© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/09 13. März 2009

Hoffnung auf Gerechtigkeit
Sondertribunal gegen einen Ex-Funktionär der Roten Khmer: Nur knapp 50 Ärzte überlebten den Massenmord
Hinrich Rohbohm

Knatternde Motorengeräusche, Benzingeruch liegt in der Luft. Phnom Penhs Straßen sind wie jeden Morgen hoffnungslos überfüllt. Mopeds, auf denen drei, manchmal noch mehr Personen sitzen. Hoffnungsloses Durcheinander an den Kreuzungen. Jeder fährt drauflos, wie es paßt. Keine Ampeln, keine Zebrastreifen. Keine Vorfahrtsregeln. Kambodscha lebt von der Spontanität, nimmt das Leben so wie es kommt. Auch im Verkehr.

Das Tuk Tuk fährt stadtauswärts. Jenes Gefährt, das sich für Europäer am besten als kleine Kutsche beschreiben läßt, die statt Pferden von einem Moped gezogen wird. Das Ziel: „Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia“ Jener internationale Strafgerichtshof, der die zwischen 1975 und 1979 begangenen Verbrechen der Roten Khmer, einer kommunistischen Guerillatruppe, in dem buddhistischen Land Südostasiens untersuchen soll.

Während seiner vierjährigen Herrschaft über das Land ermordete das kommunistische Khmer-Regime zwei seiner insgesamt sieben Millionen Einwohner. Die Opfer kamen in sogenannten Todeslagern ums Leben oder verendeten bei der von den Kommunisten verordneten Zwangsarbeit auf den Reisfeldern. Einer der wohl grausamsten Orte war das berüchtigte Sicherheitsgefängnis S 21 in Phnom Penh, dessen Insassen schwerster Folter und Demütigung ausgesetzt waren. Bis zu 30.000 Menschen sollen allein in dieses Gefängnis gebracht worden sein. Nur sieben von ihnen haben überlebt. Wer nicht an der Folter zugrunde ging, wurde auf den sogenannten Killing Fields in Choeung Ek außerhalb der Stadt ermordet.

Der damalige Leiter des Gefängnisses war Kaing Guek Eav, genannt „Duch“. Der heute 66jährige soll allein für den Tod von 16.000 Häftlingsinsassen verantwortlich sein. Als 1979 vietnamesische Truppen in Kambodscha einmarschierten, war „Duch“ aus Phnom Penh geflohen und untergetaucht. Jahrelang arbeitete er unter falschem Namen für eine Nichtregierungsorganisation. Der gelernte Mathematiklehrer konvertierte zum Christentum, arbeitete später als Missionar. Erst zwanzig Jahre nach seiner Flucht war er identifiziert und verhaftet worden.

Das Tuk Tuk biegt ab. Weg von der Hauptsraße, die sich bis zur Küstenstadt Sihanoukville erstreckt. Hier, hinter den Toren der Stadt, rund zehn Autominuten vom Flughafen entfernt, geht es zum Gerichtshof. Die Straße ist nur noch eine Sandpiste, auf der die Fahrzeuge aufgrund von Hitze und Trockenheit von einer dicken Staubhülle umgeben sind. Staub, der sich im Verlauf der Fahrt zunehmend tiefer in die Kleidung eingräbt. Schemenhaft läßt sich ein Militärjeep erkennen, der sich dem Tuk Tuk nähert. Uniformierte sind zu erkennen. Sie tragen Waffen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch an diesem Tag.

Vor dem Eingang zum Tribunal haben sich große Menschenschlangen gebildet. Journalisten sowie zahlreiche interessierte Kambodschaner sind zum Prozeß gekommen. Es ist der Verhandlungsauftakt gegen „Duch“, der in den Vorverhandlungen als einziger Funktionär der Roten Khmer Reue für seine Taten gezeigt hat. Am 31. Juli 2007 sagte er als Angeklagter zum ersten Mal aus und gestand zahlreiche Verbrechen. Ein Jahr später erhob das Gericht formell Anklage gegen ihn.

Nach Auffassung der Untersuchungsrichter soll „Duch“ das S21-Gefängnis nicht nur geleitet, sondern auch selbst Insassen gefoltert haben. Immer wieder war der Prozeßauftakt verschoben worden. Verzögerungstaktiken, die Methode zu haben scheinen. Zu viele der einstigen kommunistischen Pol-Pot-Anhänger sind noch heute in hohen Regierungspositionen. Und das Gericht ist zudem kein reines UN-Tribunal. Es setzt sich sowohl aus internationalen Richtern der Vereinten Nationen sowie aus kambodschanischen Richtern zusammen. Jahrelang hatte es Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Seiten bezüglich des Konferenzortes, des anzuwendenden Prozeßrechts und der Verhandlungsinhalte gegeben. Erst jetzt hat der Prozeß begonnen.

Vor dem Eingang zum Zuhörersaal herrscht Chaos. Das Gerichtspersonal ist dem starken Besucherandrang nicht gewachsen. Sicherheitsleute verweigern Journalisten trotz erfolgter Akkreditierung den Zutritt zum Gerichtssaal, verweisen sie auf die zahlreichen Bildschirme im Presseraum. Ein System für den Einlaß scheint es nicht zu geben. Rund 500 Zuhörer sind im Saal, als der Prozeß beginnt. Panzerglas trennt sie von den Prozeßbeteiligten.

