© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/09 30. Januar 2009

Nachruf
Ein Leben in Distanz
Dieter Stein

Es ist jetzt schon zehn Jahre her, daß der am vergangenen Sonntag verstorbene Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing die Herausgeberschaft für die von ihm 1970 gegründete Zeitschrift Criticón abgegeben hat. Wenn auch die Zeitschrift durch seinen Nachfolger in die Bedeutungslosigkeit geführt und inzwischen eingestellt wurde, so ist noch heute der Mythos Criticón lebendig. Intellektuelle Zeitschriften sind Kristallisationspunkte des geistigen Lebens einer Nation. Und an Criticón konnten die edelsten Kristalle des Nachkriegskonservatismus wachsen.

Als ich 1984 als Schüler zum ersten Mal die Zeitschrift mit dem türkisfarbenen Umschlag in den Händen hielt, war ich sofort gebannt: Es gab ein lebendiges Milieu von intellektuellen Konservativen, nicht von der alles domestizierenden opportunistischen CDU/CSU abhängig war, das einen Gegenstandpunkt zum linksliberalen Mainstream formulierte. Criticón war der intellektuelle konservative Leuchtturm in einer vom linken Zeitgeist aufgepeitschten See der öffentlichen Meinung. Daß die Zeitschrift lakonisch-lässig, unsentimental und mit zurückhaltender Eleganz erschien, verdankt sie ihrem Schöpfer. Er entsprang nicht einem der typischen Milieus, aus denen sich das Lager der Konservativen, der politischen Rechten in Deutschland speiste (siehe auch den ausführlichen Nachruf auf Seite 10), und er öffnete sein Blatt auch für klassisch liberale Autoren.

Schrenck-Notzing, einer alten Münchner Patrizierfamilien entstammend, stellte den traditionellen Konservativen dar, der nach Panajotis Kondylis an Adel und Grundbesitz gebunden war. Ein damit verknüpfter Dünkel war hingegen das Gegenteil dessen, was Schrenck-Notzing verkörperte, er beschrieb "Distanz, auch zu sich selbst" als den Wert, den man seinen Kindern weitergeben sollte. Seine Editorials, die er als "Critilo" schrieb, entfalteten durch seine Ironie einen unverwechselbaren Biß und waren stilprägend. Er gab den irritierten Konservativen ihre Souveränität zurück. Immer war der Blick über den deutschen Tellerrand hinaus gerichtet auf die Entwicklung konservativ-intellektueller Strömungen im Ausland, insbesondere in der angelsächsischen und amerikanischen Welt, zu der Schrenck-Notzing fruchtbare Beziehungen unterhielt. Dabei war ihm die für die Atlantiker der Kohl-CDU typische Servilität gegenüber den USA genauso fremd wie irrationale antiamerikanische Affekte.

In einem Beitrag für diese Zeitung beschrieb Caspar von Schrenck-Notzing 2003 das Motiv für seine publizistische Initiative: "Die Studentenrevolte um 1968, ein Sieg der transatlantischen Pop- und Medienkultur über die nicht mehr taufrische abendländische Hochkultur, hatte einen do it yourself-Reflex ausgelöst. Einzelne wollten nicht mehr warten, bis die weit besser gerüsteten Verlage, Universitäten und Parteien sich rührten."

Er hat damit ein Beispiel gegeben und eine publizistische Tradition begründet, die jetzt andere fortführen, nämlich dem "herrschenden geistigen Klima in der Bundesrepublik etwas entegenzusetzen". Die JUNGE FREIHEIT wäre ohne das Beispiel Criticón nicht denkbar gewesen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen