© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/09 20. Februar 2009

Das Versagen von Wissenschaft und Politik in Deutschland
Gerechtigkeit für Eltern und Kinder!
von Hermann Adrian

Am 23. Mai jährt sich die Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zum 60. Mal - Zeit, zurückzuschauen und den Stand der Dinge genau zu benennen. Welche Leitlinien und Fehlentwicklungen haben die Bundesrepublik seit ihrem kometenhaften Aufstieg aus Ruinen geprägt? Wie ist es heute um unser Staatswesen bestellt? Wie sieht es mit deutscher Zukunftsfähigkeit für die nächsten 60 Jahre aus? Kann dieses Land Bestand haben? Was muß sich dafür radikal ändern? In einer Serie von Artikeln, die bis zum Mai erscheinen werden, zieht die JUNGE FREIHEIT Bilanz. Ein Blick zurück im Zorn?

 

Das in Deutschland seit 35 Jahren bestehende Geburtendefizit beeinträchtigt zunehmend den Wohlstand des Landes. Die seit 1973 jährlich nicht geborenen, potentiell hoch begabten 400.000 Kinder der Mittelschicht manifestieren sich seit zehn Jahren durch ausgefallene Wertschöpfung, fehlende Einnahmen an Steuern und Sozialbeiträgen, dadurch zurückgehende staatliche Investitionen und unterfinanzierte Sozialsysteme, einbrechende Binnennachfrage und Mangel an jungen Ingenieuren. Als Folge sinken die Investitionen der Unternehmen, und die Netto-Löhne fallen im internationalen Vergleich zurück. Deshalb verläßt immer mehr Kapital das Land (2007 netto 221 Milliarden Euro), und immer mehr Deutsche wandern aus (2007 netto 61.000 Menschen).

Um den wirtschaftlichen Niedergang abzuwenden, müssen wir endlich verstehen, warum, trotz der riesigen Unterstützungsleistungen für Familien, auf die ständig hingewiesen wird, so wenige Kinder geboren werden. Tatsächlich gibt der Staat, vor allem für Schulausbildung, Kindergeld und Gesundheitskosten, insgesamt 138 Milliarden Euro pro Jahr oder im Durchschnitt 172.000 Euro pro Kind von der Geburt bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres aus. Zusätzlich tragen die Eltern allerdings weitere 270.000 Euro pro Kind alleine.

Die Gesamtkosten von 442.000 Euro pro Kind sind die Investitionen in Human-Kapital, die somit zu 61 Prozent von den Eltern alleine und über den Staat zu 39 Prozent von den Eltern gemeinsam mit den Kinderlosen getragen werden.

Diese Investitionen sind höchst profitabel, wie folgende Überlegung zeigt: Die Gesamteinnahmen des Staates an Steuern und Sozialabgaben in einem Kalenderjahr durch die wirtschaftliche Aktivität aller Jahrgänge der gesamten Erwerbsgeneration betrugen im Jahr 2007 insgesamt 1.080 Milliarden Euro. Dies entspricht genau den Steuern und Abgaben, die der mittlere Jahrgang der Erwerbsgeneration (45jährige) im Verlauf seines gesamten Erwerbslebens leistet. Ein Jahrgang der Erwerbsgeneration umfaßt durchschnittlich eine Million Menschen. Dies bedeutet: Jede Person im erwerbsfähigen Alter zahlt im Verlauf ihres Lebens durchschnittlich eine Million Euro an Steuern und Abgaben.

Da wir die Kosten der Kinder und die Erträge der Erwerbsgeneration im gleichen Jahr betrachten, sind Inflationseffekte eliminiert. Aus 442.000 Euro Investition in ein Kind werden nach 30 Jahren eine Million Euro Ertrag, was einer inflationsbereinigten Realverzinsung von 2,75 Prozent pro Jahr entspricht. Diese Realverzinsung ist höher als die jeder anderen sicheren Anlage.

Obwohl die Kosten der Kindererziehung riesig sind, sind die gesamtstaatlichen Netto-Kosten der Kindererziehung null, weil die Erträge der erwachsenen Kinder eine Rückzahlung der Investitionen mit hoher Realverzinsung darstellen. Somit müssen auch die Netto-Kosten für die Eltern null sein.

