© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/09 24. April 2009

Der Freiheit den Krieg erklären
Die Zerstörung der Vernunft: Aus politischen Gründen hat die Stadt Chemnitz das Wandbild eines jungen Künstlers übertünchen lassen
Jens Knorr

Die Täter kamen am hellichten Tag, der ein schwarzer Tag für die Kunst war, ein schwarzer Tag für die Demokratie, ein schwarzer Tag für Deutschland. Letzten Freitag ließ Berthold Brehm, ein Bürgermeister und zuständiger Dezernatsleiter für die Allgemeine Verwaltung in Chemnitz, das Wandbild „Chemnitz. Stadt der Moderne“ des Chemnitzer Künstlers Benjamin Jahn Zschocke zerstören. Der Zeitpunkt war taktisch schlau gewählt, die Schüler des Beruflichen Schulzentrums für Wirtschaft I, in dessen Cafeteria das Bild seit Oktober 2008 zu besichtigen wäre, wenn es denn zur Besichtigung freigegeben worden wäre, waren noch in den Ferien, einen Antrag auf einstweilige Verfügung hatte die zuständige Amtsrichterin abgelehnt, eine Blockade der Konservativ-Subversiven Aktion konnte die Vernichtungsaktion nur verzögern und endete mit vorläufiger Festnahme der bürgerlichen Widerstand Leistenden. Dann taten die Handwerker ihre Arbeit mit deutscher Gründlichkeit.

Den Auftrag zu Zschockes Werk hatte der Förderverein der Berufsschule erteilt, dem Entwurf hatten Schüler, Lehrer und Elternvertreter nach ausführlicher Diskussion zugestimmt, die Einladungen zur Enthüllung des nach Max Klingers Gemälde „Arbeit – Wohlstand – Schönheit“ zweiten monumentalen Wandgemäldes, das die Stadt nun vorweisen konnte, waren versandt. Da wird Bürgermeister Brehm gesteckt, daß der Künstler nicht nur Träger des Wolfgang-Weidlich-Preises 2005 der Stadt ist, den er ausdrücklich für die künstlerische Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte erhalten hat, sondern auch Autor der Zeitung Blaue Narzisse, Bundesbruder der pennalen Burschenschaft „Theodor Körner“ zu Chemnitz und als Schreibkraft auf 400-Euro-Basis bei der Fraktion Pro Chemnitz im Stadtparlament angestellt. Unter dem Druck einer konzertierten Aktion von Springer-Presse, linken Ratsfraktionen und Petra Zais, Vorstandsmitglied der Grünen in Chemnitz und Mitarbeiterin des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus, sagt Brehm die Einweihung ab.

Genossin Zais lehrte bis 1989 am Lehrstuhl Politische Ökonomie der SED-Bezirksparteischule Mittweida die Rolle der Bedeutung und die Bedeutung der Rolle, feierte dann ihr Gorbatschowsches Erweckungserlebnis, trat als Abgeordnete der SED/PDS im Stadtrat 1990 aus der PDS aus und 1993 zu den Grünen über. Nie wieder wollte sie – so schreibt sie in ihrer Bewerbung um Platz eins auf der sächsischen Landesliste zur nächsten Bundestagswahl – eine Ideologie über die Wirklichkeit stellen, und nie wieder wollte sie sich politisch engagieren, ohne das „Wofür“ kritisch zu hinterfragen. Das gibt die Ex-Genossin zu der Zeit in die Tasten, da sie die Zerstörung eines Kunstwerks fordert, weil in Schulen keine Kunst „von Leuten, die unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnen“, hängen dürfe.

In dem Typus Zais feiert die ideologische Melange aus kunstfremder Borniertheit und stalinistischem Sendungsbewußtsein, die von den Einpeitschern der Parteihochschulen gelehrt wurde – „Haut den Lukács!“ –, fröhliche Urständ. Ein Kunstwerk mit der Weltanschauung seines Schöpfers, der wirklichen oder vermuteten, kurzzuschließen, war Maßgabe realsozialistischer Kunstpolitik und Methode realsozialistischer Kunstbetrachtung. Danach schafft ein sozialistischer Künstler sozialistische Kunst, ein bürgerlicher bürgerliche und ein „Nazi“ eben „Nazi-Kunst“. Faschismus – für Antifaschisten ein Synonym für Nationalsozialismus – aber ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, die Vernichtung faschistischer Kunst folglich Verbrechensbekämpfung.

