© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/09 20. Februar 2009

"Wir Afghanen nehmen Rache"
Ehrenmordprozeß: Nach der Verurteilung eines 24jährigen, der seine minderjährige Schwester ermordet hat, erhält der Staatsanwalt Morddrohungen
Felix Krautkrämer

Scheiß-Deutsche", "Hurensöhne" "Nazi-Deutsche", "Fick Deutschland", "Beamtenfotze": Die Wut der afghanischen Familie Obeidi und ihrer Freunde und Verwandten kannte am vergangenen Freitag keine Grenzen.

Laut brüllen sie im Gebäude des Hamburger Landgerichts, liefern sich Rangeleien mit den Justizbeamten, beschimpfen und bedrohen die anwesenden Journalisten. Die Mutter der Familie droht, sich aus dem Fenster zu stürzen. Kurz zuvor hatte der Vorsitzende Richter Wolfgang Backen den 24 Jahre alten Ahmad Obeidi wegen heimtückischen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, daß Ahmad seine 16 Jahr alte Schwester Morsal am 15. Mai vergangenen Jahres auf einen Parkplatz im Hamburger Stadtteil St. Georg gelockt und dort kaltblütig ermordet hatte - der Familien­ehre wegen. Diese hatte das Mädchen seiner Ansicht nach durch ihren westlichen Lebensstil beschmutzt unter anderem, weil sie sich nicht dem Willen der Familie unterordnen, sondern lieber ihren Hauptschulabschluß nachmachen wollte. Ahmad hatte Morsal in der Mordnacht gefragt, ob sie einen Freund habe und ob sie anschaffen gehe. Als das Mädchen antwortete, das gehe ihn "einen Scheißdreck" an, stach ihr Bruder 23 Mal wie im Rausch zu.

Für den Mörder selbst galten die strengen Verhaltensregeln der afghanischen Familie nicht. Laut Staatsanwaltschaft nahm Ahmad auch schon mal Drogen und wechselte seine Freundinnen.

Nicht zuletzt wegen dieser Details zog Ankläger Boris Bochnick den geballten Haß der Familie Obeidi auf sich. Als das Urteil verkündet wird, brüllt und droht Ahmad dem Staatsanwalt. Er beschimpft ihn als "Hurensohn" und schleudert Akten in seine Richtung.

Am Montag nach der Urteilsverkündung legte einer seiner beiden Verteidiger, Hartmut Jacobi, Revision ein. Nun muß der Bundesgerichtshof das Verfahren auf mögliche Fehler prüfen. Ahmad selbst glaubt, bei einem Prozeß in Kabul wäre er längst wieder auf freiem Fuß.

Das Landeskriminalamt ermittelt

Sein zweiter Anwalt, Thomas Bliwier, hingegen legte sein Mandat mittlerweile nieder. Gründe hierfür nannte er allerdings nicht. Es wird aber darüber spekuliert, daß das Verhalten der Familie Obeidi nach der Verhandlung im Gerichtssaal ein Grund dafür sein könnte.

Mittlerweile wurde auch bekannt, daß die Hamburger Staatsanwaltschaft derzeit gegen Ahmad wegen sexuellen Mißbrauchs ermittelt. Er soll nach einem Bericht der Bild-Zeitung gemeinsam mit einem weiteren Verdächtigen im November 2007 eine 1977 in Afghanistan geborene Frau vergewaltigt haben.

Und noch etwas wurde bekannt: Seit dieser Woche steht der 41 Jahre alte Staatsanwalt Boris Bochnick unter Polizeischutz. Den Beschimpfungen Ahmads folgten anonyme Morddrohungen. So hieß es in einem Schreiben an die Hamburger Morgenpost: "Boris Staatsanwalt wird bald tot sein. Denn wir Afghanen nehmen Rache." Die Drohung ging über die Kommentarfunktion zu einem Artikel auf der Internetseite der Zeitung ein. Das Landeskriminalamt hat die Ermittlungen übernommen.

Angst vor Racheakten haben anscheinend auch die Zeugen des Prozesses. So wurde der Aufmacherbeitrag der Tagesthemen vom vergangenen Freitag zum Hamburger Ehrenmordprozeß nicht wie gewöhnlich in die Mediathek auf der Internetseite der ARD gestellt. Die Sendung springt nach der entsprechenden Ankündigung durch Moderator Tom Buhrow ("Ein ganzer Abgrund tat sich da heute auf") unvermittelt zum nächsten Beitrag - der ersten Rede des neuen Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Bundestag.

Auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT, warum man den Bericht über die Verurteilung Ahmad Obeidis aus der Sendung geschnitten habe, antwortete ein Sprecher des NDR, dies sei auf Wunsch der Prozeßzeugen geschehen. Diese hätten ihre Zustimmung nur für eine einmalige Ausstrahlung in den Tagesthemen gegeben.

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