© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/09 30. Januar 2009

Perspektiven aus der Endlagerstätte
Der langjährige Oberkreisdirektor von Lüchow-Dannenberg reflektiert über die Kernkraft und die Einflüsse auf seine Region
Harro Lentz

Klaus Poggendorf war von 1978 bis 1996 Oberkreisdirektor des Landkreises Lüchow-Dannenberg. Er ist also für den Streit um Gorleben wie für die Entwicklung dieser Region kompetent. Sein Buch handelt gemäß dem Titel "Der Streit um die nukleare Entsorgung" von dem bekannten und noch immer aktuellen Problem der Endlagerung strahlender Materialien aus Kernkraftwerken sowie von den ökonomischen und psychologischen Problemen der Region um Gorleben. Beide Themen sind miteinander verknüpft und wenden sich doch an unterschiedlich interessierte Leser.

Sicher sind für einen großen Leserkreis die Geschichte und die Zukunftsperspektiven der nuklearen Entsorgung interessant, wie sie sich für Gorleben ergeben haben und wie sie noch diskutiert werden. Für diese Interessenten empfiehlt es sich vielleicht, mit dem Kapitel "Risiko" zu beginnen. Es gibt 435 Kernkraftwerke in 31 Staaten. 29 Kernkraftwerke befinden sich im Bau und 64 in der Planung. China betreibt derzeit zehn Atommeiler, baut fünf und plant 13 neue. Indien hat 16 Kernkraftwerke, baut sieben und plant vier neue, darunter einen "Schnellen Brüter". Diese Zahlen geben die Akzeptanz von Kernkraftwerken wieder.

Die ethische Vertretbarkeit ist eine Frage, die die Menschen in zwei Glaubensrichtungen spaltet. Es sind wirklich Glaubensrichtungen, die mit religiöser Inbrunst vertreten werden und kaum sachlich zu diskutieren sind. Niemand braucht die Verwunderung des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt teilen, der im Zeit Magazin im August 2008 äußerte, die große Mehrheit aller Staaten, aller Parlamente und Regierungen der Welt sei zu dem Ergebnis gekommen, daß dieses Risiko ethisch vertretbar ist. Er wundere sich darüber, daß dies allein in Deutschland anders gesehen werde.

Poggendorf legt eine einmalige und umfassende Materialsammlung zur Nutzung der Kernkraft vor. In Deutschland sind die Auseinandersetzungen leider zum Teil undemokratisch und gewalttätig geworden. Die Kosten, die durch die vehementen Reaktionen von Kernkraftgegnern entstanden sind, werden in dem Buch nur zu einem geringen Teil beziffert. Eine realistische Schätzung wäre vermutlich, daß alleine durch Polizeieinsätze und Beseitigung von Sachbeschädigung nicht viel weniger als eine halbe Milliarde Euro verbraucht worden sind. Poggendorf demonstriert erschreckend klar, daß die Bundesrepublik Deutschland auf wichtigen Gebieten nicht regierbar ist.

Sein Buch berichtet auch über Geschichte und Zukunftsaussichten der Region um Gorleben. Eine ausführliche Beschreibung der Wiedervereinigung Deutschlands als sachkundige Chronik  nicht nur für die Region um Gorleben etwa ist interessant zu lesen, hängt aber mit dem Komplex der Nuklearenergie nur bedingt zusammen.

Der große Wert des Buchs liegt in der Kompetenz des Autors und in der Fülle des dargestellten Materials. Es ist sicher ein für diesen Zeitabschnitt in der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands wichtiger Diskussionsbeitrag. Obgleich durch eine angemessene Lektoratsarbeit die Lesbarkeit hätte erhöht werden können, ist Poggendorfs Buch für eine sachliche Diskussion um die nukleare Entsorgung und die Zukunft von großer Wichtigkeit.

Klaus Poggendorf: Gorleben, Der Streit um die nukleare Entsorgung und die Zukunft einer Region. Nordlanddruck, Lüneburg 2008, broschiert, 300 Seiten, 19,50 Euro

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