© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/09 24. April 2009

Am Rande des Zerfalls
Trügerischer Frieden im Kongo: Trotz vielfältigster Initiativen kommt das zentralafrikanische Land nicht zur Ruhe
Michael Wiesberg

Seit den Parlamentswahlen von  2006, als – abgesichert durch einen Militäreinsatz (Eufor RD Congo) mit deutscher Beteiligung – viele Kongolesen zum ersten Mal seit vier Jahrzehnten wählen konnten, ist der Kongo weitgehend aus dem Blickpunkt der Weltöffentlichkeit verschwunden. Dabei schwelen die tiefgreifenden Konflikte des Landes, insbesondere in der im Osten gelegenen Provinz Kivu, weiter.

Vielen gilt der von ständigem Bürgerkrieg, Korruption und Mißwirtschaft gezeichnete zentralafrikanische Staat, der zu den ärmsten Ländern der Welt gezählt wird, mittlerweile als Musterbeispiel eines zerfallenden Staates. Dabei wären die Voraussetzungen für einen gewissen Wohlstand durchaus gegeben, verfügt der Kongo im Osten doch über viele Bodenschätze und Naturreichtümer. An diesen Reichtümern wollen aber auch Anrainerstaaten wie Uganda, Ruanda und Burundi partizipieren, die bisher kaum ein Interesse daran hatten, daß die Konflikte in Kongo beendet werden, eröffneten diese doch die Möglichkeit ständiger Intervention und damit Zugriffsmöglichkeiten auf die Bodenschätze des Kongo.

Es überrascht deshalb nicht, daß die jüngere Geschichte des Kongo vor allem durch Kriege und den Kampf um den Zugriff auf Bodenschätze wie Erdöl, Uran, Mangan, Kobalt, Gold, Diamanten, Mangan, Kobalt oder Zink gekennzeichnet war. Eine Reihe dieser Bodenschätze sind von großer strategischer Bedeutung und haben immer wieder entsprechende Begehrlichkeiten ausgelöst. Dies gilt quasi von Beginn der Geschichte des Kongo an: Im späten 19. Jahrhundert setzte im Kongo das Interesse der Europäer ein, allen voran des belgischen Königs Leopold II. (1865–1909), der als einer der ersten die Bedeutung der Ressourcen des Kongo erkannte. Er war es, der am 29. Mai 1885 einen unabhängigen Kongo-Staat proklamierte und sich als Herrscher ausrufen ließ.

Die Trennung der Verwaltung des Kongo von Belgien hatte zur Folge, daß Leopold II. den Kongo als persönlichen Besitz vereinnahmen konnte. Diese Konstellation ist zutreffend als „Kolonie ohne Mutterland“ bezeichnet worden. Entsprechend rechtlos waren die Einwohner, die sich überdies bei der wirtschaftlichen Ausbeutung ihres Landes durch die Konzessionsgesellschaften brutalen Exzessen ausgesetzt sahen („Kongo-Greuel“), die international für steigende Empörung sorgten. 1908 sah sich Leopold II. aufgrund des immer größer werdenden Drucks gezwungen, den Kongo dem belgischen Staat als „normale“ Kolonie zu übergeben.

Mit dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem spürbar größer werdenden Engagement der Vereinigten Staaten, die zunächst vor allem an den Uran-Vorräten für ihren Atombombenbau interessiert waren, dann aber darauf aus waren, sich den Zugriff auf alle strategisch wichtigen Rohstoffe des Kongo zu sichern, um einen möglichen Zugriff der Sowjetunion zu verhindern. Als 1960 die Demokratische Republik Kongo  gegründet wurde – die ehemalige Kolonialmacht Belgien hatte bereits 1959 mehr oder weniger schlagartig das Feld geräumt –, versuchten die Amerikaner, kongolesische Politiker in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Aus den vor allem ethnisch orientierten kongolesischen Parteien ragte eine Partei heraus, nämlich die national orientierte Mouvement nationale congolais (MLC), an deren Spitze ein charismatischer Politiker namens Patrice Eméry Lumumba stand. Er gewann denn auch die Wahlen im Mai 1960 und wurde der erste Ministerpräsident des Kongo. Lumumba dürfte aber von Anfang an keine Chance gehabt haben, das Land zwischen der Skylla und Charybdis der beiden Weltmächte USA und Sowjet-union hindurchzusteuern. Seine Ankündigung, die Beziehungen zu Belgien einer Revision unterziehen zu wollen, wurden ihm zum Verhängnis. Lumumba fiel mit ziemlicher Sicherheit in der Folge einer US-belgischen Intrige zum Opfer und wurde im Januar 1961 ermordet.

