© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/09 13. Februar 2009

Die verschwiegene Krankheit
Bundeswehr: Immer mehr deutsche Soldaten kehren traumatisiert von ihrem Einsatz aus Afghanistan zurück
Anni Mursula

Vergangene Woche rückten ein Fernsehfilm der ARD ("Willkommen zu Hause") und eine Anfrage der FDP-Bundestagsabgeordneten Elke Hoff ein relativ unbekanntes Thema in den Blickpunkt der Öffentlichkeit: die steigende Anzahl von Bundeswehrsoldaten, die traumatisiert aus Afghanistan zurückkehren und an der sogenannte "posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)" leiden. Dabei handelt es sich um ein Tabuthema, nicht zuletzt, weil die Bundesregierung immer noch nicht zugeben möchte, daß am Hindukusch ein Kriegseinsatz stattfindet.

226 Soldaten sind im vergangenen Jahr laut Bundesregierung wegen PTBS behandelt worden. Das sind etwa hundert Fälle mehr als im Jahr zuvor. 2006 suchten lediglich 55 Soldaten Hilfe. Insgesamt seien etwa zwei Prozent der Afghanistan-Heimkehrer psychisch krank, wie Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) vergangene Woche angab. Er betonte, daß man die wachsenden Zahlen traumatisierter Heimkehrer mit großer Sorge beobachte, und appellierte an die Soldaten, Hilfe zu suchen, wenn sie bei sich Anzeichen für die Krankheit entdeckten. Obwohl es immer mehr Soldaten mit Kriegstrauma in Deutschland gibt, sind die hiesigen Zahlen im internationalen Vergleich auffällig niedrig: In den Streitkräften der USA oder der skandinavischen Länder beträgt dieser Wert vier bis fünf Prozent der eingesetzten Soldaten, Tendenz steigend. Vor allem amerikanische Soldaten im Irak haben immer häufiger mit psychischen Problemen zu kämpfen: Allein 2007 stieg ihre Zahl um 47 Prozent. Das sind rund 10.000 Neuerkrankungen, wie das Pentagon mitteilte. Experten schätzen die Dunkelziffer sogar noch höher.

Forderung nach einem Forschungszentrum

In Deutschland soll es sich ähnlich verhalten. Gerade in Männerberufen, in denen es auf Tapferkeit und Durchhaltevermögen ankommt, werde oft über psychische Probleme geschwiegen, heißt es. Viele der Betroffenen glauben, sie seien die einzigen, die den Einsatz nicht verkraftet hätten. Dies führt dazu, daß sie sich nicht in Behandlung begeben.

Doch genau das ist das Problem: PTBS wird von vielen immer noch nicht als Krankheit wahrgenommen. Das liegt vielleicht auch daran, daß die Symptome manchmal erst Monate später, teilweise sogar erst nach Jahren zum Vorschein kommen. PTBS kann völlig unerwartet durch ein harmloses Ereignis ausgelöst werden: einen Geruch, ein Geräusch, eine Ansammlung von Menschen. Urplötzlich bekommt der Betroffene Panik, Herzrasen und Schweißausbrüche, zumeist ohne zu wissen, warum.

Wen eine posttraumatische Belastungsstörung letztendlich treffen wird, kann nicht im voraus gesagt werden. Laut Experten spielt eine schwache Psyche dabei aber keine Rolle. Viele werden durch die Krankheit aus der Bahn geworfen und finden nicht mehr in ihr gewohntes Leben zurück. Einige können therapiert werden, andere werden nie wieder gesund. Wie man heute weiß, traten PTBS-Symptome in größerem Ausmaß schon im Ersten Weltkrieg auf, beispielsweise als sogenanntes "Kriegszittern". Doch wurde die Krankheit, wie auch im Zweiten Weltkrieg, nicht als solche erkannt. Erst nach dem Vietnamkrieg beschäftigten sich Wissenschaftler ernsthaft mit posttraumatischen Belastungsstörungen. 1989 wurde in Amerika das erste staatliche Zentrum zur Untersuchung von PTBS (National Center for Posttraumatic Stress Disorder) gegründet.

In Deutschland soll diese Woche der Bundestag über einen Antrag der Regierungsfraktionen zur Unterstützung psychisch kranker Soldaten entscheiden. Union und SPD fordern ein Forschungszentrum nach amerikanischem Vorbild. Zudem soll eine anonyme Hotline eingerichtet und die Dunkelziffer genauer untersucht werden.

Noch vor einem Jahr scheiterte die FDP mit einer ähnlichen Initiative. Die Chancen, daß der Antrag jetzt angenommen wird, stehen aber nicht schlecht. Für die Betroffenen mag das positiv sein, denn sie brauchen Hilfe. Dennoch bleibt die Frage, ob die Ursachen für diese Erkrankung nicht viel früher zu suchen sind: nämlich in einer zunehmend sensibler werdenden und mit sich selbst beschäftigten Gesellschaft, die ganze Generationen von Soldaten völlig unzureichend auf Krisen- und Kriegssituationen vorbereitet.

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