Damit ist offensichtlich, wie gerechte Gesetze beschaffen sein müssen: Die Erträge der erwachsenen Kinder müssen so auf kinderhabende und kinderlose Alte verteilt werden, wie es ihrem Anteil an den Investitionen entspricht. Dies kann man nur erreichen, wenn die Sozialbeiträge der Erwerbstätigen nahezu vollständig deren Eltern zugute kommen. Dies betrifft nicht nur die gesetzliche Renten- und Pflegeversicherung, sondern auch die Krankenversicherung, in der die hohen Kosten der Alten durch Beitragsüberschüsse der Erwerbstätigen gedeckt werden.

Wer keine Kinder aufgezogen hat, muß die ersparten Kinderkosten ansparen, um aus diesem Kapital im Alter seinen Lebensbedarf einschließlich Krankheits- und Pflegekosten zu decken. Ohne gesetzliche Rentenversicherung müßte eine kinderlose Person natürlich ebenfalls seine alten Eltern unterstützen (entspricht: Rentenbeiträge bezahlen) und für sein eigenes Alter zusätzlich kapitalgedeckt vorsorgen.

Der ungerechtfertigte relative Vorteil eines kinderlosen Paares gegenüber einem Paar, das zwei Kinder aufzieht, beträgt 600.000 Euro oder 300.000 Euro pro Person. Dieser riesige ökonomische Anreiz ist die Ursache des Kindermangels in Deutschland.

Dieser grundsätzliche Zusammenhang wird heute in völlig absurder Weise ins Gegenteil verkehrt. Die Kinderlosen erhalten heute von den Sozialbeiträgen der Kinder der Familien einen höheren Anteil als die Eltern dieser Kinder. Eine Mutter, die auf eigene Karriere und ein hohes Konsumpotential verzichtet hat und dafür vier Kinder aufgezogen hat, erhält heute so gut wie keinen Rentenanspruch, die kinderlose Karrierefrau, die keine Arbeit und keine Kosten für Kinder getragen hat, erhält dafür einen riesigen Rentenanspruch. Natürlich würden die Kinder ohne gesetzliche Rentenversicherung in jedem Fall zuallererst ihre Mütter im Alter unterstützen, insbesondere diejenigen Mütter, die ihr ganzes Leben der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder gewidmet haben. Fremde, kinderlose Alte würden natürlich keine Unterstützung erhalten. Groß sind nun die ungerechtfertigten Gewinne oder Verluste, welche die Menschen in Abhängigkeit von der Zahl ihrer Kinder durch ungerechte Steuer- und Sozialgesetze erhalten beziehungsweise erdulden müssen. Man kann dies mit dem Konzept der externen Effekte präzise berechnen. Jeder, der Kinder aufzieht, erzeugt damit positive ökonomische Effekte für die Allgemeinheit. Aber natürlich kommen alle positiven Effekte wiederum allen Bürgern insgesamt zugute. Damit ist unmittelbar einsichtig: Würden alle Menschen die gleiche Anzahl Kinder aufziehen, so würden sich alle abgegebenen und aufgenommenen Externalitäten genau kompensieren und zwar völlig unabhängig von den Details der staatlichen Gesetze.

Wenn nun ein Paar keine Kinder aufzieht, so profitiert es nur von den positiven Effekten der anderen, stellt selbst aber keine für andere zur Verfügung. Dadurch erhalten sie einen ungerechtfertigten geldwerten Vorteil in Höhe der Netto-Kosten der Erziehung der durchschnittlichen Zahl Kinder; denn hätten sie die durchschnittliche Zahl Kinder aufgezogen, so hätten sie ja alle aufgenommen positiven Effekte kompensiert. Also ist dies die Höhe ihres geldwerten Vorteils, weil sie diese Kosten nicht getragen haben.

Die Netto-Kosten der Kindererziehung, die im Falle gerechter Gesetze null wären, betragen heute aufgrund unserer ungerechten Steuer- und Sozialgesetze abgezinst auf das Alter der Eltern von 45 Jahren 300.000 Euro pro Kind. Bei einer durchschnittlichen Kinderzahl von 1,33 Kinder/(Frau und Mann) erhalten kinderlose Paare deshalb einen ungerechtfertigen Vorteil von 400.000 Euro beziehungsweise 200.000 Euro pro Person. Familien mit zwei Kindern erleiden einen ungerechtfertigten Verlust von 200.000 Euro, Familien mit drei Kindern sogar von 500.000 Euro.

