© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/09 27. März 2009

Eine lautlose Bombe
Erhöhung der Renten als Wählertäuschung: Politiker ignorieren demographische Gesetzmäßigkeiten
Michael Paulwitz

Demographie ist eine Schicksalsfrage. Von ihr hängt die Zukunft aller sozialen Sicherungssysteme ab – vor allem die der Rentenversicherung. Den politisch Verantwortlichen scheint das noch immer fremd zu sein. Die wahlkampftaktisch verfügte Renten­erhöhung wird den fortschreitenden Leistungsabbau kaum ausgleichen. Sie zeugt lediglich von der bleibend unwiderstehlichen Verlockung, das Verteilungsvolumen der gesetzlichen Rentenkasse für politische Manipulationen zu mißbrauchen. Schon in wenigen Jahren muß das Wahlgeschenk mit um so härteren Einschnitten zurückgezahlt werden.

Daß der gute Rentenonkel die besten Chancen beim Wähler hat, gehört zum kleinen Politik-Einmaleins der Bundesrepublik Deutschland, seit Konrad Adenauer mit der Einführung der umlagefinanzierten dynamischen Rente die Bundestagswahl 1957 gewonnen hat. Die Schönrednerei hat seither Tradition. „Nur eines ist sicher: Wir haben ein stabiles und gut finanziertes Rentensystem“ – damit hat sich Arbeitsminister Olaf Scholz als würdiger Nachfolger Norbert Blüms in Amt und Geist empfohlen.

In Wahrheit steht das umlagefinanzierte Rentensystem vor dem Zusammenbruch. Bereits in gut zwanzig Jahren, wenn die letzten geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter erreicht haben werden und von den oft nur noch halb so zahlreichen nachrückenden Kohorten ihre Altersversorgung einfordern, wird die Rechnung für den nicht eingehaltenen Generationenvertrag präsentiert.

Realistische Szenarien sehen infolge sinkender Geburtenraten und steigender Lebenserwartung bis zur Jahrhundertmitte den „Altenquotienten“, also das Verhältnis der über sechzigjährigen Ruheständler zu den Zwanzig- bis Sechzigjährigen im Erwerbsalter, von derzeit 40 auf bis zu 90 steigen. Kommt auf jeden Rentner statt zweier nur noch ein Beitragszahler, wird weder eine Verdoppelung der Beiträge noch eine Halbierung der Renten sonderlich populär sein.

Das Patentrezept Einwanderung hat sich längst als Holzweg erwiesen. Schließlich werden eingewanderte Arbeitnehmer nicht nur ebenfalls alt und erwerben Ansprüche, mit erfolgreicher Assimilierung paßt sich auch ihre Fertilität rasch an. Geschätzte 188 Millionen Einwanderer bis 2050 nur zur Stabilisierung des Altenquotienten halten nicht einmal eingefleischte Multikulturalisten für verkraftbar.

Vor allem aber: Die Unterschichtseinwanderung, die Deutschland noch immer duldet, ist kontraproduktiv, weil sie den Anteil der Transfer-empfänger und damit die Verteilungsprobleme noch potenziert. Türkische, arabische und Drittwelteinwanderer mit zweistelligen Schulversager- und Sozialhilfequoten werden künftig zwar das Straßenbild prägen, aber weder willens noch in der Lage sein, abgedankten deutschen Rentnergenerationen den Lebensabend zu finanzieren.

Optimisten hoffen dennoch auf eine Kompensation der Ausfälle durch höhere Arbeitsproduktivität. Doch selbst wenn Produktivität und Pro-Kopf-Einkommen bis 2050 um das Doppelte steigen, werden die Sozialsysteme nicht nennenswert entlastet, hat der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg berechnet. Der Zuschuß zur Rentenkasse ist heute schon der größte Einzelposten im Bundeshaushalt. Das System verlöre seine Legitimität, wenn der steuerfinanzierte Anteil weiter anstiege und durch hohe Beiträge trotzdem nur noch Ansprüche auf eine Grundsicherung auf Sozialhilfeniveau erworben würden.

Das oft als Ausweg beschworene Schweizer Modell, das eine solidarische umlagefinanzierte Grundrente mit betrieblicher und privater Vorsorge kombiniert, setzt eine drastische Senkung der Staatsquote voraus, damit überhaupt privater Vorsorgespielraum entsteht. Die Zeichen stehen anders. Versicherungsfremde Leistungen und Fremdrenten, in guten Zeiten als Wahlgeschenke großzügig aus der Rentenkasse ausgereicht, belasten erwerbstätige Beitrags- und Steuerzahler bereits über die Grenze des Erträglichen hinaus.

Ohnehin trügt die Hoffnung, fehlende solidarische Beitragszahler durch effektive Kapitalanlage ersetzen zu können. Die Weltwirtschaftskrise hält bittere Lektionen parat: Läßt eine globale Rezession die Aktienkurse einstürzen, gerät auch die auf dem Kapitalmarkt angelegte private Altersvorsorge ins Wanken. Begleichen die Regierungen ihre Konjunkturpaket-Schulden per Inflation oder Währungsreform, werden mit dem Geld auch die Renditen von Sparplänen und Lebensversicherungen entwertet. Die Umlagerente wird dagegen immer zum Zeitwert ausgezahlt.

Wie man es auch dreht und wendet: Am drohenden Kollaps der Rentenkasse sind nicht die berechtigten Ansprüche der Rentner schuld, sondern Manipulationen und Fehlentscheidungen von Politikern, die demographische Gesetzmäßigkeiten hartnäckig ignorieren. Steigt die Lebenserwartung und die Volksgesundheit, muß länger gearbeitet werden. Die vor einem Vierteljahrhundert zur Aufhübschung der Arbeitsmarktstatistik eingeführte Vorruhestandsregelung war nur eine von vielen rentenpolitischen Geisterfahrten gegen die demographischen Notwendigkeiten.

Daraus ergeben sich drei Reformforderungen. Erstens eine andere Einwanderungspolitik, die den Zuzug nach Deutschland grundsätzlich nur dem gestattet, dessen Fähigkeiten, Ausbildung und Motivation einen positiven volkswirtschaftlichen Beitrag versprechen. Zweitens die Einlösung des im „Generationenvertrag“ der Umlagerente enthaltenen Versprechens der Generationengerechtigkeit durch Rentenzuschläge für Eltern und Beitragsaufschläge für Kinderlose. Drittens eine aktive, primär an den Bedürfnissen von Familien und Kindern ausgerichtete Bevölkerungspolitik, um die Geburtenrate der Deutschen wieder über das bestandserhaltende Niveau von 2,1 Kindern pro Frau anzuheben.

Es ist fraglich, ob eine Umkehr ohne größere Verwerfungen überhaupt noch möglich ist. Aber jedes weitere Zuwarten vervielfacht den Bremsweg.

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