© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/09 24. April 2009

CD: Pop
Maschen
Georg Ginster

Grunge, vor 15 Jahren durch den Selbstmord von Kurt Cobain mit einem authentischen Höhepunkt besiegelt, hat zwar auch in Deutschland viele Jugendliche bewegt, unter deren musizierenden Elite aber so gut wie keine Nachahmer gefunden. Offenbar haben jene, die seine Botschaft hierzulande erreichte, aus ihr die richtigen Schlußfolgerungen gezogen. Eine als nihilistisch und asozial empfundene Gesellschaft hatte es gar nicht verdient, daß man sich mit ihr schöpferisch auseinandersetzte. Schon die darauffolgende Alterskohorte wurde durch die kommunikationstechnologische Revolution des Internet derart in ihren Bann gezogen, daß sie in Aufbruchsstimmung erzitterte und den zynischen Weltschmerz der zornigen Nirvana-Gestalten mitsamt ihrer Lumpensackästhetik hinter sich ließ.

Folgerichtig ist 1999 auch die sechs Jahre zuvor gegründete Band Selig ohne großes Aufsehen von der Bildfläche verschwunden. Zwar hatte sie es nie für nötig befunden, der ziellosen Zerstörungslust des Grunge beizupflichten, dazu waren die fünf in Hamburg ansässigen Musiker wohl zu brav, und sie empfanden die Weltordnung vielleicht auch als nicht erschüttert genug, um sie rundweg negieren zu können. Ein paar seiner Attribute, insbesondere die schnodderige Lässigkeit und die freimütige Zurschaustellung der eigenen Befindlichkeiten unter Verzicht auf ironische Versteckspiele, hatte man sich aber schon von ihm abgeguckt, was ausreichte, um für eine Weile auf seiner Welle mitzuschwimmen. Nachdem sie abgeebbt war, gelang der Absprung in die Richtung irgendwie intellektuell ambitionierter Popmusik allerdings nicht mehr. Das dritte und damals erst einmal letzte Album, „Blender“, war ein Desaster und ließ die Beerdigung des Projekts als konsequent erscheinen.

Mit der Neugründung sowie der CD „Und endlich unendlich“ (Motor Music) versucht Selig vernünftigerweise lieber an die Erfolgsrezepte anzuknüpfen, die auf den beiden Alben „Selig“ und „Hier“ zum Tragen kamen. Dies gelingt formal mit Bravour, doch die Wirkung von einst kann sich nicht mehr einstellen. Der ungeschliffene Sound Seattles erklingt nur noch auf Ü-40-Parties.

Die eigentlichen Inspirationsquellen von Selig, die bieder-böse Ästhetik der Hippiebewegung und die eschatologischen Hausbesetzer- Szenehymnen der Ton Steine Scherben, sind selbst für die Zeitzeugen von einst kaum noch nachvollziehbar. Das Repertoire von Rio Reiser, das Selig-Sänger Jan Plewka solo aufführt, ist geschmäcklerisch und verstaubt wie Brecht-Weill-Chanson-Gedöns, dargeboten im Konzertsaal für die gebildeten Stände. Nicht weniger altertümlich ist seine Reiser abgeguckte Masche, durch poetische Floskeln, die genau besehen reichlich abgenutzt und ansonsten nur im Schlager anzutreffen sind, von den eigentlich banalen, aber lyrisch hübsch aufgeputzten Alltagsgefühlen des Individuums den Bogen zu den ganz großen Themen zu schlagen. Bei Ton Steine Scherben waren diese immerhin noch die Revolution und das Drumherum, bei Selig erschöpfen sie sich in der Verwechslung der Welterfahrung des einzelnen Menschen mit dem Allgemein-Menschlichen. Dabei könnte doch gerade heute, wo endlich wieder einmal Gewißheiten ins Wanken geraten sind, etwas musikalische Aufstachelung zum Aufruhr recht guttun. Diese müßte aber wohl ganz anders klingen.

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