© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/09 10. April 2009

„Dauerhaftes Phänomen“
Bildungspolitik: Mit Bayern und Hessen machen zwei weitere Länder den Weg frei für einen Islamunterricht unter staatlicher Aufsicht
Marc Zöllner

Wenn die Berliner Ende April darüber abstimmen, ob die Schüler künftig zwischen dem bisherigen Pflichtfach Ethik und dem Religionsunterricht wählen können, denken die meisten zunächst an christlichen Religionsunterricht. Dabei ist gerade der islamische Religionsunterricht in Deutschland auf dem Vormarsch.

Bayern etwa bietet ab nächstem Schuljahr erstmalig landesweit islamischen Religionsunterricht an seinen Schulen an. Man werde in den kommenden Monaten umfangreiche Lehrpläne für Volks- und Realschulsysteme ausarbeiten, beschloß das Kabinett im März. Mit der Verankerung des Islam­unterrichts in den bayerischen Lehrplänen wolle man verhindern, daß religiöse islamische Erziehung lediglich „den Hinterzimmern“ sowie den Koranschulen vorbehalten bleibe, sagte Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU). Er betrachte den Islam als ein „dauerhaftes religiös-kulturelles Phänomen“.

Der Islamunterricht selbst werde kein Pflichtfach werden. Schüler, welche nicht an ihm teilnehmen mögen, hätten daneben die Wahl zwischen christlich- beziehungsweise jüdisch-konfessionellem Unterricht sowie dem Fach Ethik. Der Unterricht, der allein in deutscher Sprache angeboten werden wird, diene vor allem der Integration von Einwandererkindern. „Wir müssen muslimische Kinder begleiten, eine geistig-geistliche Heimat in der Mitte der Gesellschaft zu finden“, sagte Spaenle.

Der landesweite Unterricht gilt als Modellversuch und soll zunächst für fünf Jahre aufgenommen werden. Bayern besitzt schon seit über zwanzig Jahren Erfahrungen mit islamischer Pädagogik. So existieren bereits seit 1986 zwei Versuchsreihen in Erlangen und München.

Der bayerische SPD steht hinter den Plänen der Regierung. Flächendeckende Angebote an islamischem Religionsunterricht seien „ein richtiger Schritt auf dem Weg zur Integration“, sagte Isabell Zacharias. Die migrationspolitische Sprecherin der Landes-SPD kritisierte jedoch die zögerliche Umsetzung eines bereits in mehreren Städten etablierten Systems. „Fünf Jahre Modellversuch in Erlangen und München“, betonte Zararias, hätten bewiesen, „daß der Islamunterricht hervorragend funktioniert.“

Zudem kritisiert Zacharias die einseitige Ausweitung des Modells lediglich auf Realschulen. Sie mahnte, daß dort lediglich drei Prozent der Schüler muslimischen Glaubens seien, in Hauptschulen jedoch etwa acht sowie in Förderschulen über zehn Prozent. Gerade bei letzteren machten sich Defizite vor allem bezüglich der Sprachkenntnisse von Migrantenkindern bemerkbar. „Die Förderschulen“, so Zacharias, „müßten also als erste dran sein.“

Doch auch wenn die Kritik der Opposition ziemlich sanft ausfallen mag, vor einem logistischen Problem steht Bayern allemal. Schließlich, so betont auch die Staatskanzlei, kämen auf die etwa hunderttausend Schüler muslimischen Glaubens lediglich 50 Lehrer mit den entsprechenden pädagogischen Vorkenntnissen. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband forderte daher eine umfassende Ausbildung sowie einen Lehramtsabschluß einer deutschen Universität von den zukünftigen Pädagogen.

Mit der Einführung des landesweiten Islamunterrichts baut Bayern seine vermeintlich integrative Vorreiterrolle weiter aus. Lediglich Niedersachsen, Berlin sowie Nordrhein-Westfalen bieten bislang ähnliche Programme für Kinder und Jugendliche muslimischen Glaubens an. Seit dem Wintersemester 2004/2005 befindet sich in Nordrhein-Westfalen dazu noch der deutschlandweit erste Lehrstuhl für islamische Religion. Am dortigen Centrum für Religiöse Studien mit Sitz in Münster werden zukünftige Lehrkräfte für orthodoxen sowie islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache ausgebildet.

Mit Blick auf die Ankündigung von Hessens Kultusministerin Dorothea Henzler (FDP), einen Runden Tisch für Angehörige der Landesregierung sowie Vertreter muslimischer Verbände einzuberufen, um mögliche Modellversuche nach bayerischem Vorbild einzuführen, forderte nun auch die Berliner FDP den Senat zur Entwicklung neuer Konzepte auf. „In einer Stadt, in der es so viele Muslime gibt“, so Thomas Duveneck von der Senatsbildungsverwaltung, brauche man „ein solches Angebot“. Denn gerade bei einem positiven Ausgang des „Pro Reli“-Volksentscheids könne sich auch der Islamunterricht zu einem anerkannten Wahlpflichtfach etablieren. Bislang war die Erziehung in islamischen Religionsangelegenheiten allein Sache der Islamischen Föderation Berlin, der gute Kontakte zur als extremistisch geltenden Organisation Milli Görüs nachgesagt werden.

Welche Entwicklung die Modelle in den einzelnen Ländern nun nehmen werden, bleibt abzuwarten. Experten loben jedoch bereits einerseits die zukünftig intensive Sprachdidaktik sowie den schwindenden Einfluß radikaler Gruppierungen auf das Weltbild junger Muslime und weisen auf den doppelt positiven Effekt bezüglich der Integration hin. Auch Bundesinnenminister Schäuble konstatierte, die „Auseinandersetzung mit den eigenen religiösen Werten und kulturellen Wurzeln“ zeitige „beachtliche positive Effekte auf das Sozialverhalten der Schüler“. Bei einem Treffen mit Migranten in Berlin begrüßte er den raschen Ausbau islamischer Unterrichtseinheiten und kündigte eine umfassende Prüfung von intensiveren Deutschkursen auch für Erwachsene an. Denn der Islam, so Schäuble, „ist Teil unseres Landes“.

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