© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/09 06. März 2009

Unbeliebter Geldregen
Japan: Angesichts der Wirtschaftskrise scheint die Regierung mit ihren bisherigen Rezepten am Ende
Albrecht Rothacher

Der Zusammenbruch seiner Exportmärkte hat Japan voll erwischt. Im Januar sind die Ausfuhren im Vergleich zum Vorjahresmonat um 45,7 Prozent zurückgegangen. Die Ausfuhren in die USA sanken demnach um fast 53 Prozent. Die EU-Länder importierten laut Angaben des Tokioter Finanzministeriums 47 Prozent weniger Waren aus dem Land der aufgehenden Sonne. Infolge der globalen Wirtschaftskrise ist die Nachfrage nach japanischen Spitzenenprodukten wie Autos und Elektronikgeräten wie niemals zuvor eingebrochen.

Auch wegen des starken Yen (im Sommer 170 Yen für einen Euro, im Januar nur noch 115 Yen) waren schon im Dezember die Exporte bereits um 35 Prozent gefallen. Die Industrieproduktion mußte um 20 Prozent gedrosselt werden. Die Wirtschaftsleistung sank bereits im 4. Quartal 2008 um 3,3 Prozent. Das ist der stärkste Einbruch seit der Ölkrise von 1974. Übers Jahr hochgerechnet entspricht dies einem Rückgang von 12,7 Prozent. Die Flaggschiffe der japanischen Exportwirtschaft mußten bereits Tausende entlassen, zunächst die Leiharbeiter. Es gibt Kurzarbeit und Produktionsunterbrechungen – selbst beim weltgrößten Autobauer Toyota, der mit seiner Modellpolitik eigentlich glaubte, alles richtig gemacht zu haben.

Erstmals in dieser Krise ist auch das Stammpersonal in Großbetrieben in Gefahr, dabei hatte es eigentlich an lebenslange Anstellungen geglaubt. Mit über 700.000 Entlassungen bewegt sich die Arbeitslosigkeit auf 4,7 Prozent zu. Die Importe gingen daher um 31,7 Prozent zurück, hier schlug sich eine deutlich schwächere heimische Nachfrage nieder – bei den verunsicherten Konsumenten und den Firmen, die Vorprodukte aus dem Ausland beziehen. Das japanische Sozialsystem ist auf steigende und anhaltende Arbeitslosigkeit nicht eingerichtet. Schon zum Jahreswechsel berichtete das Fernsehen über Hilfsaktionen für Obdachlose, die ihre Arbeit verloren haben. Die Regierung überlegt Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das Sozialministerium diskutiert den Einsatz in Krippen und Kindergärten – auch mit dem demographischen Hintergedanken, so die Entscheidung zum Kind zu erleichtern. Auch die Altenpflege und der Gesundheitsbereich sind im Gespräch. Die Idee von Innenminister Kunio Hatoyama, junge Arbeitslose aus den Städten zur Erntehilfe aufs Land zu schicken, dürfte angesichts der Gewöhnung an westliche Lebensstile auf weniger Zustimmung treffen.

Dabei hatten die meisten japanischen Banken, die sich von der Spekulations- und Stagnationskrise der neunziger Jahre gerade erholt hatten, gut gewirtschaftet und keine der toxischen US-Schundpapiere gekauft. Doch machen ihnen jetzt die Kreditausfälle der Pleitenwelle und die stark gefallenen Kurse ihrer Aktienpakete zu schaffen.

Als erstes senkte die Bank von Japan ihren Leitzins auf 0,1 Prozent und kaufte für umgerechnet neun Milliarden Euro Aktienpakete aus Bankbeständen und für 11,6 Milliarden Euro Staatsanleihen auf. Sie kehrte damit nach fünf Jahren wieder zu ihrer Nullzinspolitik zurück, um die Wirtschaft mit Liquidität zu fluten. Dann gab die Regierung von Taro Aso ihr ursprüngliches Ziel der Haushaltskonsolidierung bis 2011 auf und legte gleich zwei Konjunkturprogramme nacheinander auf. Die umfassen zusätzlich zum regulären Haushalt von 710 Milliarden Euro insgesamt 290 Milliarden, die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprechen. Insgesamt beträgt das Haushaltsdefizit damit 5,5 Prozent des BIP und erreicht so französische und italienische Dimensionen des Unsoliden.

