© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/09 23. Januar 2009

"Dank Obama hat Stauffenberg Konjunktur"
In den USA läuft "Operation Walküre" besser als gedacht - Woher rührt das plötzliche Interesse an den "guten Deutschen"?
Moritz Schwarz

Herr Professor Maier, die US-Medienpädagogin Diane Carson ist vom Erfolg von "Operation Walküre" in den USA überrascht. Profitiert der Film vielleicht beim US-Publikum von der relativ hohen Anerkennung, die die Wehrmacht bei vielen Amerikanern bis heute genießt?

Maier: Es stimmt, die Angelsachsen haben ein großes Interesse am Zweiten Weltkrieg, und es gibt auch eine Faszination für die Leistungen der deutschen Armee damals. In England wird der History-Channel, also der Fernsehsender für die historischen Dokumentationen, mitunter auch scherzhaft der "Hitler-Channel" genannt - so schlimm ist es allerdings bei uns in den USA nicht. Allerdings - wenn vielleicht auch nicht das große Kinopublikum - haben doch wenigstens die besser informierten Kinobesucher in den letzten Jahren von den Gemetzeln der Wehrmacht im Osten erfahren. Das schließt aber nicht aus, daß ehrliche Soldaten endlich dagegen rebelliert haben. Um also Ihre Frage zu beantworten: Auch wenn die Amerikaner sehr genau zwischen Wehrmacht und SS unterscheiden und keinesfalls die deutschen Militärs per se für Nazis halten, ist der deutsche Soldat hierzulande nicht gerade der Typus, mit dem man sich identifiziert.

In Deutschland kaum bekannt: "Operation Walküre" ist nicht die erste US-Verfilmung der Stauffenberg-Erhebung. Aus dem Jahr 1990 stammt der US-Spielfilm "Stauffenberg - Verschwörung gegen Hitler". Dort trifft sich Stauffenberg mit Generalfeldmarschall Rommel. Ganz offensichtlich soll mit dieser erfundenen Geschichte Stauffenberg in den Augen der US-Zuschauer aufgewertet werden.

Maier: Man muß wissen, daß es so etwas wie einen "redeeming value" in den USA gibt, eine Qualität, die viel Schlechtes wettmacht: also wenn ein Mutiger sich selbst überwindet und inmitten des Bösen das Gute tut. Deshalb sind die Amerikaner immer bereit, dort, wo die Wehrmacht anständig gehandelt hat, dies anzuerkennen. Rommel ist aus amerikanischer Sicht so ein Fall, er hat hier bekanntlich einen gewissen Nimbus, und den haben sich die Macher dieses Films offenbar zugunsten Stauffenbergs zunutze gemacht und damit übrigens auch Rommel - ebenso wie schon zuvor in der "Der Wüstenfuchs" von 1951 - viel mehr zu einem Akteur des 20. Juli gemacht, als er das historisch tatsächlich war.

Zeigt der in Deutschland praktisch unbekannte Stauffenberg-Spielfilm von 1990, daß das Interesse der Amerikaner am deutschen Widerstand größer ist, als die Deutschen glauben?

Maier: Man muß ehrlicherweise zugeben, daß diese Filme in der Regel hier nur ein kleines Publikum finden, ebenso wie die deutschen Filme über den Widerstand, etwa über die Weiße Rose, die bei uns auch laufen. Aber es mag in der Tat mehr solcher US-Filme geben, als den Deutschen bewußt ist. 2002 zeigte Roman Polanski in "Der Pianist" - der sogar recht erfolgreich war - die sehr positive Darstellung des deutschen Offiziers Wilm Hosenfeld, der während des zweiten Weltkriegs mehreren Polen und Juden das Leben rettete. Zuvor machte 1993 Steven Spielberg mit "Schindlers Liste" die Geschichte des Oskar Schindler weltweit bekannt. Aus dem gleichen Jahr stammt schließlich "Swing Kids" mit Christian Bale, der inzwischen mit seinen Batman-Filmen Erfolge feiert. Dabei ist das Beispiel von "Swing Kids" besonders interessant, denn der Film zeigt eine Welt, die damals die historische Realität vieler Deutscher war, die in den USA aber fast gänzlich unbekannt ist: die Welt der Apolitischen, zwischen Anpassung, Aussteigen und Widerstand. Die Swing tanzenden Kids leisten keinen Widerstand, aber sie lassen sich auch nicht vereinnahmen. Die deutsche Geschichtswissenschaft nennt das, in Abgrenzung zum aktiven Widerstand, "Resistenz". Eine Kategorie, die bei uns unbekannt ist. Andererseits muß man sich aber im klaren darüber sein, daß die meisten US-Filme die Deutschen während des Zweiten Weltkrieges eher nicht positiv darstellen - wobei es aber Kino und Fernsehen sind, die heute das historische Bewußtsein der breiten Masse weitgehend prägen. Allerdings, vielleicht beruhigt es Sie, daß es diesbezüglich den Japanern noch viel schlechter ergeht.