Nur einige Zeit später übernahm Joseph-Désiré Mobutu die Macht, der als Stabschef der kongolesischen Armee bereits unter Lumumba zum ersten Male putschte und vorher wohl für den belgischen Geheimdienst und die CIA arbeitete. Mobutu machte sich zum Präsidenten auf Lebenszeit und betrachtete den Kongo wie einst Leopold II. als eine Art „Privatbesitz“. Er war es auch, der den Kongo in Zaire umbenannte. Mobutu installierte eine Art „Kleptokratie“, die auf Repression und Korruption aufbaute und einige dunkle Jahrzehnte Bestand hatte.

Anfang der 1990er Jahre stand der heruntergewirtschaftete Kongo schließlich vor dem Bankrott. Mobutu gelang es dennoch immer wieder, die Opposition durch geschickte Schachzüge zu spalten. Von 1994 an wurde die Lage für ihn immer schwieriger, als sich, forciert durch die Flüchtlingsströme aus Ruanda und Burundi, eine Rebellenarmee unter der Führung von Laurent-Desiré Kabila zu formieren begann. 1997 konnte Kabila den inzwischen schwerkranken und international isolierten Mobutu stürzen. Aus Zaire wurde unter Kabila in der Folge wieder Kongo. Allerdings bekam er die Lage nicht unter Kontrolle, die kriegerischen Auseinandersetzungen währten bis in das Jahr 2003. Im Januar 2001 kam Kabila bei einem Attentat um, und dessen Sohn Joseph trat die Nachfolge als Staatspräsident des Kongo an.

 Während sich das Regime von Laurent-Desiré Kabila kaum von der „Kleptokratie“ Mobutus unterschieden hat, verfolgt dessen Sohn eine verantwortungsbewußtere Politik. Er bemüht sich zumindest, wenn auch mit geringem Erfolg, um eine Stabilisierung des zerrütteten Staates und vor allem um eine Beendigung der Ausplünderung der rohstoffreichen Ostprovinzen des Landes. Allerdings sind die Herausforderungen, vor denen Kabila steht, immens: Durch Korruption und Bürgerkrieg hat die Verwaltung und Infrastruktur des Kongo erheblichen Schaden genommen; der Staat ist insbesondere im Osten des Landes nicht mehr präsent.

Inwiefern hier die Allianz Abhilfe schaffen kann, die Kabila und sein ruandischer Amtskollege Paul Kagane eingegangen sind, um die etwa 7.000 Mann zählende, ruandischstämmige Hutu-Miliz Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) zu bekämpfen, bleibt abzuwarten. Die Tutsi-Rebellenorganisation Conseil National pour la Défense du Peuple (CNDP), deren umstrittener Führer Laurant Nkunda am 22. Januar in Ruanda festgenommen wurde, unterstützt diese Allianz. Allerdings ging dem ein Machtkampf gegen Nkunda und seinen Militärchef Bosco Ntaganga voraus, der schließlich den Waffenstillstand unterzeichnete und dann mit kongolesischen und ruandischen Regierungstruppen gegen Nkunda vorging. Die CNDP ging aus jener Fraktion hervor, die sich 2002, als die Rebellenbewegung Rassemblement Congolais pour la Démocratie – Goma (Kongolesische Vereinigung für Demokratie – Goma = RCD – Goma) mit Kongos Präsident Kabila einen Friedensvertrag aushandelte, abgespalten hatte und in der Folge von Ruanda unterstützt wurde.

2008 hat der kongolesische Tutsi-General Nkunda eine Großoffensive in Kivu durchgeführt, in deren Verlauf er sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht und Kindersoldaten rekrutiert haben soll. Gleiches wird seinem Nachfolger Ntaganga vorgeworfen, der vom Strafgerichtshof in Den Haag gesucht wird.