Potpourri an öffentlichen Milliarden-Ausgaben

Schon zwischen 1992 und 2002 wurden 13 Konjunkturprogramme aufgelegt, die mit einem Gesamtschuldenberg von über 6,4 Billionen Euro (270 Prozent des BIP) die schrumpfende Zahl der Steuerzahler der Zukunft zu ersticken drohen. Nun kommt ein neues Potpourri an milliardenschweren öffentlichen Finanzierungen: Steuersenkungen, Staatsgarantien für Bankenkredite an Kleinbetriebe, für Bankkapitalbeteiligungen an notleidenden Industriebetrieben, örtliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung. Nur davon erholen sich die Exporte nicht, die anno 2002 Japan aus der Krise befreit hatten.

Zu den fragwürdigsten Konjunkturmaßnahmen gehören die Konsumgutscheine, die Aso unters Volk bringen will: 12.000 Yen (knapp 100 Euro) pro Erwachsener und 20.000 Yen (165 Euro) pro Kind und Greis. Nach einer Umfrage der Zeitung Yomiuri lehnen 78 Prozent der sparsamen Japaner, ebenso wie die Opposition, die das Oberhaus beherrscht, diesen Zwangskonsum auf Staatsschuld ab. Auch weil Wirtschaftsminister Kaoru Yosano ankündigte, wenn sich die Konjunktur erhole, müsse man die Verkaufssteuern von fünf auf zehn Prozent verdoppeln.

Die japanische Öffentlichkeit mißtraut der Wiederauflage der gescheiterten alten Rezepte. Nur noch neun Prozent billigen die Politik des erst seit fünf Monaten amtierenden Premiers. Da half auch wenig, daß sein Finanzminister und enger Verbündeter Shoichi Nakagawa beim G7-Finanzministertreffen in Rom in die Kameras lallte und wenig später, als weitere alkoholische Zwischenfälle bekannt wurden, zurücktreten mußte. Dazu hat sich Aso mit dem immer noch populären Ex-Premier Junichiro Koizumi zerstritten, dessen Reformpolitik er aufkündigte und die Sinnhaftigkeit seines Hauptwerks, der mühsamen Postprivatisierung, öffentlich bezweifelte. Einer von Koizumis Gefolgsleuten, Yoshimi Watanabe, ehemals Minister für Finanzdienstleistungen und die Verwaltungsreform, hat die national-konservative Regierungspartei LDP bereits verlassen. Andere drohen gegen den Nachtragshaushalt zu stimmen und ihn so zusammen mit der Opposition, der Mitte-Linkspartei der Demokraten, zu Fall zu bringen. Dann bliebe Aso nur der Rücktritt. Ohnehin wird damit gerechnet, daß angesichts einer wahrscheinlichen LDP-Wahlniederlage im September der glücklose Aso vor jenen Wahlen durch den erfahrenen Wirtschaftsminister Kaoru Yosano (70) ausgetauscht wird, der bereits dem ernüchterten Nakagawa als Finanz- und nunmehriger Superminister nachfolgte.

Als eine kleine Tröstung muß es Aso erschienen sein, daß Hillary Clinton auf ihrem ersten Auslandsbesuch nach Japan kam und ihn einlud, als erster ausländischer Regierungschef Barack Obama im Weißen Haus besuchen zu dürfen. Das war die Belohnung für Japans Bereitschaft, dem in der Krise überforderten Währungsfonds (IWF) aus seinen Devisenschätzen 100 Milliarden Dollar zuzuschießen, um ihm zu ermöglichen, in der von den USA verursachten Notlage Länder wie die Ukraine, Lettland, Rumänien und Ungarn vor dem Staatsbankrott zu retten. Clinton sicherte auch zu, 8.000 Marinesoldaten von Okinawa auf die amerikanische Pazifikinsel Guam abzuziehen. Vor ihrem Abflug besuchte sie aber auch Oppositionsführer Ichiro Ozawa. Sicher ist sicher.

 

Dr. Albrecht Rothacher war bis 2006 Direktor an der Asien-Europa-Stiftung (Asef) in Singapur. 2007 erschien sein Buch „Die Rückkehr der Samurai: Japans Wirtschaft nach der Krise“ (Springer Verlag, Berlin).

Foto: Premier Taro Aso: Die japanische Öffentlichkeit mißtraut der Wiederauflage der alten Rezepte

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