Inwiefern?

Maier: Den vielbeachteten Kriegsfilm "Letters from Iwo Jima" aus dem Jahr 2006 kann man geradezu als Epochenwende betrachten. Bis dahin wurde die japanische Seite überwiegend in einer fast rassistischen Weise gezeigt. Bedenken Sie dagegen zum Beispiel, welche positive Reaktionen 1982 "Das Boot" in den USA auslöste. Ich zeige "Das Boot" bis heute in meinen Kursen, und es ist jedesmal sehr populär bei den Studenten.

Bereits 1977 verfilmte US-Star-Regiesseur Sam Peckinpah erfolgreich den deutschen Roman "Das geduldige Fleisch" als "Steiner - Das Eiserne Kreuz" und zeigte Leiden und teilweise den Widerstandsgeist deutscher Soldaten.

Maier: Das hat in gewisser Weise fast Tradition in den USA: Denken Sie daran, daß es Hollywood war, das schon "Im Westen nichts Neues", also den Ersten Weltkrieg aus deutscher Sicht, verfilmt hat - und das sogar zweimal: 1930 und 1979. Interessant ist die Frage, ob "Im Westen nichts Neues" oder "Das Boot" mit Japanern genauso Anklang bei uns finden würde. Bis "Letters from Iwo Jima" wäre ich da skeptisch gewesen.

Was macht nun "Operation Walküre" in den USA so erfolgreich?

Maier: Natürlich sind das in erster Linie die Namen: Peckinpah, Spielberg, Polanski, Cruise - aber es gibt derzeit auch eine etwas seltsame Stimmung hier: einerseits die furchtbaren Nachrichten aus der Wirtschaft, andererseits die Hoffnung und Zuversicht, die Barack Obamas Amtsantritt ausstrahlt. Dem Grafen Stauffenberg nützt vermutlich, daß derzeit die Hoffnung Konjunktur hat, daß ein einzelner gegen alle widrigen Umstände zur rettenden Tat schreiten kann.

Graf Stauffenberg als der Barack Obama des Deutschlands von 1944? 

Maier: Die Situation ist eine völlig andere, aber die Amerikaner haben eine Vorliebe dafür, daß ein einzelner aufrechter Mann eine bedrohte Gesellschaft retten kann. Als Hochschullehrer versuche ich natürlich auch über andere, frühere Unternehmungen bzw. die ganze gesellschaftliche Breite der Opposition - und nicht nur die über die Verschwörung des 20. Juli - zu informieren. 

Wie deutsch ist "Operation Walküre" bei soviel US-Mythologie überhaupt noch?

Maier: Das ist eine gute Frage. Die Wahrheit ist wohl, daß die Zukunft, in die Graf Stauffenberg Deutschland geführt hätte, keine sehr angelsächsische gewesen wäre. Denn er war ein elitärer Aristokrat mit für das damalige deutsche Offizierskorps typischen autoritären Vorstellungen. Er wollte nicht nur Hitler töten, sondern auch das Deutsche Reich retten. Allerdings wundert es mich nicht, daß sich der Film von Tom Cruise darauf nicht konzentriert.

 

Prof. Dr. Charles S. Maier: lehrt zusammen mit Niall Ferguson und David Blackbourn deutsche Geschichte am Center for European Studies der Universität Harvard, dessen Leiter er bis 2001 war. Er veröffentliche mehrere Bücher zur deutschen Geschichte, darunter: "Die Gegenwart der Vergangenheit. Geschichte und nationale Identität der Deutschen" (Campus, 1992) Geboren wurde er 1939 in New York.

 

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