Es mag auf den ersten Blick überraschen, daß es der zahlenmäßig weit überlegenen kongolesischen Regierungsarmee FARDC, die alleine etwa 25.000 Mann in die Provinz Kivu geschickt hat und darüber hinaus von den von Warlords angeführten, regional operierenden Mai-Mai-Milizen und Hutu-Rebellen unterstützt wird, lange nicht gelungen ist, die CNDP zurückzudrängen.

Diese FARDC kann allerdings nicht mit westlichen Maßstäben beurteilt werden. Die kongolesische Regierung zeigte sich nicht in der Lage, die FARDC zu versorgen, so daß deren Soldaten in keiner Weise motiviert sind und dort, wo sie stationiert sind, eher durch Verbrechen als durch Befriedungsmaßnahmen auffallen. Diese Opfer der schwelenden Kriege in Kongo belaufen sich, von 1998 an gerechnet, auf schätzungsweise fünf Millionen Tote; eine Größenordnung, die die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright von „Afrikas erstem Weltkrieg“ sprechen ließ.

Angesichts der fortdauernden Unruhen entschloß sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Ende 1999 zur Entsendung der Friedensmission MONUC (= Mission de l’Organisation des Nations Unies au Congo). Zu den Aufgaben dieser Mission gehört der Schutz der Zivilbevölkerung in den Kriegsgebieten und die Unterstützung der kongolesischen Armee im Kampf gegen die illegalen bewaffneten Gruppen im Osten des Kongo. Bundeswehrsoldaten waren 2006 im Kongo im Rahmen der Operation Eufor RD Congo eingesetzt, die freie Wahlen im Kongo zu sichern mithelfen sollte.

Dieses Mandat endete am 30. November 2006. Möglicherweise könnte es in absehbarer Zeit wieder zu einem Einsatz von Bundeswehrsoldaten kommen, da immer wieder eine EU-Militär­operation angeregt wird. Vor zwei Jahren wurde sogar schon der Einsatz von „Battle Groups“ diskutiert, womit EU-Eingreiftruppen bezeichnet werden, die weltweit kurzfristig einsetzbar sind. Damals waren diese „Battle Groups“ noch im Aufbau, mittlerweile dürften sie aber einsatzfähig sein.

Zu diesen „Battle Groups“ gehört zum Beispiel die deutsch-französische Brigade. Gegen einen derartigen Einsatz sprechen allerdings schwer kalkulierbare Risiken, die Denis M. Tull, Mitarbeiter der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, zusammengestellt hat (SWP-Aktuell 85, 12/2008).

Zum einen würde ein derartiger Einsatz der Regierung Kabila in die Hände spielen, die in die Lage käme, ihre Konflikte durch externe Truppen ausfechten zu lassen. Oder anders gewendet: Der Regierung Kabila eröffnete sich in einem derartigen Fall die Möglichkeit, „sich ihrer Verantwortung für die Krise zu entziehen“. Zum anderen wäre dieser Einsatz, insbesondere in der Provinz Kivu, mit großen Risiken für die Soldaten verbunden, sind doch die militärischen Fähigkeiten der CNDP nicht zu unterschätzen.

 Die jüngste Entwicklung könnte darauf hindeuten, daß ein derartiger Einsatz derzeit obsolet ist. Allerdings zeigt die Geschichte der letzten Jahrzehnte, daß die Lage im Kongo bereits morgen wieder eine ganz andere sein könnte. Nicht wenige Beobachter mutmaßen, daß eine verstärkte Militärpräsenz in der Provinz Kivu die Lage der dortigen Bevölkerung eher verschlimmern könnte.

Juliane Kippenberg, die für Human Rights Watch arbeitet und Anfang April aus dem Kongo zurückgekehrt ist, bestätigte diese Mutmaßung gegenüber dem Berliner Tagesspiegel: „Wo im Kongo Männer mit Waffen sind, gibt es Vergewaltigungen, Tötungen und Plünderungen.“

Foto: Der mittlerweile festgesetzte Rebellenführer Laurent Nkunda spricht (Nov. 2008) zu seinen Anhängern: Konkurrent der Regierung

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