© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/09 27. März 2009

Ein Selbstbetrug als Rettung vor der Wirklichkeit
Kriminalität: Die Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer über Jugendliche und Gewalt erweist sich bei näherer Betrachtung als Werbung in eigener Sache
Fabian Schmidt-Ahmad

Der „Kampf gegen Rechts“ ist in die Jahre gekommen. Zwar belastet der Ideologiekrieg den öffentlichen Haushalt inzwischen längst wie ein echter militärischer Konflikt, aber in letzter Zeit hat sich bei den vielen großen und kleinen Kämpfern ein gewisser Fatalismus ausgebreitet. Doch wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch. Ein Held in schimmernder Rüstung ist erschienen. Gemeinsam mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) stellte der Kriminologe Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) in der vergangenen Woche die Studie „Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt“ vor (siehe auch Seite 2).

Ihr Ergebnis dürfte Balsam für die geschundenen Seelen der Gegen-Rechts-Krieger sein. Dabei gibt es genug Gründe, Pfeiffers Studie mit Skepsis zu begegnen. Zum einen ist sie zum „für die breite öffentliche Wahrnehmung eher überraschenden Befund“ gelangt, daß die Jugendkriminalität im Vergleich zu Untersuchungen von vor zehn Jahren gesunken sei. Zum anderen will sie einen ausgeprägten Rechtsextremismus bei deutschen Jugendlichen ausgemacht haben. Jeder Siebte sei demnach als „sehr ausländerfeindlich“ einzustufen. Fünf Prozent aller fünfzehnjährigen Jungen sollen gar einer rechtsextremen Kameradschaft oder anderen Vereinigung angehören.

„Erschreckend“ nannte Schäuble diese Ergebnisse. Gleichzeitig ist die Studie  auch sehr nützlich für Anti-Rechts-Lobbyisten, die bei Gewaltverbrechen von ausländischen Jugendlichen stets „rassistische“ Übertreibung und von Deutschen stets „rassistische“  Verharmlosung wittern wollen. Solchem Selbstbetrug zur Rettung der eigenen Weltanschauung vor der Wirklichkeit verlieh Pfeiffer nun wissenschaftliche Weihen: eine Studie, zu schön, um wahr zu sein.

Zunächst beeindruckt der Umfang der Studie. 44.610 an Schulen erhobene Fragebögen wurden ausgewertet. Auf bis zu 43 Seiten mußten Schüler der neunten und zehnten Klasse Fragen zur persönlichen Einstellung, kriminellem Verhalten und Gewalterfahrung beantworten. Auf den ersten Blick scheint die Studie jeden Einwand mit objektiver Wissenschaftlichkeit zu erdrücken. Allerdings ergibt sich bei näherer Betrachtung ein ganz anderes Bild. So haben von 2.131 angefragten Schulklassen 921 die Zusammenarbeit verweigert. Dieser Ausfall von beinahe einem Drittel betraf überdurchschnittlich häufig Sonderschulen und Schulen in Großstädten.

Ansonsten wird Pfeiffer kreativ. Der deutliche Anstieg der Jugendkriminalität in den vergangenen 15 Jahren wird mit einem veränderten Anzeigeverhalten gedeutet: „Dieser Effekt könnte allerdings in hohem Maße Resultat eines veränderten Umgangs mit Jugenddelinquenz sein, falls entsprechende Verhaltensweisen mittlerweile weniger toleriert (...) werden.“ Dadurch wird das Problem zu einem Scheinproblem. So heißt es weiter in der Studie: „Diese zunehmende Verlagerung der Fälle vom Dunkelfeld ins polizeilich erfaßte Hellfeld spricht dafür, daß der (...) registrierte Anstieg der Jugendkriminalität (...) auf ein geändertes Anzeigeverhalten der Opfer zurückzuführen ist.“

Das „veränderte Anzeigeverhalten“ ist ein Lieblingsinstrument Pfeiffers. Als vor 15 Jahren ein deutlicher Anstieg der Ausländerkriminalität registriert wurde, orakelte Pfeiffer in der Studie über „Das Problem der sogenannten ‘Ausländerkriminalität’“, daß Deutsche ausländische Straftäter ganz einfach häufiger anzeigen würden. Konsequenterweise hätte Pfeiffer seine Studie also eigentlich „Das sogenannte Problem der sogenannten ‘Kriminalität’ der sogenannten ‘Ausländer’“ nennen müssen.

Mit anderen Worten: Pfeiffer behauptet, daß der Eisberg der Kriminalität nicht gewachsen, sondern in Wirklichkeit abgeschmolzen sei. Mit diesem Erklärungsmuster deutet sich Pfeiffer die Wirklichkeit zurecht. Den Anstieg der Vergewaltigungen durch jugendliche Tatverdächtige seit 1993 um das Doppelte erklärt der Kriminologe ernsthaft auch mit einer Novelle des Sexualstrafrechts. Welche Gesetzesnovelle die Verdopplung der schweren Körperverletzungen im gleichen Zeitraum bewirkt hat, verschweigt er.

Der „überraschende“ Schluß, daß die Jugendkriminalitätsrate – entgegen der Polizeistatisik – gesunken sei, was die Studie auf die Wirkung von Präventionsprogrammen zurückführt, wird weniger überraschend, wenn man sich vergegenwärtig, daß das KFN deutschlandweit führend ist bei der Entwicklung und Betreuung ebendieser sozialpädagogischen Programme. Ebensogut könnte eine Jugend-Studie der Tabakindustrie zu dem „überraschenden“ Schluß kommen, daß rauchende Jugendliche gesünder und glücklicher sind.

Ganz abenteuerlich wird es, wenn Pfeiffer einen „Rechtsextremismus“ der Jugendlichen messen will. Diese werden gefragt, ob „die in Deutschland lebenden Ausländer“ etwa „keine Bereicherung für die Kultur in Deutschland“ sind oder „ihren Lebensstil besser an die Deutschen anpassen“ sollten. Was dabei gemessen wurde, ist derart abstrus, daß selbst die taz süffisant ausrechnete, daß der Studie zufolge fast alle vom Verfassungsschutz registrierten Rechtsextremen in die neunte Klasse gehen müssen. Pfeiffer rechtfertigte diese Zahlen in der taz mit – man ahnt es schon – dem Verhältnis von „Hellfeld“ und „Dunkelfeld“.

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