© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/09 03. April 2009

Freie Wähler
Die Luft wird bleihaltig
Dieter Stein

Nie kämpfen Parteien unerbittlicher, als wenn es um ihre Pfründen geht. Laut Grundgesetz wirken Parteien „bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Indes haben sie sich in 60 Jahren Bundesrepublik zu einem regelrechten politisch-industriellen Komplex entwickelt, der Zehntausende von Arbeitsplätzen in den Entscheidungszentren des Staates vermittelt und Versorgung vom Studium bis zur Rente verspricht. Wenn es jemand wagt, sich hier dem demokratischen Wettbewerb zu stellen, und dabei die diversen vorsorglich errichteten Hürden zu überwinden droht, dann wird die Luft wie in guten alten Western „bleihaltig“. Bei der kommenden Europawahl werden bis zu 30 Parteien für einen langen Wahlzettel sorgen. Die Wahl zum ungeliebten Parlament in Brüssel wird vom Wähler gerne genutzt, um seinem Ärger über Altparteien Luft zu machen. Die Bereitschaft, scheinbar „chancenlose“ Kleinparteien zu wählen, ist größer als sonst. Ihren ersten Achtungserfolg erlangten die Grünen bei den EU-Wahlen 1979, die Republikaner zogen 1989 mit 7,5 Prozent ins EU-Parlament ein. Neben kuriosen Kleinparteien, die im Null-Komma-Ghetto verharren, sorgen schon jetzt die Freien Wähler mit ihrem Europawahl-Antritt für Aufsehen. In Bayern katapultierte 2008 erstmals der Wählerfrust die dort kommunal stark verankerte Vereinigung mit über zehn Prozent in den Landtag. Bundesweit könnte diese schillernde Formation zum Auffangbecken für alle von einer konturenlosen Kanzlerin und einer schwächelnden CSU enttäuschten bürgerlichen Wähler werden. Nach einer von der Zeitschrift Cicero in Auftrag gegebenen aktuellen Umfrage können sich 28 Prozent der Deutschen vorstellen, die Freien zu wählen. Aufsehen erregte jetzt, daß sich mit Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel ein mediales Schwergewicht als Unterstützer ins Gespräch bringt. Und bundespolitisch sind sie schon jetzt Zünglein an der Waage. Ohne die Stimmen der Freien Wähler kann Bundespräsident Horst Köhler im Mai nicht sicher mit seiner Wiederwahl rechnen. Jede Formation, die mit dem Anspruch antritt, der Union ihr Monopol in der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ streitig zu machen, muß mit erbitterter Feindschaft rechnen. Die Gegenwehr fällt im Ernstfall brutal aus. Wer hier nicht gewappnet ist, wird mit der Faschismuskeule schneller erledigt, als er denken kann. Da die CSU bei den Europawahlen fürchtet, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern und damit sämtlicher EU-Mandate verlustig zu gehen, greift sie die Rivalen besonders haßerfüllt an. Das vom CSU-gesteuerten Bayerischen Rundfunk produzierte Magazin „Report München“ gab letzte Woche eine Kostprobe. Hysterisch wurde von einer angeblichen Unterwanderung der Freien Wähler durch „Rechtspopulisten“ orakelt. Die Angegriffenen wehrten sich bislang souverän und empfahlen der CSU, ihre Mitgliedslisten nach Ex-Republikanern durchzusehen. – So weltanschaulich heterogen die Freien Wähler sind: Gerade deshalb haben sie die besten Chancen, das Monopol der Union zu brechen. Was die erste Voraussetzung für die Neuordnung der Parteienlandschaft ist.

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