© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/09 13. Februar 2009

Vertrag von Lissabon
Wenn Demokratie lästig wird
Dieter Stein

Am Dienstag und Mittwoch wurde vor dem Bundesverfassungsgericht über keine geringere Frage verhandelt als über die Abschaffung der Demokratie in Deutschland. Trotzdem reagieren Medien und Öffentlichkeit darauf, als falle in China ein Sack Reis um. Wichtiger sind der Abschied eines amtsmüden Bundeswirtschaftsministers und Waldbrände in Australien. In Karlsruhe wurde derweil über mehrere Klagen gegen den Vertrag von Lissabon verhandelt, ein für Bürger unlesbares Mammutwerk, das vorhandene Restkompetenzen der Nationalstaaten in großem Umfang auf die Europäische Union übertragen will.

Die Kläger sind 53 Bundestagsabgeordnete, darunter die Linksfraktion, aber auch der traditionell EU-skeptische CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler und der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg, Sohn des Hitler-Attentäters. Sie alle sehen durch den Vertrag von Lissabon die Substanz deutscher Staatlichkeit, den Bestand des Grundgesetzes, der Demokratie gefährdet. Warum läßt dies die Öffentlichkeit so kalt? Weshalb gibt es keine große Empörung, keinen Aufschrei der Intellektuellen?

Offenkundig erschließt sich der mit dem Vertrag von Lissabon verknüpfte Eingriff in die staatsrechtliche Mechanik, die Entkernung der Verfassungsordnung, den meisten Beobachtern nicht. Sie vernehmen "Europa" und hören die 9. Sinfonie Ludwig van Beethovens. Alarmrufe verhallen ohne Echo. Da veröffentlicht Altbundespräsident Roman Herzog vergangenen September in der FAZ einen ganzseitigen Appell "Stoppt den Europäischen Gerichtshof", in dem er vor der Beseitigung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts warnt - keine Reaktion.

Es scheint keinen Begriff mehr von Souveränität, von demokratischer Legitimität, von Demokratie und Demokratieprinzip zu geben. Die Debatte ist von puddingartigem Neusprech verkleistert: Wenn Politiker von demokratischer Legitimierung der EU sprechen, dann meinen sie die Abschaffung der Demokratie und die totale Machtergreifung einer mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten EU-Bürokratie.

In Karlsruhe wird die vielleicht letzte Schlacht um die Bewahrung deutscher Staatlichkeit und Demokratie ausgefochten. Im 60. Jahr des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland, die sich als Gipfel der Bemühungen deutscher Demokratiebewegungen und Verfassungstradition verstand, wird unter dem Mantel Europas die Abschaffung der verfassungsrechtlichen Ordnung in ihrem Wesenskern betrieben.

Warum trägt die politische Klasse die Beseitigung der Demokratie mehrheitlich mit? Weil ihre Mitglieder schon in ihren Parteien realisiert haben, wie hinderlich demokratische Willensbildung ist, wie praktisch demokratisch-zentralistische Strukturen zur Machtausübung sind. Das Verschwimmen von Verantwortlichkeit und demokratischer Legitimität begünstigt die Herrschaft von Cliquen und Klüngeln. Mit Europa steigt zudem die Zahl der zu verteilenden Posten für den politischen Apparat - der Bürokratie sei Dank. Volk und Souveränität sind da nur noch lästiges Hindernis.

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