Erst wenn der konservative Künstler als Rechtsextremer, Faschist, Nazi, im öffentlichen Bewußtsein verankert ist, kann der Versuch überhaupt verfangen, ein Kreuz auf der Kuppel der Markthalle, dessen Form historisch belegt ist und auf mehreren Chemnitzer Kirchen jederzeit zu besichtigen, dem Auge des Betrachters als ein Keltenkreuz unterzuschieben und seinem Verstand als ein eingeschmuggeltes Erkennungszeichen von Neonazis. Erst dann kann eine aufklärende Aussage des Bildes, auf dem die von den Alliierten im Frühjahr 1945 zerbombten Gebäude schattenhaft grau, dagegen die neu gebauten farbig wiedergegeben sind, zu einer volksverhetzenden verkehrt werden: Wer der deutschen Brandopfer gedenkt, ist rechtsextrem, wer für den Erhalt des Bildes – ob mit oder ohne Übermalung des Kreuzes – eintritt, leistet dem Rechtsextremismus wissentlich oder unwissentlich Vorschub. Die Vernichtung erscheint in diesem Licht als eine antifaschistische Kulturtat.

Gegen die eiskalt kalkulierte demagogische Kampagne der staatlich alimentierten Berufsdenunziantin kommt der rührend blauäugige Versuch des Schulleiters Andreas Karl, den freien, gewaltfreien Diskurs zu führen, Vorurteilen mit begründeten Urteilen zu begegnen, nicht an. Im Februar dieses Jahres veranstaltet er ein Symposion, in dessen Verlauf es zu einer unglaublichen, jämmerlich grotesken Szene kommt. Für den anwesenden Justin Sonder, einen der letzten lebenden jüdischen Auschwitz-Überlebenden der Stadt, läßt Bürgermeister Brehm das Wandbild enthüllen, um dessen Meinung einzuholen. Mit Sonders Bekenntnis, kein Problem mit dem Bild zu haben, ist Brehms schamloser Versuch gescheitert, sich hinter dem Urteil des zum Inquisitor bestellten – und an dieser Stelle muß das Wort fallen: – „Alibijuden“ zu verstecken. Das ist der Zeitpunkt, an dem sich ein Kunstwerk in eine Besitzstörung verwandelt.

Im Gegensatz zu Petra Zais ist man sich im Bürgermeisteramt durchaus über die historischen Implikationen im klaren, die eine Vernichtung des Bildes mit sich brächte. Man greift zu juristischen Winkelzügen. Nicht etwa der Trägerverein, sondern der Künstler Zschocke erhält am 15. April ein Schreiben des Inhalts, daß er eine Wand im Speisesaal der Berufsschule ohne Wissen der Eigentümerin und ohne hierzu befugt zu sein, mit einem großformatigen, farbigen Wandbild bemalt habe. „Die gegen den Willen der Grundstückseigentümerin erfolgte Bemalung stellt eine Beeinträchtigung des Eigentumsrechts dar, zu deren Duldung die Stadt Chemnitz nicht verpflichtet ist. Die Stadt Chemnitz wird deshalb in Ausübung ihres Beseitigungsanspruchs aus Paragraph 1004 Absatz 1 BGB das Wandbild entfernen lassen. Dieser Beseitigungsanspruch greift auch in Fällen der sog. aufgedrängten Kunst.“ Immerhin und großzügigerweise darf der Künstler die „aufgedrängte Kunst“ noch fotografisch dokumentieren.

Schulleiter Kahl geht noch Anfang der Woche davon aus, daß eine Trockenbauwand vor das Bild montiert würde, freilich ist er nicht listig, mutig oder einfach nur DDR-erfahren genug, die Montage kurzfristig selbst zu veranlassen. Als beispielsweise das Stadttheater Stralsund, zwischen 1913 und 1916 erbaut,  im Jahre 1968 umgebaut wurde, beseitigte man die originalen Gestaltungselemente nicht, sondern ließ sie hinter großflächigen Holzvertäfelungen verschwinden. Die mußten bei der Sanierung vor einigen Jahren halt nur wieder entfernt werden. Denn, wie es bei Brecht heißt, es wechseln die Zeiten. Als am Chemnitzer schwarzen Freitag Handwerker und Polizei anrücken, ist es für Spanplatten zu spät.

