© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/09 20. März 2009

Rot-grüne Naivität
Deutschland und der Kosovokrieg: Die Enttabuisierung des Militärischen
Günther Deschner

Vor zehn Jahren begann der Kosovokrieg. Dieser Konflikt ist eine Wegmarke für eine tiefgreifende Veränderung im deutschen Selbstverständnis, für jenen Prozeß, in dem sich die deutsche Außenpolitik neu ausgerichtet hat. Denn im Kosovo beteiligte sich die Bundesrepublik zum ersten Mal an einem Krieg – der noch dazu nicht ihrer Verteidigung diente und für den es nicht mal ein UN-Mandat gab. Zum ersten Mal hatte die Nato, der die Bundeswehr Truppen stellte, einen souveränen Staat angegriffen, ohne ihm einen Bruch des äußeren Friedens vorwerfen zu können.

Für das neue Kriegsbild, das einen tatsächlichen oder von der angreifenden Kriegspartei so definierten Bruch des „inneren Friedens“ als Interventionsgrund nannte, wurde eigens eine neue Kategorie erfunden – die „humanitäre Intervention“. Daß solche Interventionen Charakterzüge eines Vernichtungskrieges annehmen können, zeigten die 78 Tage, die der Kosovokrieg dauerte: Nato-Luftwaffen – auch Tornados der Bundeswehr – flogen 37.000 Angriffe auf jugoslawische Stellungen, auf Straßen, Eisenbahnen, Fabriken oder Sender – bis Belgrad die weiße Fahne hißte. Wozu Demokratien bei „humanitären Einsätzen“ imstande sein können, deutete Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark an: „Wir hätten andernfalls weitergebombt und die Infrastruktur pulverisiert, die Kraftwerke zerstört und die Lebensmittelindustrie, eben alles, was nötig gewesen wäre.“

Solches Vorgehen legt die Frage nahe, ob es beim Kosovokrieg vorrangig um den „humanitären“ Gesichtspunkt ging oder ob er nicht eher dem „Rausch der einzig verbliebenen Supermacht“ (Scholl-Latour) geschuldet war, die erste Tendenzen zeigte, die Welt nach ihrem Gutdünken neu zu ordnen. Dazu mußte aus US-Sicht folgerichtig gehören, die Rolle der Vereinten Nationen für die weltweite Friedenssicherung zu schmälern, allein schon, weil auch nach dem Kalten Krieg Rußland und China ein zur neuen Weltordnung kontroverses Veto-Recht im Sicherheitsrat behielten. Den Vordenkern der neuen Weltpolitik der USA schwebte eher eine globale „Breschnew-Doktrin“ vor, um ihren Anspruch als Hegemon der Welt durchzusetzen.

Die neue Linie, wie sie auch der Wa­shingtoner Gipfel zum 50. Geburtstag der Nato als Bündnisstrategie formulierte, sah eine Selbstmandatierung für Kriegseinsätze in aller Welt vor. Der Präzedenzfall Kosovo konnte so zum ersten neuen „Normalfall“ des Nordatlantik-Paktes werden. „Mit der Uno, wenn möglich, ohne sie, wenn nötig“ – so lautete die neue Devise.

Man hat Präsident Clinton damals vorgehalten, er habe den Kosovokrieg unter US- und Nato-Führung durchgeführt, um deutlich zu machen, „daß die Nato nun in der internationalen Sicherheitspolitik die Führungsrolle hat – und nicht die Vereinten Nationen“. Die Verkürzung der Kriegsgründe auf eine Art „Probelauf der neuen Nato-Strategie“ läßt jedoch geopolitische Zielsetzungen außer acht. Das durch das Ausscheiden Kroatiens und Sloweniens bereits halbierte Jugoslawien dürfte vielmehr auch deswegen ins Visier geraten sein, weil es der letzte strukturelle „historische“ Verbündete Rußlands in Mittelost- und Südosteuropa war. Aus Sicht der USA konnte das Land damit ein Nato-resistenter Störfaktor auf dem Balkan sein.

In der Art und Weise, wie sich die frischgebackene und in vielen Politikfeldern ungefestigte rot-grüne Bundesregierung ohne nachhaltige Widerrede auf den neuen US-Kurs zwingen ließ, bleibt insbesondere bei Außenminister Joseph Fischer und Verteidigungsminister Rudolf Scharping die mutwillige Naivität in Erinnerung, mit der sie die Vorstellung nährten, die Nato sei ein gewissermaßen selbstloses Medium der Moral, eine Art Menschenrechtsorganisation mit anderen Mitteln.

Man fand die Rechtfertigung der Militäraktion fast ausschließlich in deren „humanitären“ Aspekten. Doch paradoxerweise stand 1999 gerade der Abschied von der militärischen Enthaltsamkeit für „Kontinuität“. Rot-Grün bewies seine „Treue zu den USA und zum Bündnis“ und übertünchte die zweifelhafte völkerrechtliche Grundlage des Krieges mit der den Nachkriegsdeutschen vertrauten moralischen Argumentation. Die routinierte Abgefeimtheit, mit der Fischer mit seinem Satz von einem im Kosovo angeblich drohenden „zweiten Auschwitz“ im Denken seiner Alt-68er Gesinnungsgenossen das Militärische enttabuisierte, enthüllte eine geradezu luziferische Geschicklichkeit in der Instrumentalisierung verbreiteter Denkblockaden, die aus dem Umgang mit der Vergangenheit rühren.

Die Entscheidung für den Kosovokrieg markierte Abschied und Neuansatz zugleich: Sie verwies die „deutschen Interessen“ als Maxime der Außenpolitik auf einen hinteren Rang – und sie  öffnete den Weg für die Entsendung der Bundeswehr in andere Regionen und für eine fremd-orientierte Interpretation der „sicherheitspolitischen Verantwortung“ Deutschlands.

Insofern ist Kosovo eine fortdauernde Lektion: Interventionskriege dieser Art, noch deutlicher zeigt sich das in Afghanistan, stehen als Ultima ratio nicht nur am Ende einer Krise, sondern sind meist auch der Beginn einer neuen. Aufbau und Absicherung neuer oder „gescheiterter“ Staaten erfordern hohen materiellen Einsatz und stellen grundsätzliche Fragen über Frieden oder Krieg immer wieder neu. Der Fall Kosovo und noch mehr das Abenteuer Afghanistan sind dafür ein Beweis.

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