© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/09 13. März 2009

Abendsonne über dem Kanzleramt
Große Koalition: Die Stimmung zwischen Union und SPD wird zusehends schlechter, die Gemeinsamkeiten scheinen aufgebraucht
Paul Rosen

Abendsonne über dem Berliner Kanzleramt. „Das Ende der Großen Koalition wirft seine Schatten voraus“, hatte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer zum letzten Treffen der Spitzen von Union und SPD im Kanzleramt eher ungewollt verlauten lassen. In der Tat wird der Familienstreit in der Regierung Merkel heftiger, je näher der Wahltermin 27. September rückt. Raus wollen am liebsten beide Partner aus der 2005 geschlossenen Zwangsehe. Doch bessere Partner waren nicht zu finden. So krakeelt man sich an wie ein altes Ehepaar, das die Kraft zum Ausstieg nicht mehr findet: „Das ist verantwortungsloses Gerede, mit dem Ramsauer weder der Verantwortung dieser Regierung in Zeiten der Rezession gerecht wird noch die Tatsachen korrekt wiedergibt. Die Koalition wird ihre Pflicht tun“, bellte SPD-Fraktionschef Peter Struck im Tagesspiegel zurück.

Mit der Pflicht war es nicht mehr so einfach in der letzten Koalitionsrunde. Das Umweltgesetzbuch kommt nicht mehr, sondern nur einige Einzelteile. Eine Einigung über die Struktur von Jobcentern gibt es nicht, ein Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche wird schwierig. Weitere Themen wie ein Verbot der NPD, eine Reform des Wahlrechts und die von der SPD geforderte Börsenumsatzsteuer kamen aus dem Diskussionsstadium nicht heraus. Bei der Begrenzung der Managergehälter kamen Union und SPD nur einen kleinen Schritt weiter: Manager dürfen Aktienoptionen künftig erst nach vier statt zwei Jahren einlösen, und dem Gehalt eines Managers müssen künftig alle Mitglieder des Aufsichtsrates zustimmen. Hilfen für Opel gibt es auch noch nicht.

De facto hat die Koalition das Regieren eingestellt. Es geht jetzt nur noch darum, die noch nicht geschmiedeten Eisen als Wahlkampfthemen hinzustellen. Da hat es die SPD einfach: Sie wird der Union vorwerfen, das NPD-Verbotsverfahren zu verhindern, die Spekulanten von der Börsenumsatzsteuer verschonen, den Opel-Arbeitern nicht helfen und den Zeitarbeitnehmern keinen Mindestlohn gönnen zu wollen. Daß die Union gegen Umweltschutz sei, wird an der Blockade des Umweltgesetzbuches deutlich gemacht.

Diese gerade beschriebene schöne Welt des Franz Müntefering hat zwar mit der Sache wenig zu tun, ist aber für die Wahlkampfstimmung von erheblicher Bedeutung. Der deutsche Michel ist geneigt, solchen Ammenmärchen Glauben zu schenken, so wie er 2002 geglaubt hat, Gerhard Schröder werde aus eigener Kraft die Elbeflut eindämmen. In Zeiten einer Weltwirtschaftskrise, die bald die Dimension der Krise von 1929 erreicht haben könnte, fallen einfache Lösungsansätze wie die der Linkspartei (alle Banken verstaatlichen) oder der SPD (Beteiligung des Staats am Autobauer Opel) auf fruchtbaren Boden, während die CDU/CSU dem nichts mehr entgegenzusetzen hat, weil sie in den vergangenen Jahren zunehmend auf kapitalistische Rezepte gesetzt hat. In dem Glauben, Hedgefonds und Lehman Brothers seien eine Bereicherung für die Wirtschaft, trennte sich die Union von ihrer sozialen Programmatik und hat den Vorstößen aus dem linken Spektrum heute nicht einmal die katholische Soziallehre entgegenzusetzen, weil diese in der Union keiner mehr kennt.

Hedgefonds, Hypo Real Estate, Lehman und andere erweisen sich als die Brutstätten für die Verbreitung von Erregern, die fast alle Volkswirtschaften auf der Erde angesteckt haben und zu Boden zwingen. Es ist zur Zeit unklar, ob eine Verstaatlichung von Banken und eine Beteiligung des Staates an Opel, dem Autozulieferer Schaeffler und anderen die Probleme lösen werden. Es ist nur klar, daß die Verstaatlichungswelle rollt und die Union ihr hilflos und führungsschwach gegenübersteht.

Im Kanzleramt sind in den vergangenen Wochen fast alle Fehler gemacht worden, die gemacht werden konnten. Kanzlerin Angela Merkel legte sich mit dem Papst an, tauchte im Streit um die Berufung der CDU-Abgeordneten Erika Steinbach in den Beirat des Vertriebenenzentrums ab. Der Wirtschaftsflügel der Partei rebelliert gegen die Verstaatlichungs- und Bürgschaftswellen der Regierung, hat aber auch kein Gegenrezept.

Selten war der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering so zufrieden. Die Union erinnert an einen ungeführten Hühnerhaufen, die SPD wirkt geschlossen. Erste Umfragen belohnen die Arbeit des alten Strategen mit einem leichten Plus. Union und SPD liegen noch fünf Prozent auseinander. Das kann sich binnen 14 Tagen umdrehen. Der Glanz der FDP ist nicht hausgemacht, sondern bürgerliche Wähler auf der Flucht vor Merkel verleihen der Westerwelle-FDP eine Scheinblüte, die sie nicht verdient hat.

Wenn es stimmt, daß die baden-württembergische CDU noch bei 35 Prozent liegt, dann ist die CSU im benachbarten Bayern gerade noch bei 40 bis 42 Prozent. Das würde eine Katastrophe für den CSU-Chef Horst Seehofer bedeuten und seine Rundumschläge gegen Merkel und die CDU erklären. Getrieben von der Sorge, nein Panik, die CSU komme nicht mehr ins Europaparlament, will er wie die SPD die Managergehälter begrenzen und den Gesundheitsfonds wieder abschaffen, nachdem die Fachärzte durch die neue Konstruktion nicht mehr genug Honorar erhalten.

Der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl, Markus Ferber, stellt offen Merkels Führungsfähigkeit in Frage, da er Angst hat, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern und aus dem Europaparlament zu fliegen, in das vielleicht die einstige CSU-Rebellin und Stoiber-Kritikerin Gabriele Pauli mit den Freien Wählern einziehen könnte. Das wäre eine politische Zeitenwende und das Auseinanderbrechen des bürgerlichen Lagers. Es ist so nahe wie nie. Und nach der Zerstörung wird etwas Neues wachsen.

Foto: Kanzlerin Merkel, SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier: Ungeliebte Zwangsehe

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