© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/09 03. April 2009

„Korrespondenten müssen ihr Land lieben“
Auf verlorenem Posten: Für seine Berichterstattung über das Vertriebenenzentrum erntet Thomas Urban nicht nur aus Polen Schelte
Ronald Berthold

So mancher Krieg bietet verlockende Nebenschauplätze. Dort kann leicht mit politischen Gegnern abgerechnet werden. Im Schatten der Auseinandersetzung um das Zentrum gegen Vertreibungen tobt ein solcher Konflikt unter den deutschen Korrespondenten in Polen. Im Zentrum der Kampagne steht der Reporter der Süddeutschen Zeitung (SZ), Thomas Urban.

Es begann mit der Beleidigung des greisen Deutschland-Beauftragten der polnischen Regierung, Wladysław Bartoszewski. Urban sei der „Ghostwriter“ der Vertriebenen-Vorsitzenden, Erika Steinbach, behauptete der 87jährige. Womit er wohl weniger sagen wollte, daß Urban der CDU-Politikerin die Reden schreibe, als daß er ihr Vorhaben publizistisch unterstütze. Der SZ-Journalist verhalte sich „wie ein Schwein“, so Bartoszewski. Damit war Urban zum Abschuß freigegeben – sowohl von polnischer als auch von deutscher Seite.

Die Medien jenseits von Oder und Neiße, darunter auch das Springer-Blatt Fakt, begleiteten Bartoszewskis Attacke wohlwollend, teils sogar unter Angabe von Urbans Wohnort. Daß sie den 54jährigen als Steinbach-Unterstützer outeten, hatte im derzeit nicht deutschfreundlichen Klima Polens Folgen. Die Reifen von Urbans Wagen wurden zerstochen, seine Familie und er erhielten Morddrohungen.

Das rief nun Urbans Kollegen auf den Plan. Doch mit der journalistischen Solidarität ist es nicht weit her, wenn es in Wahrheit um eine Erinnerung an deutsche Kriegsopfer geht. Während die FAZ zunächst neutral über die Affäre berichtete und der Berliner Tagesspiegel tadelte, daß sich Urban am „polnischen Pranger“ befinde, hielten sich die meisten deutschen Polen-Korrespondenten erst einmal zurück. Doch einige wetzten bereits die Messer. Auf der Medienseite der Berliner Zeitung schrieb Tomasz Kurianowicz vornehm, was wirklich gedacht wird: „Nur in den Räumen der deutschen Korrespondentenbüros in Warschau wächst der Zweifel an Urbans Glaubwürdigkeit.“

Ausgerechnet dem Reporter der vermeintlich konservativen Welt, Gerhard Gnauck, blieb es vorbehalten, Urban als paranoid abzustempeln. In einer E-Mail an Kollegen bezeichnete er Urbans Sorge vor Angriffen als „maßlos übertrieben“. Er brach ein Tabu, indem er ein privates Gespräch mit Urban von 2006 öffentlich machte. Damals hieß es, Urban, sei angefeindet worden, weil er Deutschlands Polen-Beauftragte und heutige Bundespräsidentschafts-Kandidatin Gesine Schwan kritisiert habe, was Urban allerdings dementierte. Gnauck berichtet nun, vor drei Jahren habe Urban ihm angesichts der Schwan-Geschichte angeblich freudig mitgeteilt: „Mein Job ist gesichert!“ Was nichts anderes bedeuten soll, als daß Urban die Affäre seinerzeit zu eigenen Zwecken instrumentalisiert habe. Der SZ-Journalist sei, so Gnauck, ein „Märtyrer mit Lamettakrone“. Der Deutschlandfunk (DLF) faßte die Aussage so zusammen: „Kurzum: Urban lüge.“

Damit wurde die nächste Stufe der Angriffe gezündet. In einem DLF-Interview griff der Polen-Experte der Zeit, Gunter Hofmann, Gnaucks Aussagen auf und bezweifelte nun sogar, daß Urban nach Bartoszewskis Angriffen aktuell überhaupt bedroht wird. Ob er das „frei erfunden“ habe, sei „ganz schwer zu beurteilen“.

Für den Ursprung der ganzen Angelegenheit, nämlich die Attacken des polnischen Deutschland-Beauftragten, hatte er nur ein Schmunzeln übrig: „Man kann sich erregen über den alten Herrn Bartoszewski, weil der halt ein Temperamentsbrocken ist und explodiert. Ich finde das aber eher kurios und nebensächlich.“ Vielmehr nutzte Hofmann die Gelegenheit, mit Urban abzurechnen und bei seinem Arbeitgeber gewisse Zensurmaßnahmen anzumahnen: Er wundere sich, „daß die von mir so hochgeschätzte Süddeutsche Zeitung das alles so laufen läßt“. Gemeint war Urbans Berichterstattung über das Zentrum gegen Vertreibungen.

Hofmanns wichtigste Kritik an Thomas Urban ist daher auch absolut eindeutig: „Korrespondenten müssen ihr Land lieben.“ Damit meint Hofmann selbstredend nicht das eigene Herkunftsland, sondern in diesem Falle Polen. Im Klartext: Wer dort als deutscher Journalist arbeitet, müsse sich mit Warschaus Anliegen gemein machen; selbstverständlich nicht wenn es gegen die rechten Kaczyński-Zwillinge gehe, wohl aber wenn die linken „Brückenbauer“ gegen Erika Steinbach Front machen.

Ein Bekenntnis zum Zentrum gegen Vertreibungen verbietet sich da – so offenbar der von Hofmann dargestellte Konsens unter Urbans Kollegen – von selbst. Gut zu wissen für deutsche Zeitungsleser: Auslandsjournalisten schreiben demnach im Zweifel für ihr Gastland und gegen die deutschen Interessen.

Im übrigen erklärt sich die vorwiegend DDR-freundliche Berichterstattung vieler westdeutscher Korrespondenten noch während des Zusammenbruchs des SED-Regimes offensichtlich aus dieser abstrusen Berufsauffassung. Daß die wenigen kritischen Stimmen von der Geschichte bestätigt wurden, zählt da heute wenig. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß sich ausgerechnet die linksliberale und politisch korrekte Süddeutsche Zeitung einen Korrespondenten hält, der diesen Mechanismus durchbrechen will. Gerade das macht aber die Prognose möglich, daß sich die Wege bald trennen könnten.

Vieles, was den Warschau-Reportern anderer Zeitungen nun an Urban bitter aufstößt, erklärt sich aus dessen Biographie. Seine Eltern flohen mit dem einjährigen Thomas 1955 aus der DDR in den Westen. Dort diente Urban später bei der Bundeswehr. Dabei gehört die Zivildienstzeit schon seit Jahrzehnten im Lebenslauf von Journalisten zum guten Ton. Mit Mitte 20 schloß sich Urban dem sowjetischen Dissidenten Lew Kopelew an und avancierte zu dessen Mitarbeiter. Als Student in Moskau hatte er Post und Medikamente für die sowjetischen Regimekritiker geschmuggelt, bevor ihn der KGB deshalb verhaftete.

Der Mann hat das kommunistische System besser kennengelernt als so mancher seiner heutigen Kritiker. Und er hat erkannt, daß es weiter nötig ist, gegen die Spätfolgen dieses Systems anzuschreiben, indem er Unrecht – auch das der Vertreibungen der Deutschen – beim Namen nennt. Als Journalist kämpft er dabei nicht selten auf verlorenem Posten.

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