© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/09 30. Januar 2009

"Treuepflicht gegen Volk und Vaterland"
Bekenntnis zum Deutschtum: Zum hundertsten Geburtstag des jüdischen Querdenkers und Sprachmagiers Hans-Joachim Schoeps
Günther Deschner

Einen "unzeitgemäßen Preußen" und den "letzten preußischen Juden" hat man den vor hundert Jahren geborenen Historiker Hans-Joachim Schoeps genannt, kurz den "Preußen-Schoeps". In den beiden ersten Nachkriegsjahrzehnten gehörte er zu den bekanntesten und mit seinen Preußen-Büchern auch meistgelesenen Historikern der Bundesrepublik.

Als deutscher Jude, der im Dritten Reich in die Emigration getrieben worden, dennoch bekennender Deutscher geblieben und bald nach dem Krieg wieder heimgekehrt war, vermochte er mit seinem Plädoyer für das von den Siegern als deutsche Ursünde verdammte Preußen einer verunsicherten Generation ein geistiges Geländer zu bieten, an dem sie neuen Halt finden konnte.

Bereits seine Rede zum 250. Jahrestag der ersten preußischen Königskrönung, dem 18. Januar 1951, über "Die Ehre Preußens" sorgte für Aufsehen. "Ich möchte mit der Feststellung beginnen", hieß es, "daß wir eines teuren Toten hier gedenken, der, vom Strome der Geschichte zum Licht getragen, in diesen Strom wieder zurückgetaucht ist." Doch nicht nur der Staat Preußen war tot - im engeren Kreis konnte Schoeps von sich sagen, auch er lebe "nur noch postum". Aber wenn auch der Staat Preußen gemordet war - seine Idee und die aus ihr geborenen Werte waren lebendig. Und Schoeps wollte ihnen zu neuer Geltung verhelfen: Pflicht, Treue, Vaterland, mehr sein als scheinen!

Allerdings wurde ihm diese Meinungsfreiheit, die er als heimgekehrter Emigrant zunächst in Anspruch nehmen durfte, bald eingeschränkt und schließlich - je weiter die Republik in den sechziger Jahren nach links rückte - entzogen. Mit seinen Bekenntnissen zur deutschen Geschichte, seinem Beharren auf den preußisch-deutschen Tugenden und mit seinem betonten Konservatismus machte er sich mächtige Feinde: Er wurde als "Rechter", "Konservativer" und "Deutschnationaler" angegriffen und im Meinungsbild in ein gleißend-irritierendes Licht getaucht. Seine Persönlichkeit und - wo es politische Wirkungen zeigte - auch sein Werk wurden "umstritten".

Am 30. Januar 1909 als ältester von zwei Söhnen einer jüdischen Arztfamilie in Berlin geboren, war Hans-Joachim Schoeps "streng im preußischen Geist erzogen" worden. Sein Vater Julius Schoeps hatte in einem preußischen Garderegiment gedient und sich nach dem Studium der Medizin in Berlin als Arzt niedergelassen. Seit 1900 war er Stabsarzt der Landwehr, und im Ersten Weltkrieg leitete er Feldlazarette in Ostpreußen und Berlin.

Die Nationalsozialisten entzogen ihm 1938 den Arzttitel. Zwar hätte er noch rechtzeitig auswandern können, aber er wollte nicht glauben, daß eine "nationale Regierung" Hand an ihn und seine Familie legen könnte. Im Juni 1942 wurde er mit anderen Berliner Juden ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Seine Frau Käthe begleitete ihn freiwillig. Er starb im Dezember 1942 in Theresienstadt. Sie kam 1944 in Auschwitz um. Später benannte die Bundeswehr eine Sanitätskaserne nach ihm.

Sohn Hans-Joachim zog es nicht zur Medizin. Er studierte Religionswissenschaft, Geschichte und Literaturwissenschaft in Heidelberg, Berlin und Leipzig und promovierte dort 1932 mit einem religionsphilosophischen Thema zum Dr. phil. 1933 legte er zusätzlich das Staatsexamen in den Fächern Deutsch, Geschichte und Religionskunde ab. Zum Referendardienst für das Lehramt wurde er im Sommer 1933 schon nicht mehr zugelassen.

Als Student war der konservative und deutschnationale Jude zur bündischen Jugend gestoßen. Auch zu Gruppierungen der Konservativen Revolution hatte er vielfältige Kontakte. Er schrieb in Hans Zehrers Tat, auch mit der Redaktion des Ring, die durch die Ideen Moeller van den Brucks geprägt war, stand er in Verbindung. Mit aus der Rückschau schwer verständlicher Unbeirrbarkeit hielt er nach dem 30. Januar 1933 daran fest, daß es auch im NS-Staat möglich sein müsse, deutschnational und jüdisch zugleich zu sein. Er gründete den "Deutschen Vortrupp - Gefolgschaft deutscher Juden", der Juden aus der bündischen Jugend organisierte. Und er startete einen Buchverlag (Vortrupp-Verlag) in Frankfurt, später Berlin.