Der ungerechtfertigte relative Vorteil eines kinderlosen Paares gegenüber einem Paar, das zwei Kinder aufzieht, beträgt damit 600.000 Euro oder 300.000 Euro pro Person. Dieser riesige ökonomische Anreiz ist die Ursache des Kindermangels in Deutschland. Der Staat beschenkt Kinderlose und raubt gleichzeitig Familien mit zwei oder mehr Kindern aus. Diese Ausbeutung der Familien ist auch die Ursache der zunehmenden Armut der Familien.

Wenn die Sozialbeiträge der erwachsenen Kinder im wesentlichen ihren Eltern zugute kämen, was bekommen dann die Kinderlosen für ihre Mitfinanzierung der Kinderkosten durch ihre Steuern?

Kinderlose Alte erhalten zahlreiche staatliche Leistungen, die ausschließlich durch die erwachsenen Kinder der Familien finanziert werden. So können alte Kinderlose genauso wie alte Eltern die Infrastruktur des Staates nutzen, zum Beispiel Straßen, Parks, Hallenbäder, Verwaltungen. Sie können genauso steuerfinanzierte Bildungseinrichtungen, beispielsweise Universitäten, Museen, Büchereien nutzen und steuersubventionierte Opern- und Theateraufführungen besuchen. Ihnen wird in Notsituationen genauso durch Feuerwehr und Rettungsdienste geholfen. Sie werden genauso durch Polizei und Militär gegen Kriminelle und äußere Feinde beschützt. All dies nehmen kinderlose Alte selbstverständlich in Anspruch, aber all dies wird finanziert durch die Wirtschaftskraft und die Steuerzahlungen der erwachsenen Kinder und wäre nicht möglich ohne die Erziehungsleistung der Eltern.

Der Staat erlaubt den heutigen kinderlosen Erwerbstätigen in Saus und Braus zu leben, weil sie nicht für ihr Alter vorsorgen müssen, und bürdet in ungerechter Weise durch scheinbar legale Gesetze diese Kosten der nächsten Generation auf. Wenn man Menschen jedoch ohne jede moralische Rechtfertigung einen großen Teil ihres Einkommens wegnimmt, dann ist dies eine moderne Form von Sklaverei. Der Kern der westlichen Demokratien, die individuelle Freiheit, ist dann tot. Da die nächste Generation, die heutigen Kinder, selbst diese Entscheidung nicht beeinflussen können, weil sie nicht wahlberechtigt sind, ist unser Staat de facto zu einer Scheindemokratie verkommen.

In einem gerechten Staat muß jeder leistungsfähige Mensch letztlich seine gesamten Lebenskosten, von der Geburt bis zum Tod, selbst erwirtschaften. Die Sozialbeiträge, die man für den Unterhalt seiner Eltern bezahlt, sind die Rückzahlung der Schulden der Kinder bei ihren Eltern. Aus diesen Zahlungen kann kein legitimer Anspruch an die nächste Generation abgeleitet werden. Kinderlosen Alten schulden die Erwerbstätigen nichts.

Noch grundsätzlicher argumentiert: Man kann für das Alter nur vorsorgen, in dem man in der Erwerbsphase Konsumverzicht leistet. Entweder leistet man Konsumverzicht, um Kapital anzusparen und im Alter von diesem Kapital zu leben. Oder man leistet Konsumverzicht, um Kinder aufzuziehen und kann dann erwarten, im Alter von diesen Kindern unterstützt zu werden.

Bei einer durch Kapital gedeckten Alterssicherung müssen die Auszahlungen natürlich proportional zur Höhe der Einzahlungen bemessen werden. Bei einer durch Human-Kapital, das heißt durch die Wirtschaftskraft der Kinder gedeckten Alterssicherung müssen jedoch die Auszahlungen nach der Zahl der aufgezogenen Kinder bemessen werden.

Das Versagen der Disziplin Volkswirtschaft besteht nun darin, daß man die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen, die ausschließlich durch Human-Kapital gedeckt sind, so behandelt, als wären sie durch Real-Kapital gedeckt. Kinderlose leisten keinen Konsumverzicht für ihr Alter; ihnen wird durch unsinnige Sozialgesetze eine luxuriöse Altersversorgung auf Kosten der Familien und insbesondere der nachwachsenden Generationen geschenkt.

Dies ist ein so grundsätzlicher und elementarer Fehler wie ihn ein Mathematiker begehen würde, der in seinen Berechnungen die Grundrechnungsarten vertauscht. Wenn die Professoren der Volkswirtschaft nicht geschlossen gegen den ökonomischen Unsinn unserer Sozialsysteme vorgehen, dann hat die Disziplin Volkswirtschaft versagt.

