucht, mit solchen Aussagen einen Keil zwischen die Hamas und das palästinensische Volk zu treiben - allerdings ohne Erfolg. Die Hamas ist im Volk tief verwurzelt, sie betreibt beispielsweise eine Vielzahl sozialer Einrichtungen. Die Weltöffentlichkeit soll mit der Behauptung, die Hamas sei für alle zivilen Opfer verantwortlich, dazu gebracht werden, den palästinensischen Widerstand nicht mehr zu unterstützen. Aber auch diese Rechnung geht nicht auf, wie wir an den vielen Demonstrationen und Kundgebungen auch in westlichen Großstädten sehen.

Sie erkennen den Staat Israel, der immerhin seit 1949 Uno-Mitglied ist, nicht an. Wie stellt sich die Hamas aber dann das Palästina von morgen eigentlich vor?

Hamdan: Wir glauben an die Friedfertigkeit unseres Volkes. Wir kämpfen nur, wenn wir angegriffen werden. Ich habe den Traum, daß Palästina eines Tages ein einiges Land sein wird, ohne Besetzung und ohne die künstlichen Grenzen, die uns von fremden Mächten einst aufgezwungen wurden - ein friedliches Land. Wir dürfen nicht vergessen, daß in Bethlehem in Palästina Jesus geboren wurde, den wir Muslime als einen Propheten verehren und der den Menschen die Botschaft von Frieden und Nächstenliebe brachte. Diese Botschaft verbreitete sich von Palästina aus über die ganze Welt. Das sollten wir nie vergessen.

 

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