1934 veröffentlichte er eine Broschüre "Bereit für Deutschland", die das in Frage gestellte Deutschtum der deutschen Juden verteidigte und gegen die Ausgrenzungspolitik der Nationalsozialisten Stellung bezog. Sie enthielt manch versteckte Kritik am NS-Staat, im Kern jedoch war sie - ein grandioses Mißverständnis! - ein unverhülltes Angebot zur Zusammenarbeit. "Auch das nationalsozialistische Deutschland", schrieb Schoeps damals, "hat seinen Ort in jener Auseinandersetzung, die von den karolingischen Ursprüngen bis heute um den deutschen Geschichtssinn geführt wird. Der deutsche Jude, der das einmal begriffen hat, kann über das Los seines heutigen Ausgeschlossenseins vom deutschen Geschehen hinwegsehen und so eine wahrhaft positive Einstellung finden, um bei aller Sorge und Distanz Verantwortung für das heute Geschehende zu übernehmen."

Und weiter: "Wir deutschen Juden (...) wissen und bekennen, daß keine Macht der Welt uns Deutschland aus dem Herzen reißen kann, daß kein Gesetz und keine Verordnung uns von der Treuepflicht gegen Volk und Vaterland entbindet. (...) Auch wenn uns unser Vaterland verstößt, bleiben wir: Bereit für Deutschland!" Er forderte eine "Beschleunigung der notwendigen Trennung von deutschen und undeutschen Juden", positionierte sich gleichermaßen gegen rabiate NS-Antisemiten und gegen Zionisten, "da ja beide das Deutschtum der Juden als etwas Widernatürliches betrachteten oder als einen Irrtum, der schleunigst korrigiert werden" müsse.

Schoeps versuchte sogar, den Juden eine Erklärung für den Antisemitismus der "nationalen Erhebung" zu geben. "Ihr habt euch an Aufklärung und Liberalismus maßgeblich beteiligt, jenen Geistesströmungen, die Zersetzung und Unordnung gebracht haben." - "Viele von euch haben die sozialistische und kommunistische Bewegung mitgetragen". Die "Identifizierung von Judentum und Marxismus" sei zwar vereinfacht, aber einfach erfunden sei sie auch nicht (...) Bei einem so eindeutigen Bekenntnis nationaldeutscher Juden zum Deutschtum und zum deutschen Staat, spekulierte Schoeps, müsse es doch möglich sein, auch im neuen Staat eine konstruktive Rolle zu finden. Vergeblich.

In Emigrantenkreisen, bei Linken und zionistischen Organisationen handelte sich Schoeps mit seiner Position viel Kritik ein. Die Exilzeitung Pariser Tageblatt beschimpfte ihn 1936 als "hitlertreu". Der Haß verfolgt ihn über den Tod hinaus: Noch im März vergangenen Jahres nannte ihn Wolf Biermann in seiner Dankesrede auf die Verleihung des Theodor-Lessing-Preises der Deutsch-Israelischen Gesellschaft einen "monströsen Fall", einen "begeisterten Heil-Hitler-Juden".

Erst 1935, nach den Nürnberger Gesetzen, die auch die alteingesessenen und deutschnationalen Juden zu Bürgern zweiter Klasse machten, verflogen auch bei Schoeps die Illusionen. Ab da stand für ihn fest, daß das wahre Preußen-Deutschland sich eher im konservativen Widerstand verkörperte. Wegen seiner Kontakte zu Ernst Niekisch und dem NS-Dissidenten Otto Strasser wurde er von der Gestapo zunehmend unter Druck gesetzt. Ende 1938 emigrierte er nach Schweden. Dort fühlte sich Schoeps, als habe ihn Hitler "auf Urlaub aus der Weltgeschichte" geschickt. Als Konservativer war er in der eher linken Emigrantengemeinde isoliert. Er vergrub sich in Archive und Bibliotheken und schrieb massenhaft wissenschaftliche Manuskripte. Die Sorge um Deutschland trieb ihn weiterhin um. Unter Pseudonym verfaßte er 1944 die Schrift "Was soll aus Hitler werden?", worin er eine Kollektivschuld der Deutschen an den NS-Verbrechen verneinte.