So ist gerade die stets betonte "Beitragsbezogenheit der Rente", die im Falle einer kapitalgedeckten Alterssicherung richtig wäre, der Kern der Fehlkonstruktion. Im Falle einer durch Human-Kapital gedeckten Rente muß die Rentenhöhe jedoch kinderzahlbezogen sein.

Auch die Rechtswissenschaften haben versagt, weil die Vertreter dieses Faches bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht das himmelschreiende Unrecht nicht anprangern, das unsere Steuer- und Sozialgesetze den Familien und vor allem den nachwachsenden Generationen antun.

Schließlich haben sogar die Vertreter der Natur- und Ingenieurwissenschaften, die als Hort von Vernunft und gesundem Menschenverstand gelten können, diesbezüglich versagt. Sie hätten den offensichtlichen Unsinn erkennen müssen, wenn sie auch nur ein klein wenig über unser Staatswesen nachdenken würden.

Die Politiker können sich bestätigt fühlen und die ungerechte Gesetzgebung fortführen - die Volkswirtschaftler, die Rechtswissenschaftler und die Naturwissenschaftler und Ingenieure stimmen ihnen ja zu oder widersprechen zumindest nicht.

Tatsächlich erscheinen die hier dargestellten Analysen und Schlußfolgerungen den meisten als völlig absurd, wenn sie das erste Mal damit konfrontiert werden. Das liegt nur daran, daß wir alle eine seit 50 Jahren andauernde Gehirnwäsche hinter uns haben. So ist gerade die stets betonte "Beitragsbezogenheit der Rente", die im Falle einer kapitalgedeckten Alterssicherung richtig wäre, der Kern der Fehlkonstruktion. Im Falle einer durch Human-Kapital gedeckten Rente muß die Rentenhöhe jedoch "kinderzahlbezogen" sein.

Nur wenn es Deutschland und Europa gelingt, zu einer bestandserhaltenden Geburtenrate zurückzukehren, wird es seinen Wohlstand mehren und seinen positiven Einfluß ausüben können. Wenn wir nicht die moralische Kraft haben, unsere Gesetze in gerechter Weise zu erneuern, sind wir letztlich für den Niedergang und die sich abzeichnende weltpolitische und weltkulturelle Bedeutungslosigkeit Europas verantwortlich. Wie sollen die von uns proklamierten Werte wie Demokratie und Menschenwürde für andere Kulturen glaubwürdig sein, wenn wir uns dem Konsum hingeben und unsere Gesetze Kinderlosigkeit belohnen, Familien ausbeuten und ein Übermaß an Belastungen auf die nachfolgenden Generationen abwälzen?

Im Vergleich zu den durch das Geburtendefizit hervorgerufenen wirtschaftlichen Problemen sind die Auswirkungen der "Jahrhundert-Wirtschaftskrise", die nach einigen Jahren ausgestanden sein werden, geradezu unbedeutend. Allerdings besteht ohne eine revolutionäre gesellschaftliche Massenbewegung kaum Hoffnung auf eine Änderung der Zustände, da die Abgeordneten des Bundestages fast zur Hälfte kein oder nur ein Kind haben und somit von den ungerechten Gesetzen persönlich profitieren.

Deshalb ist die wichtigste Wahlempfehlung an die Familien, unabhängig von persönlichen parteipolitischen Präferenzen: Alle, die Kinder haben oder Kinder möchten, sollten auf allen Ebenen unseres Staatswesens nur Kandidaten wählen, die selbst mindestens zwei Kinder haben.

Abschließend: Kinder sind tatsächlich das höchste Glück im Leben, da sie uns nicht nur emotional bereichern, sondern in einem gerechten Staat auch unseren Wohlstand im Alter zuverlässig sichern - aber eben nur in einem gerechten Staat. In einem ungerechten Staat werden unsere Kinder zu Arbeitssklaven für fremde Kinderlose herabgewürdigt.

 

Prof. Dr. Hermann Adrian, 60, Professur für Festkörperphysik an der TU Darmstadt (1988 bis 1994) und an der Universität Mainz (seit 1994); seit 2000 Forschungen zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und Europa sowie Studien zu den Auswirkungen eines anhaltenden Geburtendefizits auf Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Auf dem Forum der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt "Das Land blutet aus" (JF 40/08).

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