Keiner der Anstreicher meldet sich krank. Keiner protestiert: nicht die Kunstschule Hellerau, die Zschocke 2004 den Heinrich-Tessenow-Preis verliehen hat, nicht der Chemnitzer Geschichtsverein, der dem Künstler 2005 für seine stadtgeschichtlichen Untersuchungen zum Thema Metamorphose einen ersten Preis überreichte, nicht die Sächsische Akademie der Künste mit Sitz im fernen Dresden. Der Sächsische Künstlerbund läßt in Gestalt seiner Geschäftsführerin Lydia Hempel mitteilen, daß er keine Künstler unterstütze, die sich mit rechten Parolen in der Öffentlichkeit äußerten. Einzig die Graphikerin Ursula Mattheuer-Neustädt, Witwe des 2004 verstorbenen Malers und Bildhauers Wolfgang Mattheuer, zeigt Gesicht. Sie spricht gegenüber der JUNGEN FREIHEIT von einer absurden Posse“, die dem Ruf der Stadt Chemnitz als einer der Kunst zugewandten Stadt schaden werde. Der Anlaß für die Entfernung des Wandbilds sei lächerlich, die Vorgehensweise plump.

Mag der Anlaß lächerlich sein, die Tat ist es nicht. Sie ist eine Kriegserklärung an die Freiheitsrechte, eine Kriegserklärung an die Jugendlichen der Berufsschule, an deren Eltern und deren Lehrer, sie ist eine Kriegserklärung an Chemnitz, Stadt der Moderne.

Ob bestellt oder nicht, Kunst ist immer auch ungebeten, der Künstler immer auch Unruhestifter, andernfalls wäre jene sowenig Kunst wie dieser Künstler. Die späte Demokratin vom Antifa-Gewerbe (Grüne), Bürgermeister Brehm (CDU) und zuletzt Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), ohne deren Rückendeckung sie selbstverständlich nicht so couragiert zu handeln gewagt hätten, wollen mit aller verbliebenen Macht unerwünschte Identität verhindern, die Kunst schaffen kann. Ihr Kampf gegen Rechts, der mit Demokratie schon lange nichts mehr zu tun hat, geht in Kulturbarbarei über, die der Beginn der nackten Barbarei selbst ist. Ihr Antifaschismus ist eliminatorischer Antifaschismus! „Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“, geht Heinrich Heines viel- und mißbräuchlich zitierter Satz. Hier gilt er!

Im Oktober 1988 hatte Margot Honecker mehrere Schüler nach öffentlichen Meinungsäußerungen an der von der FDJ initiierten und vom Schuldirektor genehmigten „Speaker’s Corner“ von der Berliner Erweiterten Oberschule Carl von Ossietzky relegieren lassen. An ihnen war ein Exempel statuiert worden. Zwei Jahre später waren die DDR Geschichte und die Mutigen rehabilitiert.

Nicht nur an Benjamin Jahn Zschocke, sondern vor allem an den Schülern des Berufsschulzentrums, die in dieser Woche aus den Ferien zurückgekommen sind, soll ein Exempel statuiert werden. Man wagte während ihrer Abwesenheit, was man in ihrer Anwesenheit nicht zu tun wagte. Dem Künstler wurde damit zu bundesweiter Bekanntheit verholfen, den Schülern sollte es die Augen geöffnet haben.

Die Gelegenheit, den Chemnitzer Kultur-Taliban die Diskurshoheit zu entreißen, könnte schon bald der Veranstaltungszirkus „Politik und Kunst“ geben, mit dem das Mobile Beratungsteam Rechtsextremismus der beratungsresistenten Petra Zais an den Tatort zurückzukehren wünscht. Dann könnte einer von den ehemaligen Schülern der Ossietzky-Schule auf dem Podium sitzen, mindestens einer. Dann könnte vor dem übertünchten Bild in der Cafeteria Franz Fühmanns Barlach-Erzählung „Das schlimme Jahr“ von 1963 gelesen werden.

Angesichts einer frischgeweißten Wand ist es höchste Zeit für die Chemnitzer Jugend, hier und jetzt Farbe zu bekennen!

Foto:  Wandbild „Chemnitz. Stadt der Moderne“: Großzügigerweise durfte Zschocke seine „aufgedrängte Kunst“ noch fotografisch dokumentieren, bevor sie vernichtet wurde

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