Ende 1946 kehrte Schoeps nach Deutschland zurück. Mit den in Schweden verfaßten Texten konnte er sich in Marburg habilitieren und erhielt im Jahre darauf die Berufung auf den für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Religions- und Geistesgeschichte der Universität Erlangen. Die Gründung der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte und einer gleichnamigen Gesellschaft mit ihm als Vorsitzendem folgte.

Sein universeller Geist, die glitzernde Magie seiner Sprache und die Spannweite seiner Paradoxien sprachen sich herum. Seine als unzeitgemäß geltenden Positionen und der Meinungsstreit um ihn machten ihn interessant. Mit Vorträgen und Vorlesungen über Preußen, "Große homines religiosi", über die Weltreligionen oder konservative Politik verstand es Schoeps, große Auditorien zu faszinieren. In seine "Montagsvorlesungen", die er in den Fünfzigern und Sechzigern an der Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen hielt, strömten bald nicht nur Studenten, sondern auch das gebildete Bürgertum der Stadt. Schoeps mußte ins Auditorium Maximum umziehen, das 800 Hörern Platz bot, und dennoch fand, wer auch nur ein paar Minuten zu spät kam, keinen Sitzplatz.

In seinen engeren Schülerkreis konnte er - wie ein Magnet die Eisenfeilspäne - brillante Köpfe und Querdenker anziehen. Normale "Brotstudenten" wurden durch martialisch klingende Anforderungskataloge abgeschreckt. "Damit Geistesgeschichte", so ließ er in der Seminarbibliothek anschlagen, "nicht mit gebildetem Geschwätz verwechselt wird, ordne ich an: Wer sich bei mir zu einem Seminar anmeldet, muß entweder ein abgeschlossenes Studium oder wenigstens den erfolgreichen Besuch von zwei Hauptseminaren in Fächern der philosophischen, theologischen, juristischen oder medizinischen Fakultäten nachweisen, sowie die passive Beherrschung von zwei toten und die aktive von zwei lebenden Sprachen."

Dementsprechend waren Niveau und geistiges Klima seiner Seminare. Jeden 18. Januar beging er mit seinen Schülern im "Brandenburger Hof" zu Erlangen den Reichsgründungstag von 1871. Zu seinen bekanntesten Schülern zählen unter anderem Hans-Dietrich Sander, die Brüder Marcel und Robert Hepp, die Historiker Hellmut Diwald und Werner Maser.

Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer blieb Schoeps weiterhin auch politisch engagiert. Er war Monarchist aus Überzeugung, forderte die Wiederherstellung Preußens. 1969 erhielt er den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung. 1969 war er Mitgründer der Konservativen Sammlung und Autor in der Zeitschrift Konservativ Heute. Je weiter sich die Linkstendenzen in der westdeutschen Gesellschaft in den sechziger Jahren verstärkten, desto schärfer wurde auch Schoeps im Ton und desto weniger schützte ihn seine jüdische Herkunft. Die Angriffe kamen immer dichter, vor allem von der APO, die den lästigen Professor, der schon verschiedentlich energische Maßnahmen gegen den neuen linken Extremismus verlangt hatte, jetzt als "Nazi-Juden" oder "jüdischen Obersturmbannführer" verunglimpfte. Seine Vorlesungen wurden "kaputtbesetzt", auf seinem Vortragspult wurde er regelmäßig mit einem Haufen Scheiße original progressiv-revolutionärer Herkunft begrüßt.

Auf Unterstützung brauchte er nicht zu hoffen. Die Philosophische Fakultät hatte eine Solidaritätserklärung für ihn abgelehnt. Schoeps wurde zu einem "Fall", der bundesweit Aufsehen erregte und bald auch Angriffe in der überregionalen Presse (Zeit, Spiegel) auf sich zog. Schließlich nahm unter der 1969 ins Amt gekommenen sozial-liberalen Regierung das Verteidigungsministerium die Vereinbarung über eine Sonderausgabe der preußischen Geschichte für die Bundeswehr zurück. Hans-Joachim Schoeps geriet in den folgenden Jahren immer weiter in die Isolation, es wurde still um ihn. Am 8. Juli 1980 starb er im Alter von 71 Jahren. Er wurde zunächst im neuen Israelitischen Friedhof in Nürnberg beigesetzt, im September 1996 exhumiert und nach Berlin-Weißensee überführt. In der Erinnerung seiner Schüler ist er - nun tatsächlich postum - noch stets lebendig.

 

Dr. Günther Deschner war Schüler von Hans-Joachim Schoeps und wurde bei ihm mit einer Arbeit über den "Einfluß von A. de Gobineaus Essai über die Ungleichheit der Menschenrassen auf die deutsche Geistesgeschichte" promoviert.

Foto: Hans-Joachim Schoeps: Die Sorge um Deutschland trieb ihn um

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