Die Haare des Mannes, der einst im Namen des Sozialismus Tausende Menschen zu Tode gequält hatte, sind heute grau. Brille, hellblaues Oberhemd, beigefarbene Stoffhose. „Heute ist er nur noch ein alter Mann“, stellt der kambodschanische Maler Vann Nath gegenüber der JUNGEN FREIHEIT in trockenem Ton fest. Ein Jahr zuvor hatte er seinen einstigen Peiniger nach fast 30 Jahren erstmals wiedergesehen. „Damals hatte ich die Hoffnung aufgegeben, jemals S 21 wieder verlassen zu können“, verrät der 62jährige über seine Zeit in dem berüchtigten „Tuol Sleng“-Foltergefängnis der Roten Khmer, das damals in einem ehemaligen Schulgebäude in der 103. Straße errichtet worden war.

Zum Prozeßauftakt gegen „Duch“  ist er optimistischer. „Ich vertraue auf die Rechtsprechung der Gerichte“, sagt er. Vann Nath ist einer jener sieben Überlebenden, die der Hölle von Tuol Sleng entkommen waren. An seinem 32. Geburtstag hatten ihn die kommunistischen Revolutionäre vom Feld geholt. Einfach so, ohne Begründung. Die Roten Khmer beschuldigten ihn schließlich, ein CIA-Agent zu sein. Ein Wort, das Vann Nath bis dato lediglich aus einem Hollywood-Film kannte. Er wurde nach Tuol Sleng gebracht. Nach etwa einem Monat, in dem er sich, an den Füßen angekettet, mit 50 weiteren Häftlingen eine Zelle teilen mußte, wurde er dem damaligen S 21-Chef „Duch“ vorgeführt. Der zeigte ihm das Bild eines Mannes, den Vann Nath zuvor noch nie gesehen hatte: Pol Pot, den Bruder Nummer eins. Vann Nath sollte ihn malen. Und während er für die kommunistische Propaganda der Roten Khmer Bilder vom Staatsführer anfertigte, wurde er Tag für Tag mit Elektroschocks gefoltert. 

Pol Pot und den Roten Khmer dienten der Maoismus und die Kulturrevolution als großes Vorbild. Eine vollkommen neue Gesellschaft sollte geschaffen werden. Und ein neuer Typ von Mensch. Der kommunistische Diktator machte seine Vision eines reinen Agrarstaates war. Unter Androhung der Todesstrafe mußten alle Einwohner Phnom Penhs innerhalb von 48 Stunden die Hauptstadt verlassen, um künftig Landarbeit zu verrichten. Intellektuelle hatten besonders zu leiden.

Nur knapp 50 Ärzte hatten den kommunistischen Massenmord überlebt. 15.000 von einst 20.000 Lehrern in Kambodscha waren liquidiert worden. Oftmals reichte es schon, Brillenträger zu sein, um von den Roten Khmer zum Tode verurteilt zu werden. Hungersnot kam auf, das Regime zwang die kambodschanische Bevölkerung, schwarze Einheitskleidung zu tragen.

Verhaftungen erfolgten nahezu willkürlich. Wer wie Vann Nath ins S 21-Gefängnis kam, wurde zunächst gezwungen, alle Informationen über sich preiszugeben. Die Gefangenen mußten sich ausziehen und ihren gesamten Besitz abgeben, ehe sie angekettet in die Zellen gesperrt wurden. Jede Form von Unterhaltung war untersagt. Selbst Lachen oder Weinen wurde mit Prügel und Elektroschocks sanktioniert, bei denen die Opfer nicht schreien durften.

Fotos und Protokolle, die in dem heutigen Museum zu besichtigen sind, zeugen von der Brutalität und dem Ausmaß der Menschenverachtung, die von dem Regime ausging. Vor allem aber sind es gemalte Bilder wie die Vann Naths, die das Grauen noch heute lebendig erscheinen lassen.

Männer sind zu sehen, die wie Vieh an einer Eisenstange hängend durch die Haftanstalt getragen werden. Häftlinge, die von ihren Aufsehern kollektiv ausgepeitscht werden. Frauen, denen ihr Baby entrissen und später gegen einen Baum auf den Killing Fields geschleudert wird. Kleinkinder, die vom Wachpersonal in die Luft geschleudert und in Manier des Tontaubenschießens im Kugelhagel der Gewehre sterben. Menschen, denen die Roten Khmer bei lebendigem Leib die Fingernägel herausziehen oder mit einer Zange einen Finger abklemmen. 

Vann Nath möchte darüber nicht zu viele Worte verlieren. Er ist müde und erschöpft. Das Interview muß er abbrechen. Seine Nieren sind geschädigt, Knochentuberkulose macht ihm zusätzlich zu schaffen. Was ihm bleibt, ist seine Hoffnung auf Gerechtigkeit.

Fotos Oben links: Kaing G. Eav („Duch“), Vann Nath: Peiniger und Überlebender, Oben rechts: Schädel von Opfern in der Gedenkstätte „Killing Fields“: Zeichen der Menschenverachtung, Unten links: „Killing Tree“: Exekutionsort, Unten rechts. Leichenkrater auf den berühmt-berüchtigten „Killing Fields“: Tontaubenschießen auf Kinder

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